Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Voran ritten wie gewöhnlich die beiden Ordonnanzoffiziere; sodann folgte etwa
fünfzig Schritte darnach der kaiserliche Wagen. Nur zwei Pferde zogen ihn;
rechts und links von ihnen gingen Diener, die Zügel aber führte der Sultan
in eigner Person. Er saß ziemlich gebückt im Fond des Wagens. Die Pferde
ließ er nur im langsamen Schritt gehen, hielt sie scharf im Zügel und merkte
beim Lenken auf jeden Stein, der im Wege lag. Mir kam sein Gesicht voller
vor wie sonst. Hinter dem Wagen gingen einige Zech oder Reitknechte zu
Fuß, und sodann kam das große, an sechzig Personen zahlende Gefolge, be¬
stehend aus Kammerherren und Paschas zu Pferde. Endlich schlossen zwanzig
Ulanen den Zug.

Die Luft ist unendlich schwül, ungeachtet ein starker Nordwind dann und
wann geht. Er streift eben nur über die Höhen hin und läßt die sumpfige
Lust in den Thälern unberührt. Auf den Straßen sieht man an allen Ecken die
Limonadenhändler ihre mit Eis gekühlten Getränke ausschenken, und aus jede
fünfzig oder hundert Schritte begegnet man einem jener Hausirenden Konditoren,
die Gefrorenes aufbieten.




Militärische Landschaftsbilder aus der Türkei.
Rasgrad.

Die Stadt Nasgrad liegt im Thale des Lom, welcher in den Vorbergen
deö Balkan seine Quellen hat, und dicht oberhalb Nustschuck in die Donau
einmündet. Nachdem die Niederung des Flusses vorher ziemlich weit gewesen,
tritt hier das zwischen Varna und der letztgedachten Festung streichende Gebirge
ziemlich dicht an das Ufer heran, und gibt dem Punkte, auf dem Raögrad ge¬
baut ist, die Merkmale eines Passes, was er im Grunde genommen nicht ist,
da Seitenwege ihn bequem umgehen lassen.

' Nichts ist schwieriger als eine türkische Ortschaft zu beschreiben, weil die
wenigsten etwas besitzen, was sie von den übrigen unterscheidet. Dieselben ba¬
rackenartigen Häuser, überall wohin man schaut; Schmuz und Unrath in allen
Ecken und Winkeln; die Straßen eng und nirgends die gerade Linie haltend;
dabei nur in Intervallen mit Häusern besetzt; die Zwischenräume ausgefüllt
mit Lehmmauern, Gartenzäunen und Breterbarrieren. An den freiesten Ecken,
da, wo mehre Straßen aus einanderstoßen, ein Kaffeehaus, meistens nur ein
Stockwerk umfassend, und mit einer weit vorspringenden Veranda, unter wel¬
cher in langen Reihen die kleinen niedrigen Schemel für die Gäste aufgestellt sind.

Rasgrad macht keine Ausnahme gegenüber diesem auf die meisten Städte die-


Voran ritten wie gewöhnlich die beiden Ordonnanzoffiziere; sodann folgte etwa
fünfzig Schritte darnach der kaiserliche Wagen. Nur zwei Pferde zogen ihn;
rechts und links von ihnen gingen Diener, die Zügel aber führte der Sultan
in eigner Person. Er saß ziemlich gebückt im Fond des Wagens. Die Pferde
ließ er nur im langsamen Schritt gehen, hielt sie scharf im Zügel und merkte
beim Lenken auf jeden Stein, der im Wege lag. Mir kam sein Gesicht voller
vor wie sonst. Hinter dem Wagen gingen einige Zech oder Reitknechte zu
Fuß, und sodann kam das große, an sechzig Personen zahlende Gefolge, be¬
stehend aus Kammerherren und Paschas zu Pferde. Endlich schlossen zwanzig
Ulanen den Zug.

Die Luft ist unendlich schwül, ungeachtet ein starker Nordwind dann und
wann geht. Er streift eben nur über die Höhen hin und läßt die sumpfige
Lust in den Thälern unberührt. Auf den Straßen sieht man an allen Ecken die
Limonadenhändler ihre mit Eis gekühlten Getränke ausschenken, und aus jede
fünfzig oder hundert Schritte begegnet man einem jener Hausirenden Konditoren,
die Gefrorenes aufbieten.




