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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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ren von Distance zu Distance breite Schrittsteine über den Fahrweg hinweg,
wie dies auch in Schumla der Fall ist,

- Die Bewohnerzahl einer türkischen Stadt auszumitteln ist in den meisten
Fällen unmöglich. Man zählt natürlich hier zu Lande nur das männliche,
nicht das weibliche Geschlecht, und von dem männlichen wiederum nur dieje¬
nigen Individuen, welche im mannbaren Alter stehen. Rasgrad gehört zu
den Mittelstädten Bulgariens, ist um vieles kleiner als Varna und hat höch¬
stens 6000 Bewohner, wenn ich es nach dem Eindruck, den seine Häusermasse
auf mich machte, abschätzen darf. Irre ich nicht, so hat Oberst Dieu es vor
kurzem ebenso hoch tarirt. Dieser Offizier reiste im Auftrage der franz. Re-
rierung in Generalstabszwecken durch Bulgarien; manche Vorarbeiten befanden
sich in seinen Händen und er war in seiner Zeit rückstchtlich der Ermittlung
interessanter Fragen nicht beschränkt. Seine Urtheile sind mir bislang als die
zutreffendsten erschienen. Es ist derselbe, den man in Frankreich einige Zeit
lang irrtümlicherweise für todt ausgesagt hatte. In diesem Augenblick be¬
findet er sich, wenn ich nicht irre, im Generalstab deS MarschaÄs Se. Arnaud.

Unsere Pferde waren nach dem Frühstück angeschirrt worden/ und nach¬
dem nachträglich noch dieses und jenes an den Fuhrwerken reparirt worden
war, setzten wir unsre Reise weiter fort.


Von Rasgrad nach Rustschuck.

Die Straße von Rasgrad nach Rustschuck läuft auf der ersten Hälfte
meistens das Thal des Lom entlang, den sie an mehren Stellen überschreitet.
Der Fluß ist hier klein, viel wasserarmer als die Pleiße bei Leipzig, aber
seine Ufer sind tief eingerissen und man sieht es ihnen an, daß Wolkenbrüche
im Balkan zur Sommerszeit die Fluten hoch steigen machen. Bis zu der
Stelle, wo man den Lom -um letzten Mal passirt und der Weg rechtswärts
vom Fluß über ein mit Kornfeldern bedecktes Plateau hingeht, hat man die
vorerwähnte, zwischen Varna und Rustschuck streichende Bergkette zur Seite,
deren Formen ganz denen im hohen Balkan entsprechen, nur daß die Gipfel
nicht die Höhe der dortigen erreichen. Es war, wie schon erwähnt, eben
Erntezeit. Einige Felder hier und dort hatte man bereits abgemäht und dann
und wann kamen bulgarische Bauern, Männer, Frauen und Kinder, mit
einer vollen Garbe an den Wagen getreten, um sie als Erstlingsfrucht zu
Präsentiren und einen Backschisch (Trinkgeld) in Empfang zu nehmen. Die
Ertragsfähigkeit dieser Gegenden ist erstaunlich groß und es gibt einen Begriff
davon, wenn man erwägt, daß ohne Düngung hier das zwanzigste Korn er¬
zielt wird. Außer Weizen scheint man nur Mais und Rübsen zu bauen.
Kartoffeln werden nicht gezogen. Sie sind der Nothbehelf unsrer nördlichen


ren von Distance zu Distance breite Schrittsteine über den Fahrweg hinweg,
wie dies auch in Schumla der Fall ist,

- Die Bewohnerzahl einer türkischen Stadt auszumitteln ist in den meisten
Fällen unmöglich. Man zählt natürlich hier zu Lande nur das männliche,
nicht das weibliche Geschlecht, und von dem männlichen wiederum nur dieje¬
nigen Individuen, welche im mannbaren Alter stehen. Rasgrad gehört zu
den Mittelstädten Bulgariens, ist um vieles kleiner als Varna und hat höch¬
stens 6000 Bewohner, wenn ich es nach dem Eindruck, den seine Häusermasse
auf mich machte, abschätzen darf. Irre ich nicht, so hat Oberst Dieu es vor
kurzem ebenso hoch tarirt. Dieser Offizier reiste im Auftrage der franz. Re-
rierung in Generalstabszwecken durch Bulgarien; manche Vorarbeiten befanden
sich in seinen Händen und er war in seiner Zeit rückstchtlich der Ermittlung
interessanter Fragen nicht beschränkt. Seine Urtheile sind mir bislang als die
zutreffendsten erschienen. Es ist derselbe, den man in Frankreich einige Zeit
lang irrtümlicherweise für todt ausgesagt hatte. In diesem Augenblick be¬
findet er sich, wenn ich nicht irre, im Generalstab deS MarschaÄs Se. Arnaud.

Unsere Pferde waren nach dem Frühstück angeschirrt worden/ und nach¬
dem nachträglich noch dieses und jenes an den Fuhrwerken reparirt worden
war, setzten wir unsre Reise weiter fort.


Von Rasgrad nach Rustschuck.

Die Straße von Rasgrad nach Rustschuck läuft auf der ersten Hälfte
meistens das Thal des Lom entlang, den sie an mehren Stellen überschreitet.
Der Fluß ist hier klein, viel wasserarmer als die Pleiße bei Leipzig, aber
seine Ufer sind tief eingerissen und man sieht es ihnen an, daß Wolkenbrüche
im Balkan zur Sommerszeit die Fluten hoch steigen machen. Bis zu der
Stelle, wo man den Lom -um letzten Mal passirt und der Weg rechtswärts
vom Fluß über ein mit Kornfeldern bedecktes Plateau hingeht, hat man die
vorerwähnte, zwischen Varna und Rustschuck streichende Bergkette zur Seite,
deren Formen ganz denen im hohen Balkan entsprechen, nur daß die Gipfel
nicht die Höhe der dortigen erreichen. Es war, wie schon erwähnt, eben
Erntezeit. Einige Felder hier und dort hatte man bereits abgemäht und dann
und wann kamen bulgarische Bauern, Männer, Frauen und Kinder, mit
einer vollen Garbe an den Wagen getreten, um sie als Erstlingsfrucht zu
Präsentiren und einen Backschisch (Trinkgeld) in Empfang zu nehmen. Die
Ertragsfähigkeit dieser Gegenden ist erstaunlich groß und es gibt einen Begriff
davon, wenn man erwägt, daß ohne Düngung hier das zwanzigste Korn er¬
zielt wird. Außer Weizen scheint man nur Mais und Rübsen zu bauen.
Kartoffeln werden nicht gezogen. Sie sind der Nothbehelf unsrer nördlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/159>, abgerufen am 09.11.2024.