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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Aber diese bedeutungsvolle Centrallage von Schumla macht sich noch nach
einer andern Seite, hin geltend. Nicht nur läßt sich Varna von dieser Stellung
aus in zwei bis drei Tagemärschen von einer Armee erreichen, und damit die
Verbindung mit der See, sondern auch Basardschick, der wichtige Straßen¬
knotenpunkt, wo die Wege von Varna nach Silistria, von Kustendsche und
Czernawoda, (Kara Su Linie) nach dem Balkan, und von Mangalia nach
RaSgrad sich schneiden, liegt nur um einige Stunden weiter. Endlich läßt
sich auf der entgegengesetzten (westlichen) Seite, Tirnowa an der Jantra, der
Schlüsselpunkt der beiden wichtigsten Balkanpässe, von denen der eine nach
Kasanlik, der andre nach Sliwno führt, in vier Marschtagen und alle Deboucheen,
die dazwischenliegen, selbstredend in kürzerer Zeit erreichen.

Was Napoleon in einem der Dictate von Se. Helena über Parma sagt:
wenn man dort steht, hat man zu allen wichtigen Punkten, sei es in den
Alpen, oder am Po, oder an den Apenninen ziemlich gleich weit, gilt, auf das
bulgarische Kriegstheater angewendet, in vollster Ausdehnung von Schumla:
es ist der strategische Mittel- und überhaupt der wichtigste Punkt
innerhalb des großen Bewegungskreises der von der Donau
und dem Balkan nord- und südwärts, west- und ostwärts, oder
von der Jantra und der Seeküste gezogen wird. Wer ihn be¬
herrschen will, hat keine andre Wahl, als die gewaltige Berg¬
position zu seinem Lagerpunkt zu machen. In dieser Hinsicht han¬
delte die Natur sozusagen mit strategischen Blick, als sie jene buschigen
Hügel aus der wellenförmigen Ebene sich emporheben ließ. Sie legte damit
den Pivotpunkt fest, an den jede Vertheidigung gebunden bleibt, welche ihren
Gesichtskreis zum Pontus hin, zum Ister und zum Hanns auszudehnen hat.

Umgekehrt ist es im Interesse des Angriffs gelegen, nach diesem Punkte
hin seine Hauptstöße zu lenken. Denn es ist Ziel jeder Offensive, die Herrschaft,
welche die Vertheidigung beim Beginn des Krieges über den Kriegöraum
(Kriegstheater) übt, zu vernichten, und sich selbst an ihre Stelle zu setzen,
mithin sich vor allen Dingen deS Centrums zu bemächtigen, von dem alle
strategischen Fäden auslaufen.

Die Frage, um welche sich letztlich alles dreht, ist nun die: wird Schumla
für die strategischen Vortheile, welche es in Aussicht stellt, auch taktisch einzustehen
vermögen; oder mit andern Worten: wird die hier Posto fassende Armee im
Stande sein, sich in ihrer Stellung zu behaupten?

Die Ansichten unter den Militärs, welche Schumla kennen zu lernen Ge¬
legenheit hatten, sind über diesen Punkt ausnehmend verschieden, und laufen
einander nicht selten diametral entgegen. Omer Pascha hat eine möglichst
große Meinung von dem taktischen Werthe der Stellung, die meisten englischen
und französischen Offiziere eine äußerst, geringe. Ich selbst neige mich auf


Aber diese bedeutungsvolle Centrallage von Schumla macht sich noch nach
einer andern Seite, hin geltend. Nicht nur läßt sich Varna von dieser Stellung
aus in zwei bis drei Tagemärschen von einer Armee erreichen, und damit die
Verbindung mit der See, sondern auch Basardschick, der wichtige Straßen¬
knotenpunkt, wo die Wege von Varna nach Silistria, von Kustendsche und
Czernawoda, (Kara Su Linie) nach dem Balkan, und von Mangalia nach
RaSgrad sich schneiden, liegt nur um einige Stunden weiter. Endlich läßt
sich auf der entgegengesetzten (westlichen) Seite, Tirnowa an der Jantra, der
Schlüsselpunkt der beiden wichtigsten Balkanpässe, von denen der eine nach
Kasanlik, der andre nach Sliwno führt, in vier Marschtagen und alle Deboucheen,
die dazwischenliegen, selbstredend in kürzerer Zeit erreichen.

Was Napoleon in einem der Dictate von Se. Helena über Parma sagt:
wenn man dort steht, hat man zu allen wichtigen Punkten, sei es in den
Alpen, oder am Po, oder an den Apenninen ziemlich gleich weit, gilt, auf das
bulgarische Kriegstheater angewendet, in vollster Ausdehnung von Schumla:
es ist der strategische Mittel- und überhaupt der wichtigste Punkt
innerhalb des großen Bewegungskreises der von der Donau
und dem Balkan nord- und südwärts, west- und ostwärts, oder
von der Jantra und der Seeküste gezogen wird. Wer ihn be¬
herrschen will, hat keine andre Wahl, als die gewaltige Berg¬
position zu seinem Lagerpunkt zu machen. In dieser Hinsicht han¬
delte die Natur sozusagen mit strategischen Blick, als sie jene buschigen
Hügel aus der wellenförmigen Ebene sich emporheben ließ. Sie legte damit
den Pivotpunkt fest, an den jede Vertheidigung gebunden bleibt, welche ihren
Gesichtskreis zum Pontus hin, zum Ister und zum Hanns auszudehnen hat.

