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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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werken übereinander bestanden, spricht dafür. Aber freilich war damals, mit
Ausnahme Galatas, welches schon bestand, alles jenseits vom goldenen Horn
nunmehr mit Wohnhäusern bedeckte Feld frei und leer. Nimmt man diesen
Umstand mit in Betracht, so muß man eingestehen, daß Stambul ebensowol
eine Wanderstabe ist wie Rom.

Was mich inmitten des Häuseroceaus, über den mein Auge hinaus¬
schweifte, am meisten überraschte, ist die Menge der Kuppeln. Von demselben
Niveau betrachtet, endeckt man eben nur die Wölbungen der Moscheen hoch
aufragend, über der weit ausgebreiteten Stadt, -- aber aus der Vogel¬
perspektive nimmt man zugleich wahr, wie jedes Bad, jeder geräumige Han, in
Kuppelbau geführt und mit dem runden maurischen Bogen geschlossen ist.
An ein Unterscheiden von Straßen ist hier indeß noch viel weniger wie bei
der Aussicht auf Pera zu denken. Dagegen entdeckt man ein weites Thal,
Jani Bagdsche oder der neue Garten genannt, welches sich von der binnen-
wärtigen Mauer aus tief in das Innere von Stambul hineinbreitet, und als
unbebaute Wiese darstellt. Ein Bach geht mitten hindurch und findet seine
Mündung in der Mitte der dem Marmorameer zugewendeten Stadtseite.
Ueber die Mauer hinaus schaut man auf die Kasernen von Ramid Tschiftlik
und Daub Pascha, unermeßliche Nierecke von achthundert Schritt Frontlänge,
in denen demnach der größere Theil des innersten Leipzig Raum finden würde,
und von denen ein jedes im Stande ist, 10,000 Mann Soldaten aufzunehmen.
Wenn man Konstantinopel befestigen wollte -- eine unermeßliche Aufgabe,
und über deren Umfang sich in keinem Orte besser wie aus dem Seriasker-
thurm nachdenken läßt, würden in den beiden genannten Riescntasernen die
bereits fertigen Neduits zweier vorgeschobenen Werke' von immenser Ausdeh¬
nung gefunden sein, die man (zur Beherrschung der benachbarten Plateaus,)
der Mauer vorzulegen veranlaßt sein möchte.

Wenn die seither beschriebenen Aussichten dem Bosporus und goldnen
Horn angehören, fallen die aus den übrigen Fenstern sämmlich in den Bereich
des Marmorameers. Dem letzteren gehört, der Abdachung nach, der kleinere
Theil des byzantinischen Stadtdreiecks an, nämlich derjenige, welcher in der
Richtung von der Kaserne von Daub Pascha zur Aga Sophia gelegen ist.
Im Unterschiede von dem heutigen Stambul hatttz im Alterthum das Leben
der Residenz hier seinen Sitz. Konstantinopel, wie es heute besteht, ist im
Grunde genommen, eine den Hafen oder das Goldhorn umringende Capitale;
die alte Hauptstadt von Ostrom dagegen wendete ihr Antlitz dem Meere ent¬
gegen. Nach hierhin zeigt sich der Al Meidan oder Hippodrom, hier liegen
die Trümmer der Kaserne der tausend Säulen, hier wölben sich heute noch die
Dome der Jrenenkirche und von Sophia, hier endlich ist der Fleck gelegen,
über den hin das Forum Constantiiü sich ausdehnte. Indeß liegen diese


werken übereinander bestanden, spricht dafür. Aber freilich war damals, mit
Ausnahme Galatas, welches schon bestand, alles jenseits vom goldenen Horn
nunmehr mit Wohnhäusern bedeckte Feld frei und leer. Nimmt man diesen
Umstand mit in Betracht, so muß man eingestehen, daß Stambul ebensowol
eine Wanderstabe ist wie Rom.

Was mich inmitten des Häuseroceaus, über den mein Auge hinaus¬
schweifte, am meisten überraschte, ist die Menge der Kuppeln. Von demselben
Niveau betrachtet, endeckt man eben nur die Wölbungen der Moscheen hoch
aufragend, über der weit ausgebreiteten Stadt, — aber aus der Vogel¬
perspektive nimmt man zugleich wahr, wie jedes Bad, jeder geräumige Han, in
Kuppelbau geführt und mit dem runden maurischen Bogen geschlossen ist.
An ein Unterscheiden von Straßen ist hier indeß noch viel weniger wie bei
der Aussicht auf Pera zu denken. Dagegen entdeckt man ein weites Thal,
Jani Bagdsche oder der neue Garten genannt, welches sich von der binnen-
wärtigen Mauer aus tief in das Innere von Stambul hineinbreitet, und als
unbebaute Wiese darstellt. Ein Bach geht mitten hindurch und findet seine
Mündung in der Mitte der dem Marmorameer zugewendeten Stadtseite.
Ueber die Mauer hinaus schaut man auf die Kasernen von Ramid Tschiftlik
und Daub Pascha, unermeßliche Nierecke von achthundert Schritt Frontlänge,
in denen demnach der größere Theil des innersten Leipzig Raum finden würde,
und von denen ein jedes im Stande ist, 10,000 Mann Soldaten aufzunehmen.
Wenn man Konstantinopel befestigen wollte — eine unermeßliche Aufgabe,
und über deren Umfang sich in keinem Orte besser wie aus dem Seriasker-
thurm nachdenken läßt, würden in den beiden genannten Riescntasernen die
bereits fertigen Neduits zweier vorgeschobenen Werke' von immenser Ausdeh¬
nung gefunden sein, die man (zur Beherrschung der benachbarten Plateaus,)
der Mauer vorzulegen veranlaßt sein möchte.

Wenn die seither beschriebenen Aussichten dem Bosporus und goldnen
Horn angehören, fallen die aus den übrigen Fenstern sämmlich in den Bereich
des Marmorameers. Dem letzteren gehört, der Abdachung nach, der kleinere
Theil des byzantinischen Stadtdreiecks an, nämlich derjenige, welcher in der
Richtung von der Kaserne von Daub Pascha zur Aga Sophia gelegen ist.
Im Unterschiede von dem heutigen Stambul hatttz im Alterthum das Leben
der Residenz hier seinen Sitz. Konstantinopel, wie es heute besteht, ist im
Grunde genommen, eine den Hafen oder das Goldhorn umringende Capitale;
die alte Hauptstadt von Ostrom dagegen wendete ihr Antlitz dem Meere ent¬
gegen. Nach hierhin zeigt sich der Al Meidan oder Hippodrom, hier liegen
die Trümmer der Kaserne der tausend Säulen, hier wölben sich heute noch die
Dome der Jrenenkirche und von Sophia, hier endlich ist der Fleck gelegen,
über den hin das Forum Constantiiü sich ausdehnte. Indeß liegen diese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/120>, abgerufen am 01.09.2024.