Militärische Landschaftsbilder aus der Türkei.
Rasgrad.

Die Stadt Nasgrad liegt im Thale des Lom, welcher in den Vorbergen
deö Balkan seine Quellen hat, und dicht oberhalb Nustschuck in die Donau
einmündet. Nachdem die Niederung des Flusses vorher ziemlich weit gewesen,
tritt hier das zwischen Varna und der letztgedachten Festung streichende Gebirge
ziemlich dicht an das Ufer heran, und gibt dem Punkte, auf dem Raögrad ge¬
baut ist, die Merkmale eines Passes, was er im Grunde genommen nicht ist,
da Seitenwege ihn bequem umgehen lassen.

' Nichts ist schwieriger als eine türkische Ortschaft zu beschreiben, weil die
wenigsten etwas besitzen, was sie von den übrigen unterscheidet. Dieselben ba¬
rackenartigen Häuser, überall wohin man schaut; Schmuz und Unrath in allen
Ecken und Winkeln; die Straßen eng und nirgends die gerade Linie haltend;
dabei nur in Intervallen mit Häusern besetzt; die Zwischenräume ausgefüllt
mit Lehmmauern, Gartenzäunen und Breterbarrieren. An den freiesten Ecken,
da, wo mehre Straßen aus einanderstoßen, ein Kaffeehaus, meistens nur ein
Stockwerk umfassend, und mit einer weit vorspringenden Veranda, unter wel¬
cher in langen Reihen die kleinen niedrigen Schemel für die Gäste aufgestellt sind.

