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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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der ganzen Sache aber blieb unsere Rechnung; auf derselben stand nämlich
der Wein für den Ballabcnd mit drei Franken angeschrieben, und da etwa 30
Personen theilnahmen, unter denen Bernard vierfach rechnet, ^auch der Ecktisch
mit leeren Flaschen bedeckt war, so glaubten wir anfangs an einen Schreib¬
fehler; Madame Cazaur versicherte aber ausdrücklich, daß ja der Landwein nichts
werth sei und es auf ein paar Flaschen mehr oder weniger nicht ankomme.
Dabei war dieses Traubenblut zwar leicht, aber durchaus angenehm und trink¬
bar. L. bekam noch im Bett mehre Anfälle von Lachkrampf, so daß ich aus
das bedauerlichste im Einschlafen gestört wurde und als ich am andern Morgen
auf den kleinen Balkon unsres Salons trat, um nach dem Wetter zu sehen
und der kleinen Jeannette, die vor der Thür ein gleiches that, einen guten
Morgen zurief, bekam auch diese noch einen ernstlichen Rückfall und verschwand,
das Taschentuch vor dem Gesicht.

Solange wir uns in Luz aufhielten, haben wir nie eine der drei Thüren,
welche zu unsren Zimmern führten, geschlossen oder auch nur immer zugemacht,
obgleich wir oft den ganzen Tag entfernt waren; die Leute hätten ein solches
Mißtrauen für Beleidigung gehalten. Als wir fortfuhren, versammelten sich
alle um die Scheidenden, ihnen die Hand zu drücken, alle in der sicheren Ueber¬
zeugung, daß wir wiederkehren würden. Nur der Kutscher prellte uns, aber er
war kein Luzer.




Betrachtungen über den strategischen Werth der
russischen Stellung in Polen.

Als in den Jahren 181i und 1815 deutsche Patrioten laut gegen die
Ueberlassung der mittleren Weichsellande, d. h. des nicht nur größten, sondern
auch wichtigsten Theiles von Polen an Rußland protestirten, -- als sie daraus
hinwiesen, daß dieser breite und wohlbasirte Keil, dessen Spitze nur einige Tage¬
marsche von der Oder entfernt liegt, nicht nur Gelegenheit bietet, unsre deutsch-
preußischen Ostseeprovinzen bis nach Hinterpommern hin zu überflügeln, von
Kalisch aus Oberschlesien abzuschneiden und aus dichtester Nähe Breslau zu
bedrohen; --. als angedeutet wurde, wie auch Oestreich durch diesen unerhörten
territorialen Vorgriff des Zaren gefährdet, Galizien, rücksichtlich seiner Verbin¬
dung mit Mähren, blosgestellt, und selbst Wien einem im Wege des March-
thaleö rasch geführten Stoße preisgegeben werde, hatte man auf dergleichen
Bedenken, Einwände und Mahnungen kaum eine Erwiderung. Die Stimme
des "Rheinischen Merkurs", der unter Görres Führung damals am entschie¬
densten für die Wahrung deutscher Ansprüche und Sicherheit eintrat, verhallte


der ganzen Sache aber blieb unsere Rechnung; auf derselben stand nämlich
der Wein für den Ballabcnd mit drei Franken angeschrieben, und da etwa 30
Personen theilnahmen, unter denen Bernard vierfach rechnet, ^auch der Ecktisch
mit leeren Flaschen bedeckt war, so glaubten wir anfangs an einen Schreib¬
fehler; Madame Cazaur versicherte aber ausdrücklich, daß ja der Landwein nichts
werth sei und es auf ein paar Flaschen mehr oder weniger nicht ankomme.
Dabei war dieses Traubenblut zwar leicht, aber durchaus angenehm und trink¬
bar. L. bekam noch im Bett mehre Anfälle von Lachkrampf, so daß ich aus
das bedauerlichste im Einschlafen gestört wurde und als ich am andern Morgen
auf den kleinen Balkon unsres Salons trat, um nach dem Wetter zu sehen
und der kleinen Jeannette, die vor der Thür ein gleiches that, einen guten
Morgen zurief, bekam auch diese noch einen ernstlichen Rückfall und verschwand,
das Taschentuch vor dem Gesicht.

Solange wir uns in Luz aufhielten, haben wir nie eine der drei Thüren,
welche zu unsren Zimmern führten, geschlossen oder auch nur immer zugemacht,
obgleich wir oft den ganzen Tag entfernt waren; die Leute hätten ein solches
Mißtrauen für Beleidigung gehalten. Als wir fortfuhren, versammelten sich
alle um die Scheidenden, ihnen die Hand zu drücken, alle in der sicheren Ueber¬
zeugung, daß wir wiederkehren würden. Nur der Kutscher prellte uns, aber er
war kein Luzer.




Betrachtungen über den strategischen Werth der
russischen Stellung in Polen.

Als in den Jahren 181i und 1815 deutsche Patrioten laut gegen die
Ueberlassung der mittleren Weichsellande, d. h. des nicht nur größten, sondern
auch wichtigsten Theiles von Polen an Rußland protestirten, — als sie daraus
hinwiesen, daß dieser breite und wohlbasirte Keil, dessen Spitze nur einige Tage¬
marsche von der Oder entfernt liegt, nicht nur Gelegenheit bietet, unsre deutsch-
preußischen Ostseeprovinzen bis nach Hinterpommern hin zu überflügeln, von
Kalisch aus Oberschlesien abzuschneiden und aus dichtester Nähe Breslau zu
bedrohen; —. als angedeutet wurde, wie auch Oestreich durch diesen unerhörten
territorialen Vorgriff des Zaren gefährdet, Galizien, rücksichtlich seiner Verbin¬
dung mit Mähren, blosgestellt, und selbst Wien einem im Wege des March-
thaleö rasch geführten Stoße preisgegeben werde, hatte man auf dergleichen
Bedenken, Einwände und Mahnungen kaum eine Erwiderung. Die Stimme
des „Rheinischen Merkurs", der unter Görres Führung damals am entschie¬
densten für die Wahrung deutscher Ansprüche und Sicherheit eintrat, verhallte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/181>, abgerufen am 27.07.2024.