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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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werthvollen Seiten dieser Kreise sind doch am Ende diejenigen, die sie mit dem
bürgerlichen Leben gemein haben. --


Die schwarze Mare. Bilder aus Lithauen. Vom Verfasser der "neuen deutschen
Zeitbilder". 3 Bände. Leipzig, H. Schultze. --

Die Localfarbe, die landschaftlichen Schilderungen, die Stimmungen und
was sonst dazu gehört, sind in diesem Roman zum Theil vortrefflich ausgeführt;
auch einzelne episodische Charakterbilder sind gelungen... Leider aber gehört der
Roman seiner Tendenz nach in jene durch Eugen Sue hervorgerufene Gattung
der Prvletariergeschichten, die man gewöhnlich nur vom moralischen Standpunkt
angreist, gegen die sich aber ästhetisch noch weit mehr einwenden ließe. Die
Heldin des Romans ist eine lithauische Magd, die als ein poetisches Ideal
dargestellt werden soll, leider aber wird sie bald nach ihrem ersten Auftreten
von ihrem Gutsherrn, einem übrigens recht braven gutmüthigen Manne zu der
Strafe von zwanzig Kantschnhieben verurtheilt und zum Schluß soll sie in Rußland
die Knute erhalten. Das sind Zustände, denen man wol noch sein Mitleid,
aber nicht sein ästhetisches Interesse schenken kann. Nebenbei wird die ganze
Gesellschaft, die im Roman vorkommt, als gar zu pöbelhaft gemein dargestellt,
fast alle Personen sind die ausgemachtesten Halunken und die geschilderten
Sitten gehen doch über das Maß des Begreiflicher hinaus. Daß ein Guts¬
besitzer im preußischen Lithauen einer sonst braven und fleißigen Magd, weil
sie sich bei dem Einzug seiner Gemahlin zu singen weigert, ohne weiteres
zwanzig Kantschuhiebe reichen läßt und noch dazu in aller Gutmüthigkeit,
ohne sich etwas Böses dabei zu denken, das streift doch gar zu sehr an das
Gebiet des Romantischen: gesetzlich ist es wenigstens nicht mehr erlaubt, und
so möge man denn auch diese ekelhaften Phantasien verbannen. --


Rheinische Dorfgeschichten. Wohlfeile Ausgabe in vier Bänden aus den ge¬
sammelten Erzählungen von W. O. von Horn. Mit Illustrationen von
L. Nicht er. Frankfurt a. M., Saucrländer. --

Die Volkserzählungen des Predigers, der unter diesem Namen schreibt,
haben schnell eine sehr große Verbreitung gefunden. Sie haben für die
poetische Literatur zwar nicht die Bedeutung, wie Dorfgeschichten von Gotthelf
oder von Auerbach, dafür empfehlen sie sich durch eine größere Popularität.
Sie muthen dem Volke nicht zu, sich in neue fremdartige Erscheinungen und
Vorstellungen zu vertiefen, sie geben im wesentlichen nur das, was ihm schon
bekannt ist. Wir haben übrigens die Erzählungen bereits besprochen, als sie
in einer andern Gestalt erschienen. Wir weisen auf diese frühere Besprechung
zurück. Die gegenwärtige Ausgabe zeichnet sich vorzugsweise durch die Illustra¬
tionen Richters aus, die ihre Verbreitung gewiß sehr fördern werden. Der


werthvollen Seiten dieser Kreise sind doch am Ende diejenigen, die sie mit dem
bürgerlichen Leben gemein haben. —


Die schwarze Mare. Bilder aus Lithauen. Vom Verfasser der „neuen deutschen
Zeitbilder". 3 Bände. Leipzig, H. Schultze. —

Die Localfarbe, die landschaftlichen Schilderungen, die Stimmungen und
was sonst dazu gehört, sind in diesem Roman zum Theil vortrefflich ausgeführt;
auch einzelne episodische Charakterbilder sind gelungen... Leider aber gehört der
Roman seiner Tendenz nach in jene durch Eugen Sue hervorgerufene Gattung
der Prvletariergeschichten, die man gewöhnlich nur vom moralischen Standpunkt
angreist, gegen die sich aber ästhetisch noch weit mehr einwenden ließe. Die
Heldin des Romans ist eine lithauische Magd, die als ein poetisches Ideal
dargestellt werden soll, leider aber wird sie bald nach ihrem ersten Auftreten
von ihrem Gutsherrn, einem übrigens recht braven gutmüthigen Manne zu der
Strafe von zwanzig Kantschnhieben verurtheilt und zum Schluß soll sie in Rußland
die Knute erhalten. Das sind Zustände, denen man wol noch sein Mitleid,
aber nicht sein ästhetisches Interesse schenken kann. Nebenbei wird die ganze
Gesellschaft, die im Roman vorkommt, als gar zu pöbelhaft gemein dargestellt,
fast alle Personen sind die ausgemachtesten Halunken und die geschilderten
Sitten gehen doch über das Maß des Begreiflicher hinaus. Daß ein Guts¬
besitzer im preußischen Lithauen einer sonst braven und fleißigen Magd, weil
sie sich bei dem Einzug seiner Gemahlin zu singen weigert, ohne weiteres
zwanzig Kantschuhiebe reichen läßt und noch dazu in aller Gutmüthigkeit,
ohne sich etwas Böses dabei zu denken, das streift doch gar zu sehr an das
Gebiet des Romantischen: gesetzlich ist es wenigstens nicht mehr erlaubt, und
so möge man denn auch diese ekelhaften Phantasien verbannen. —


Rheinische Dorfgeschichten. Wohlfeile Ausgabe in vier Bänden aus den ge¬
sammelten Erzählungen von W. O. von Horn. Mit Illustrationen von
L. Nicht er. Frankfurt a. M., Saucrländer. —

Die Volkserzählungen des Predigers, der unter diesem Namen schreibt,
haben schnell eine sehr große Verbreitung gefunden. Sie haben für die
poetische Literatur zwar nicht die Bedeutung, wie Dorfgeschichten von Gotthelf
oder von Auerbach, dafür empfehlen sie sich durch eine größere Popularität.
Sie muthen dem Volke nicht zu, sich in neue fremdartige Erscheinungen und
Vorstellungen zu vertiefen, sie geben im wesentlichen nur das, was ihm schon
bekannt ist. Wir haben übrigens die Erzählungen bereits besprochen, als sie
in einer andern Gestalt erschienen. Wir weisen auf diese frühere Besprechung
zurück. Die gegenwärtige Ausgabe zeichnet sich vorzugsweise durch die Illustra¬
tionen Richters aus, die ihre Verbreitung gewiß sehr fördern werden. Der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/140>, abgerufen am 09.11.2024.