Umgekehrt ist es im Interesse des Angriffs gelegen, nach diesem Punkte
hin seine Hauptstöße zu lenken. Denn es ist Ziel jeder Offensive, die Herrschaft,
welche die Vertheidigung beim Beginn des Krieges über den Kriegöraum
(Kriegstheater) übt, zu vernichten, und sich selbst an ihre Stelle zu setzen,
mithin sich vor allen Dingen deS Centrums zu bemächtigen, von dem alle
strategischen Fäden auslaufen.

Die Frage, um welche sich letztlich alles dreht, ist nun die: wird Schumla
für die strategischen Vortheile, welche es in Aussicht stellt, auch taktisch einzustehen
vermögen; oder mit andern Worten: wird die hier Posto fassende Armee im
Stande sein, sich in ihrer Stellung zu behaupten?

Die Ansichten unter den Militärs, welche Schumla kennen zu lernen Ge¬
legenheit hatten, sind über diesen Punkt ausnehmend verschieden, und laufen
einander nicht selten diametral entgegen. Omer Pascha hat eine möglichst
große Meinung von dem taktischen Werthe der Stellung, die meisten englischen
und französischen Offiziere eine äußerst, geringe. Ich selbst neige mich auf


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[0196] Aber diese bedeutungsvolle Centrallage von Schumla macht sich noch nach einer andern Seite, hin geltend. Nicht nur läßt sich Varna von dieser Stellung aus in zwei bis drei Tagemärschen von einer Armee erreichen, und damit die Verbindung mit der See, sondern auch Basardschick, der wichtige Straßen¬ knotenpunkt, wo die Wege von Varna nach Silistria, von Kustendsche und Czernawoda, (Kara Su Linie) nach dem Balkan, und von Mangalia nach RaSgrad sich schneiden, liegt nur um einige Stunden weiter. Endlich läßt sich auf der entgegengesetzten (westlichen) Seite, Tirnowa an der Jantra, der Schlüsselpunkt der beiden wichtigsten Balkanpässe, von denen der eine nach Kasanlik, der andre nach Sliwno führt, in vier Marschtagen und alle Deboucheen, die dazwischenliegen, selbstredend in kürzerer Zeit erreichen. Was Napoleon in einem der Dictate von Se. Helena über Parma sagt: wenn man dort steht, hat man zu allen wichtigen Punkten, sei es in den Alpen, oder am Po, oder an den Apenninen ziemlich gleich weit, gilt, auf das bulgarische Kriegstheater angewendet, in vollster Ausdehnung von Schumla: es ist der strategische Mittel- und überhaupt der wichtigste Punkt innerhalb des großen Bewegungskreises der von der Donau und dem Balkan nord- und südwärts, west- und ostwärts, oder von der Jantra und der Seeküste gezogen wird. Wer ihn be¬ herrschen will, hat keine andre Wahl, als die gewaltige Berg¬ position zu seinem Lagerpunkt zu machen. In dieser Hinsicht han¬ delte die Natur sozusagen mit strategischen Blick, als sie jene buschigen Hügel aus der wellenförmigen Ebene sich emporheben ließ. Sie legte damit den Pivotpunkt fest, an den jede Vertheidigung gebunden bleibt, welche ihren Gesichtskreis zum Pontus hin, zum Ister und zum Hanns auszudehnen hat. Umgekehrt ist es im Interesse des Angriffs gelegen, nach diesem Punkte hin seine Hauptstöße zu lenken. Denn es ist Ziel jeder Offensive, die Herrschaft, welche die Vertheidigung beim Beginn des Krieges über den Kriegöraum (Kriegstheater) übt, zu vernichten, und sich selbst an ihre Stelle zu setzen, mithin sich vor allen Dingen deS Centrums zu bemächtigen, von dem alle strategischen Fäden auslaufen. Die Frage, um welche sich letztlich alles dreht, ist nun die: wird Schumla für die strategischen Vortheile, welche es in Aussicht stellt, auch taktisch einzustehen vermögen; oder mit andern Worten: wird die hier Posto fassende Armee im Stande sein, sich in ihrer Stellung zu behaupten? Die Ansichten unter den Militärs, welche Schumla kennen zu lernen Ge¬ legenheit hatten, sind über diesen Punkt ausnehmend verschieden, und laufen einander nicht selten diametral entgegen. Omer Pascha hat eine möglichst große Meinung von dem taktischen Werthe der Stellung, die meisten englischen und französischen Offiziere eine äußerst, geringe. Ich selbst neige mich auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/196>, abgerufen am 01.09.2024.