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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Länder, und man darf dreist behaupten, daß in Rücksicht auf die Capacität des
Bodens und seinen reichen Fruchtertrag man in Bulgarien niemals zu diesem
Hilfsmittel wird greifen müssen, auch wenn die heute nur dünne und kaum
die Dichtigkeit der polnischen'erreichende Bevölkerung sich vervier- oder ver¬
fünffachen sollte. Auf dieser Ergiebigkeit des Landes beruht zugleich das Ge¬
heimniß, wie es möglich gewesen, eine Armee von etwa -120,000 Mann ohne
daß die Verpflegung durch Anlegung großer Magazine vorbereitet worden und
durch Communicationsmittel unterstützt ist, beinahe ein volles Jahr lang zu
ernähren, wozu noch kommt, daß die Donaufestungen aus denselben Ressourcen
verproviantirt wurden: Silistria allein auf ein weiteres Jahr und Rustschuck
auf ein halbes.

In der Gegend von Werra, einem Dorfe nahe an der Straße, hatten
wir den Unfall, eine Are vom Hauptreisewagen zu zerbrechen. Der ganze
Zug hielt an und die Kutscher stiegen ab, um das zerbrochene Fahrzeug zum
Dorfe zu transportiren. Mir war es interessant, die Vorbereitung zur Her¬
stellung mit anzusehen. Im Vergleich mit einer bulgarischen Schmiede auf
dem platten Lande ist eine deutsche ein großes Atelier. Es entstanden darum
anfangs einige Zweifel in mir, ob man mit diesem Minimum an Werkzeugen
und Material den Schaden werde repariren können. Was indeß in dieser
Hinsicht fehlte, ersetzte die angeborne Geschicklichkeit der Werkleute. Ein tür¬
kischer Arabatschi ist in der Art Wagenbauer, wie unsre Müller Mühlen¬
bauer sind. Zu dem was er außer Tschibuck und Titün- lTabak-) Beutel mit
sich führt, gehört auch, und zwar als wichtigster Gegenstand, ein Beil, eine
leichte Handsäge, ein großer Bohrer. Diese Werkzeuge waren schnell zur
Stelle; aus einem großen, trocknen Scheit Holz wurde die neue Are zuge¬
hauen, und bevor eine Stunde vergangen, konnte die Reise wieder fortgesetzt
werden.

Ich hatte während der Wagenausbesferung einen kleinen Ausflug in die
Umgegend des Dorfes gemacht. Dieses liegt ziemlich nahe am Berghang,
und dahinter dehnen sich einige enge und felsige Thäler aus, voll jenes vor¬
springenden Gesteins, welches namentlich die obern Ränder krönt. An der¬
gleichen reizenden Punkten ist Bulgarien reich; überhaupt hat man sich dasselbe
nicht als eine Ebene in unsrem Sinne vorzustellen; wenn man es so bezeich¬
net, geschieht es nur im Gegensatze zum hohen Balkan. Am ehesten möchte
ich diese Gegenden mit dem mittlern Thüringen in Hinsicht auf die Boden-'
formation vergleichen. Ein solches Land ist nicht arm an Mitteln für die
Defensive, denn es ist ein Irrthum, wenn man annimmt, dieselbe finde nur
im Gebirge und an großen Stromlinien") einen Halt. Am ungünstigsten für



*) Womit keineswegs behauptet werde" soll: daß die großen Wasserlinie" nicht die Grund-
lage der Vertheidigung seien.

Länder, und man darf dreist behaupten, daß in Rücksicht auf die Capacität des
Bodens und seinen reichen Fruchtertrag man in Bulgarien niemals zu diesem
Hilfsmittel wird greifen müssen, auch wenn die heute nur dünne und kaum
die Dichtigkeit der polnischen'erreichende Bevölkerung sich vervier- oder ver¬
fünffachen sollte. Auf dieser Ergiebigkeit des Landes beruht zugleich das Ge¬
heimniß, wie es möglich gewesen, eine Armee von etwa -120,000 Mann ohne
daß die Verpflegung durch Anlegung großer Magazine vorbereitet worden und
durch Communicationsmittel unterstützt ist, beinahe ein volles Jahr lang zu
ernähren, wozu noch kommt, daß die Donaufestungen aus denselben Ressourcen
verproviantirt wurden: Silistria allein auf ein weiteres Jahr und Rustschuck
auf ein halbes.

In der Gegend von Werra, einem Dorfe nahe an der Straße, hatten
wir den Unfall, eine Are vom Hauptreisewagen zu zerbrechen. Der ganze
Zug hielt an und die Kutscher stiegen ab, um das zerbrochene Fahrzeug zum
Dorfe zu transportiren. Mir war es interessant, die Vorbereitung zur Her¬
stellung mit anzusehen. Im Vergleich mit einer bulgarischen Schmiede auf
dem platten Lande ist eine deutsche ein großes Atelier. Es entstanden darum
anfangs einige Zweifel in mir, ob man mit diesem Minimum an Werkzeugen
und Material den Schaden werde repariren können. Was indeß in dieser
Hinsicht fehlte, ersetzte die angeborne Geschicklichkeit der Werkleute. Ein tür¬
kischer Arabatschi ist in der Art Wagenbauer, wie unsre Müller Mühlen¬
bauer sind. Zu dem was er außer Tschibuck und Titün- lTabak-) Beutel mit
sich führt, gehört auch, und zwar als wichtigster Gegenstand, ein Beil, eine
leichte Handsäge, ein großer Bohrer. Diese Werkzeuge waren schnell zur
Stelle; aus einem großen, trocknen Scheit Holz wurde die neue Are zuge¬
hauen, und bevor eine Stunde vergangen, konnte die Reise wieder fortgesetzt
werden.

Ich hatte während der Wagenausbesferung einen kleinen Ausflug in die
Umgegend des Dorfes gemacht. Dieses liegt ziemlich nahe am Berghang,
und dahinter dehnen sich einige enge und felsige Thäler aus, voll jenes vor¬
springenden Gesteins, welches namentlich die obern Ränder krönt. An der¬
gleichen reizenden Punkten ist Bulgarien reich; überhaupt hat man sich dasselbe
nicht als eine Ebene in unsrem Sinne vorzustellen; wenn man es so bezeich¬
net, geschieht es nur im Gegensatze zum hohen Balkan. Am ehesten möchte
ich diese Gegenden mit dem mittlern Thüringen in Hinsicht auf die Boden-'
formation vergleichen. Ein solches Land ist nicht arm an Mitteln für die
Defensive, denn es ist ein Irrthum, wenn man annimmt, dieselbe finde nur
im Gebirge und an großen Stromlinien") einen Halt. Am ungünstigsten für



*) Womit keineswegs behauptet werde» soll: daß die großen Wasserlinie» nicht die Grund-
lage der Vertheidigung seien.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/160>, abgerufen am 27.07.2024.