Rasgrad macht keine Ausnahme gegenüber diesem auf die meisten Städte die-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281308"/>
          <p xml:id="ID_471" prev="#ID_470"> Voran ritten wie gewöhnlich die beiden Ordonnanzoffiziere; sodann folgte etwa<lb/>
fünfzig Schritte darnach der kaiserliche Wagen. Nur zwei Pferde zogen ihn;<lb/>
rechts und links von ihnen gingen Diener, die Zügel aber führte der Sultan<lb/>
in eigner Person. Er saß ziemlich gebückt im Fond des Wagens. Die Pferde<lb/>
ließ er nur im langsamen Schritt gehen, hielt sie scharf im Zügel und merkte<lb/>
beim Lenken auf jeden Stein, der im Wege lag. Mir kam sein Gesicht voller<lb/>
vor wie sonst. Hinter dem Wagen gingen einige Zech oder Reitknechte zu<lb/>
Fuß, und sodann kam das große, an sechzig Personen zahlende Gefolge, be¬<lb/>
stehend aus Kammerherren und Paschas zu Pferde. Endlich schlossen zwanzig<lb/>
Ulanen den Zug.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_472"> Die Luft ist unendlich schwül, ungeachtet ein starker Nordwind dann und<lb/>
wann geht. Er streift eben nur über die Höhen hin und läßt die sumpfige<lb/>
Lust in den Thälern unberührt. Auf den Straßen sieht man an allen Ecken die<lb/>
Limonadenhändler ihre mit Eis gekühlten Getränke ausschenken, und aus jede<lb/>
fünfzig oder hundert Schritte begegnet man einem jener Hausirenden Konditoren,<lb/>
die Gefrorenes aufbieten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Militärische Landschaftsbilder aus der Türkei.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Rasgrad.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_473"> Die Stadt Nasgrad liegt im Thale des Lom, welcher in den Vorbergen<lb/>
deö Balkan seine Quellen hat, und dicht oberhalb Nustschuck in die Donau<lb/>
einmündet. Nachdem die Niederung des Flusses vorher ziemlich weit gewesen,<lb/>
tritt hier das zwischen Varna und der letztgedachten Festung streichende Gebirge<lb/>
ziemlich dicht an das Ufer heran, und gibt dem Punkte, auf dem Raögrad ge¬<lb/>
baut ist, die Merkmale eines Passes, was er im Grunde genommen nicht ist,<lb/>
da Seitenwege ihn bequem umgehen lassen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_474"> ' Nichts ist schwieriger als eine türkische Ortschaft zu beschreiben, weil die<lb/>
wenigsten etwas besitzen, was sie von den übrigen unterscheidet. Dieselben ba¬<lb/>
rackenartigen Häuser, überall wohin man schaut; Schmuz und Unrath in allen<lb/>
Ecken und Winkeln; die Straßen eng und nirgends die gerade Linie haltend;<lb/>
dabei nur in Intervallen mit Häusern besetzt; die Zwischenräume ausgefüllt<lb/>
mit Lehmmauern, Gartenzäunen und Breterbarrieren. An den freiesten Ecken,<lb/>
da, wo mehre Straßen aus einanderstoßen, ein Kaffeehaus, meistens nur ein<lb/>
Stockwerk umfassend, und mit einer weit vorspringenden Veranda, unter wel¬<lb/>
cher in langen Reihen die kleinen niedrigen Schemel für die Gäste aufgestellt sind.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_475" next="#ID_476"> Rasgrad macht keine Ausnahme gegenüber diesem auf die meisten Städte die-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0157] Voran ritten wie gewöhnlich die beiden Ordonnanzoffiziere; sodann folgte etwa fünfzig Schritte darnach der kaiserliche Wagen. Nur zwei Pferde zogen ihn; rechts und links von ihnen gingen Diener, die Zügel aber führte der Sultan in eigner Person. Er saß ziemlich gebückt im Fond des Wagens. Die Pferde ließ er nur im langsamen Schritt gehen, hielt sie scharf im Zügel und merkte beim Lenken auf jeden Stein, der im Wege lag. Mir kam sein Gesicht voller vor wie sonst. Hinter dem Wagen gingen einige Zech oder Reitknechte zu Fuß, und sodann kam das große, an sechzig Personen zahlende Gefolge, be¬ stehend aus Kammerherren und Paschas zu Pferde. Endlich schlossen zwanzig Ulanen den Zug. Die Luft ist unendlich schwül, ungeachtet ein starker Nordwind dann und wann geht. Er streift eben nur über die Höhen hin und läßt die sumpfige Lust in den Thälern unberührt. Auf den Straßen sieht man an allen Ecken die Limonadenhändler ihre mit Eis gekühlten Getränke ausschenken, und aus jede fünfzig oder hundert Schritte begegnet man einem jener Hausirenden Konditoren, die Gefrorenes aufbieten. Militärische Landschaftsbilder aus der Türkei. Rasgrad. Die Stadt Nasgrad liegt im Thale des Lom, welcher in den Vorbergen deö Balkan seine Quellen hat, und dicht oberhalb Nustschuck in die Donau einmündet. Nachdem die Niederung des Flusses vorher ziemlich weit gewesen, tritt hier das zwischen Varna und der letztgedachten Festung streichende Gebirge ziemlich dicht an das Ufer heran, und gibt dem Punkte, auf dem Raögrad ge¬ baut ist, die Merkmale eines Passes, was er im Grunde genommen nicht ist, da Seitenwege ihn bequem umgehen lassen. ' Nichts ist schwieriger als eine türkische Ortschaft zu beschreiben, weil die wenigsten etwas besitzen, was sie von den übrigen unterscheidet. Dieselben ba¬ rackenartigen Häuser, überall wohin man schaut; Schmuz und Unrath in allen Ecken und Winkeln; die Straßen eng und nirgends die gerade Linie haltend; dabei nur in Intervallen mit Häusern besetzt; die Zwischenräume ausgefüllt mit Lehmmauern, Gartenzäunen und Breterbarrieren. An den freiesten Ecken, da, wo mehre Straßen aus einanderstoßen, ein Kaffeehaus, meistens nur ein Stockwerk umfassend, und mit einer weit vorspringenden Veranda, unter wel¬ cher in langen Reihen die kleinen niedrigen Schemel für die Gäste aufgestellt sind. Rasgrad macht keine Ausnahme gegenüber diesem auf die meisten Städte die-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/157
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/157>, abgerufen am 27.07.2024.