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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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gelangen Sie alsbald in eine schmale und außerordentlich belebte Straße, auf
deren beiden Seiten längs den hier hoch zum Himmel anstrebenden Häusern
Blumenverkäufer und Gärtner ihre Waare feilbieten. In diesem Jahre, wel¬
ches für das Gedeihen der gesammten Wegetation so außerordentlich günstig
gewesen, ist der Markt besonders interessant. Die Fülle der bunten und duf¬
tenden Massen, mit denen er überführt wird, ist wirklich erstaunlich, und es
lohnt die Mühe, die lange Reihe der Ausbietendcn langsam entlang zu
gehen, um die Schätze zu mustern. Wer wie ich kaum andere Blumenmärkte
wie die in unsern großen norddeutschen Städten kennt, wird über die Menge
der hochgewachsenen Oleander, Rosenstöcke, Catia und Malven erstaunen, die
bis zur zweiten Etage der nebenstehenden Häuser mit ihren Blutcnkroncn reichen.
Diesen Prachtstücken gegenüber verschwinden allerdings die einzelnen Bouquetö,
aber ein jedes von ihnen würde darum nicht minder Aufsehen in Berlin oder
Leipzig machen. Was die hiesige Flora auszeichnet, das ist die Ueppigkeit und
überquellende Fülle, mit der sie das Kleinste wie das Größte, die enge Rosen¬
knospe wie die weitentfaltete Lilie gestaltet. Letztere reichen^auch in den knappen
Töpfen, in welchen man sie zieht, um sie darnach zum Verkauf bringen zu
können, weit über Mannshöhe hinaus. Die Tulpen sind die Lieblingsblumen
der Türken. Man verwendet viel Fleiß auf ihre Zucht, und außer Holland
mag man kaum irgendwo anderwärts verschiedenere und kostbarere Exemplare
nebeneinander zu schauen bekommen, wie hier. Aber schon ist die Zeit da,
wo die prächtigen Kaiserkronen auf dem Markte erscheinen und alle Blumen
neben sich überstrahlen, auch die Nelken, die man hier in breitflachen Töpfen
in großen Bouquets, wenn ich mich so ausdrücken darf, zieht, und deren Aroma
unter der Sonne von Stambul eine solche Kraft gewinnt, daß die ganze
Blumenstraße von ihnen durchduftet wird.

Leider scheint dieselbe Sonne gegenwärtig gar zu heiß; und dennoch sind
die eigentlichen Glühtage noch nicht gekommen. Ueberhaupt wird nicht jedes
Jahr von der extremsten Hitze heimgesucht. Das letzte, in dem dieselbe sich
geltend machte, war -I8Se. Im Juli oder August gesellte sich damals während
mehrer Wochen hindurch zu einem durchaus unbedeckten Himmel ein konstanter
Südwind. Ich erinnere mich aus jenem Sommer eines Nachmittags, an
welchem mir von Leuten, die seit langer Zeit in Konstantinopel ansässig sind,
das Ausgehen widerrathen wurde. Türken und Franken erschienen auf den
Straßen mit Tüchern vor dem Munde. Man erzählte von Frauen, die um¬
gefallen und auf dem Pflaster todt liegen geblieben waren.

Dieser Südwind während des heißen Sommers, welcher im mittäglichen Klein¬
asien und schon in Smyrna noch mehr gefürchtet wird wie hier, ist ein Bruder
des Sirocco und kommt aus den westlich von Aegypten gelegenen Wüsten. Für
die Vegetation ist er äußerst nachtheilig; das Gras welkt und stirbr ab unter


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gelangen Sie alsbald in eine schmale und außerordentlich belebte Straße, auf
deren beiden Seiten längs den hier hoch zum Himmel anstrebenden Häusern
Blumenverkäufer und Gärtner ihre Waare feilbieten. In diesem Jahre, wel¬
ches für das Gedeihen der gesammten Wegetation so außerordentlich günstig
gewesen, ist der Markt besonders interessant. Die Fülle der bunten und duf¬
tenden Massen, mit denen er überführt wird, ist wirklich erstaunlich, und es
lohnt die Mühe, die lange Reihe der Ausbietendcn langsam entlang zu
gehen, um die Schätze zu mustern. Wer wie ich kaum andere Blumenmärkte
wie die in unsern großen norddeutschen Städten kennt, wird über die Menge
der hochgewachsenen Oleander, Rosenstöcke, Catia und Malven erstaunen, die
bis zur zweiten Etage der nebenstehenden Häuser mit ihren Blutcnkroncn reichen.
Diesen Prachtstücken gegenüber verschwinden allerdings die einzelnen Bouquetö,
aber ein jedes von ihnen würde darum nicht minder Aufsehen in Berlin oder
Leipzig machen. Was die hiesige Flora auszeichnet, das ist die Ueppigkeit und
überquellende Fülle, mit der sie das Kleinste wie das Größte, die enge Rosen¬
knospe wie die weitentfaltete Lilie gestaltet. Letztere reichen^auch in den knappen
Töpfen, in welchen man sie zieht, um sie darnach zum Verkauf bringen zu
können, weit über Mannshöhe hinaus. Die Tulpen sind die Lieblingsblumen
der Türken. Man verwendet viel Fleiß auf ihre Zucht, und außer Holland
mag man kaum irgendwo anderwärts verschiedenere und kostbarere Exemplare
nebeneinander zu schauen bekommen, wie hier. Aber schon ist die Zeit da,
wo die prächtigen Kaiserkronen auf dem Markte erscheinen und alle Blumen
neben sich überstrahlen, auch die Nelken, die man hier in breitflachen Töpfen
in großen Bouquets, wenn ich mich so ausdrücken darf, zieht, und deren Aroma
unter der Sonne von Stambul eine solche Kraft gewinnt, daß die ganze
Blumenstraße von ihnen durchduftet wird.

