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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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alten Leute sprechen noch heutigen Tages gar nicht deutsch, ebenso die Kinder
und von den Frauen nur der kleine Theil, welcher bei einem deutschen Guts¬
besitzer oder in den Städten gedient hat. Jedoch lernen es auch diese in der
Regel nur sehr unvollkommen und suchen deshalb auch ihre Kenntniß desselben
eher zu verbergen, als durch Uebung zu vervollständigen. Das beste Deutsch
sprechen die jungen Leute, welche noch nicht lange Zeit vom Militär entlassen
find, und man kann dem Reisenden nur empfehlen, sich an sie zu wenden,
wenn er einer Auskunft bedürfte, denn bei ihnen allein braucht er nicht zu
befürchten, als ein Stummer (nimsky, heißt auch deutsch) behandelt zu werden,
und keine Antwort zu erhalten.

Die wendische Sprache gehört zu den slawischen, jedoch ist sie sowol mit
dem Polnischen, als dem Czechischen so wenig verwandt, daß sich die Wenden
mit diesen nicht leicht in ihrer Sprache verständigen können. Mehr Aehnlich-
keit hat sie mit dem Russischen, wenn eine Bemerkung Seumes richtig ist, der
in seiner Lebensbeschreibung erzählt, daß sein russischer Diener erstaunt sei,
hier ein so gutes Russisch sprechen zu hören.*) Uebrigens ist sie sehr arm, sür
abstracte Begriffe gibt es nur deutsche Worte, die dann wendisch flectirt werden.
So haben die Wenden keine Ausdrücke für Dankbarkeit, Großartigkeit u. s. w.,
ebenso fehlen ihnen fast alle eignen Bezeichnungen für Erfindungen, die in die
Zeit nach der deutschen Invasion, also bis etwa 1000 n. Chr. zurückfallen,
und Flinte, Schießpulver, Dampfwagen sind Worte, welche man in der flie¬
ßenden wendischen Rede täglich hören kann. Die Schrift ist auch deutsch,
nur hat die wendische Sprache einige Buchstaben mehr, die durch Zusätze von
Häkchen und Strichen aus den deutschen Charakteren gebildet werden.

Die Literatur ist ganz arm und erstreckt sich fast nur auf eine Bibel¬
übersetzung und ein Gesangbuch. Auch hat man in der neuesten Zeit ver¬
sucht, eine wendische Wochenschrift zu gründen, allein dieselbe kann nur durch
große Opfer einiger Freunde der wendischen Sprache erhalten werden, da sie
außer wenigen Geistlichen niemand hält.

, Die Wenden sind, wodurch sie sich wesentlich von allen Slawen unter¬
scheiden, durchgehends evangelischer Confession und zwar eifrige Lutheraner
von nicht blos oberflächlicher Religiosität. Sonntags ist die Kirche immer ge¬
füllt, das Abendmahl nehmen sie häufig und zeigen überhaupt eine große
Scheu und Verehrung alles Heiligen. Auch gehen viele nach Herrnhut in
die Brüdergemeinde, von wo sie als Missionäre nach Afrika und Asten geschickt
werden. Die aber zurückkehren bilden in den einzelnen Dörfern engere Ge¬
meinden, welche in großem Ansehen bei ihnen stehen. Nichtsdestoweniger



Anm. d. Red.
*) Unsres Wissens stehen die Wenden der Lausitz d-multa.eachtet in der slawischen Völker-
familie dein czechischen und lechischen Stamme am nächsten.

alten Leute sprechen noch heutigen Tages gar nicht deutsch, ebenso die Kinder
und von den Frauen nur der kleine Theil, welcher bei einem deutschen Guts¬
besitzer oder in den Städten gedient hat. Jedoch lernen es auch diese in der
Regel nur sehr unvollkommen und suchen deshalb auch ihre Kenntniß desselben
eher zu verbergen, als durch Uebung zu vervollständigen. Das beste Deutsch
sprechen die jungen Leute, welche noch nicht lange Zeit vom Militär entlassen
find, und man kann dem Reisenden nur empfehlen, sich an sie zu wenden,
wenn er einer Auskunft bedürfte, denn bei ihnen allein braucht er nicht zu
befürchten, als ein Stummer (nimsky, heißt auch deutsch) behandelt zu werden,
und keine Antwort zu erhalten.

Die wendische Sprache gehört zu den slawischen, jedoch ist sie sowol mit
dem Polnischen, als dem Czechischen so wenig verwandt, daß sich die Wenden
mit diesen nicht leicht in ihrer Sprache verständigen können. Mehr Aehnlich-
keit hat sie mit dem Russischen, wenn eine Bemerkung Seumes richtig ist, der
in seiner Lebensbeschreibung erzählt, daß sein russischer Diener erstaunt sei,
hier ein so gutes Russisch sprechen zu hören.*) Uebrigens ist sie sehr arm, sür
abstracte Begriffe gibt es nur deutsche Worte, die dann wendisch flectirt werden.
So haben die Wenden keine Ausdrücke für Dankbarkeit, Großartigkeit u. s. w.,
ebenso fehlen ihnen fast alle eignen Bezeichnungen für Erfindungen, die in die
Zeit nach der deutschen Invasion, also bis etwa 1000 n. Chr. zurückfallen,
und Flinte, Schießpulver, Dampfwagen sind Worte, welche man in der flie¬
ßenden wendischen Rede täglich hören kann. Die Schrift ist auch deutsch,
nur hat die wendische Sprache einige Buchstaben mehr, die durch Zusätze von
Häkchen und Strichen aus den deutschen Charakteren gebildet werden.

Die Literatur ist ganz arm und erstreckt sich fast nur auf eine Bibel¬
übersetzung und ein Gesangbuch. Auch hat man in der neuesten Zeit ver¬
sucht, eine wendische Wochenschrift zu gründen, allein dieselbe kann nur durch
große Opfer einiger Freunde der wendischen Sprache erhalten werden, da sie
außer wenigen Geistlichen niemand hält.

, Die Wenden sind, wodurch sie sich wesentlich von allen Slawen unter¬
scheiden, durchgehends evangelischer Confession und zwar eifrige Lutheraner
von nicht blos oberflächlicher Religiosität. Sonntags ist die Kirche immer ge¬
füllt, das Abendmahl nehmen sie häufig und zeigen überhaupt eine große
Scheu und Verehrung alles Heiligen. Auch gehen viele nach Herrnhut in
die Brüdergemeinde, von wo sie als Missionäre nach Afrika und Asten geschickt
werden. Die aber zurückkehren bilden in den einzelnen Dörfern engere Ge¬
meinden, welche in großem Ansehen bei ihnen stehen. Nichtsdestoweniger



Anm. d. Red.
*) Unsres Wissens stehen die Wenden der Lausitz d-multa.eachtet in der slawischen Völker-
familie dein czechischen und lechischen Stamme am nächsten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/170>, abgerufen am 01.09.2024.