Leider scheint dieselbe Sonne gegenwärtig gar zu heiß; und dennoch sind
die eigentlichen Glühtage noch nicht gekommen. Ueberhaupt wird nicht jedes
Jahr von der extremsten Hitze heimgesucht. Das letzte, in dem dieselbe sich
geltend machte, war -I8Se. Im Juli oder August gesellte sich damals während
mehrer Wochen hindurch zu einem durchaus unbedeckten Himmel ein konstanter
Südwind. Ich erinnere mich aus jenem Sommer eines Nachmittags, an
welchem mir von Leuten, die seit langer Zeit in Konstantinopel ansässig sind,
das Ausgehen widerrathen wurde. Türken und Franken erschienen auf den
Straßen mit Tüchern vor dem Munde. Man erzählte von Frauen, die um¬
gefallen und auf dem Pflaster todt liegen geblieben waren.

Dieser Südwind während des heißen Sommers, welcher im mittäglichen Klein¬
asien und schon in Smyrna noch mehr gefürchtet wird wie hier, ist ein Bruder
des Sirocco und kommt aus den westlich von Aegypten gelegenen Wüsten. Für
die Vegetation ist er äußerst nachtheilig; das Gras welkt und stirbr ab unter


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[0155] gelangen Sie alsbald in eine schmale und außerordentlich belebte Straße, auf deren beiden Seiten längs den hier hoch zum Himmel anstrebenden Häusern Blumenverkäufer und Gärtner ihre Waare feilbieten. In diesem Jahre, wel¬ ches für das Gedeihen der gesammten Wegetation so außerordentlich günstig gewesen, ist der Markt besonders interessant. Die Fülle der bunten und duf¬ tenden Massen, mit denen er überführt wird, ist wirklich erstaunlich, und es lohnt die Mühe, die lange Reihe der Ausbietendcn langsam entlang zu gehen, um die Schätze zu mustern. Wer wie ich kaum andere Blumenmärkte wie die in unsern großen norddeutschen Städten kennt, wird über die Menge der hochgewachsenen Oleander, Rosenstöcke, Catia und Malven erstaunen, die bis zur zweiten Etage der nebenstehenden Häuser mit ihren Blutcnkroncn reichen. Diesen Prachtstücken gegenüber verschwinden allerdings die einzelnen Bouquetö, aber ein jedes von ihnen würde darum nicht minder Aufsehen in Berlin oder Leipzig machen. Was die hiesige Flora auszeichnet, das ist die Ueppigkeit und überquellende Fülle, mit der sie das Kleinste wie das Größte, die enge Rosen¬ knospe wie die weitentfaltete Lilie gestaltet. Letztere reichen^auch in den knappen Töpfen, in welchen man sie zieht, um sie darnach zum Verkauf bringen zu können, weit über Mannshöhe hinaus. Die Tulpen sind die Lieblingsblumen der Türken. Man verwendet viel Fleiß auf ihre Zucht, und außer Holland mag man kaum irgendwo anderwärts verschiedenere und kostbarere Exemplare nebeneinander zu schauen bekommen, wie hier. Aber schon ist die Zeit da, wo die prächtigen Kaiserkronen auf dem Markte erscheinen und alle Blumen neben sich überstrahlen, auch die Nelken, die man hier in breitflachen Töpfen in großen Bouquets, wenn ich mich so ausdrücken darf, zieht, und deren Aroma unter der Sonne von Stambul eine solche Kraft gewinnt, daß die ganze Blumenstraße von ihnen durchduftet wird. Leider scheint dieselbe Sonne gegenwärtig gar zu heiß; und dennoch sind die eigentlichen Glühtage noch nicht gekommen. Ueberhaupt wird nicht jedes Jahr von der extremsten Hitze heimgesucht. Das letzte, in dem dieselbe sich geltend machte, war -I8Se. Im Juli oder August gesellte sich damals während mehrer Wochen hindurch zu einem durchaus unbedeckten Himmel ein konstanter Südwind. Ich erinnere mich aus jenem Sommer eines Nachmittags, an welchem mir von Leuten, die seit langer Zeit in Konstantinopel ansässig sind, das Ausgehen widerrathen wurde. Türken und Franken erschienen auf den Straßen mit Tüchern vor dem Munde. Man erzählte von Frauen, die um¬ gefallen und auf dem Pflaster todt liegen geblieben waren. Dieser Südwind während des heißen Sommers, welcher im mittäglichen Klein¬ asien und schon in Smyrna noch mehr gefürchtet wird wie hier, ist ein Bruder des Sirocco und kommt aus den westlich von Aegypten gelegenen Wüsten. Für die Vegetation ist er äußerst nachtheilig; das Gras welkt und stirbr ab unter 19*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/155>, abgerufen am 01.09.2024.