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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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er hätte aber noch ins Unendliche sortgesetzt werden können, ohne einen wirk¬
lichen Abschluß zu finden; denn bereits sind eine ganze Menge Personen, die
sich zuerst in den Vordergrund drängten, beseitigt, theils getödtet, theils sonst
in Vergessenheit gerathen; eine ganze Reihe von Intriguen sind angeknüpft
und wieder aufgelöst, mehre der Hauptpersonen haben die wunderlichsten
Metamorphosen ihres Charakters und ihrer Ueberzeugung erlebt, ohne daß wir
behaupten könnten, sie seien dadurch in der wahren Bildung ihres Charakters
auch nur um einen Schritt weiter gekommen. Hier zeigt sich wieder ein Fehler
in der Composition. Die Naturbeobachtung zeigt uns die Charaktere gleich¬
mäßig in wesentlichen, wie in unwesentlichen Momenten; sie nimmt häufig
einen Anlauf, der zu nichts fuhrt; sie wiederholt sich; sie läßt den einen Faden
fallen um den andern aufzunehmen u. s. w. Die Kunst soll dagegen die Natur
corrigiren, sie soll die unwesentlichen Momente, ^die uns nur stören und ver¬
wirren, fallen lassen, und dagegen alle ihre Kraft aus die Punkte concentriren,
in denen ein gewaltiger Umwandlungsproceß der Seele vorgeht; sie soll das
Leben, das in der Wirklichkeit zu zerfließen scheint, durch reale Gestaltung in
das Gebiet des Ideals überführen. -- Treck thut grade das Gegentheil, er
corrigirt nicht nur die Natur nicht, sondern er bestärkt sie, wenn wir uns so
ausdrücken dürfen, in ihren Sünden. Die Hauptperson seines Romans, der
junge Edmund, erscheint zuerst als katholischer Fanatiker, dann geht er plötzlich
zu den Rebellen über. Nun war es nothwendig, um uns aus diese Um¬
wandlung vorzubereiten, daß uns einmal die Art und Weise seines früheren
Fanatismus, sodann aber der Moment der Wiedergeburt sehr genau veran¬
schaulicht wurde. Statt dessen hat der Dichter diese entscheidenden Züge nur
ganz äußerlich und flüchtig skizzirt, dagegen die Conflicte, in welche der über¬
eilte Uebertritt den jungen Mann mit seinem eignen Gefühl bringt, in un¬
erquicklicher Breite und in erfolglosen Wiederholungen vorgeführt. -- Das
Hauptgesetz für den Dichter wie für den Erzähler überhaupt ist, durch seine
Anlage in uns eine bestimmte Richtung der Neugierde zu erwecken, unsre Er¬
wartungen nach einer bestimmten Seite hin zu spannen, um uns alsdann zu
befriedigen oder zu erschrecken oder was er sonst beabsichtigt. Aber ohne
diese bestimmte Richtung. unsrer Phantasie verliert seine ganze Erzählung
ihren Zwecks

Wir erwähnten vorhin, daß der Hauptzweck bei den historischen Novellen
unsres Dichters die Versinnlichung excentrischer Seelenzustände war; am meisten
ist ihm das in dem Herensabbath gelungen. Die Frage nach der Ent¬
stehung jener entsetzlichen Verblendung des Menschengeschlechts, die Analyse
desselben, sowol nach der dämonischen Seite des Menschen, als nach seinen
kleinlichen, endlichen Motiven hin, ist eine würdige Aufgabe für den Historiker
wie für den Dichter. Tieck hat hier ausnahmsweise die verschiedenen Momente


er hätte aber noch ins Unendliche sortgesetzt werden können, ohne einen wirk¬
lichen Abschluß zu finden; denn bereits sind eine ganze Menge Personen, die
sich zuerst in den Vordergrund drängten, beseitigt, theils getödtet, theils sonst
in Vergessenheit gerathen; eine ganze Reihe von Intriguen sind angeknüpft
und wieder aufgelöst, mehre der Hauptpersonen haben die wunderlichsten
Metamorphosen ihres Charakters und ihrer Ueberzeugung erlebt, ohne daß wir
behaupten könnten, sie seien dadurch in der wahren Bildung ihres Charakters
auch nur um einen Schritt weiter gekommen. Hier zeigt sich wieder ein Fehler
in der Composition. Die Naturbeobachtung zeigt uns die Charaktere gleich¬
mäßig in wesentlichen, wie in unwesentlichen Momenten; sie nimmt häufig
einen Anlauf, der zu nichts fuhrt; sie wiederholt sich; sie läßt den einen Faden
fallen um den andern aufzunehmen u. s. w. Die Kunst soll dagegen die Natur
corrigiren, sie soll die unwesentlichen Momente, ^die uns nur stören und ver¬
wirren, fallen lassen, und dagegen alle ihre Kraft aus die Punkte concentriren,
in denen ein gewaltiger Umwandlungsproceß der Seele vorgeht; sie soll das
Leben, das in der Wirklichkeit zu zerfließen scheint, durch reale Gestaltung in
das Gebiet des Ideals überführen. — Treck thut grade das Gegentheil, er
corrigirt nicht nur die Natur nicht, sondern er bestärkt sie, wenn wir uns so
ausdrücken dürfen, in ihren Sünden. Die Hauptperson seines Romans, der
junge Edmund, erscheint zuerst als katholischer Fanatiker, dann geht er plötzlich
zu den Rebellen über. Nun war es nothwendig, um uns aus diese Um¬
wandlung vorzubereiten, daß uns einmal die Art und Weise seines früheren
Fanatismus, sodann aber der Moment der Wiedergeburt sehr genau veran¬
schaulicht wurde. Statt dessen hat der Dichter diese entscheidenden Züge nur
ganz äußerlich und flüchtig skizzirt, dagegen die Conflicte, in welche der über¬
eilte Uebertritt den jungen Mann mit seinem eignen Gefühl bringt, in un¬
erquicklicher Breite und in erfolglosen Wiederholungen vorgeführt. — Das
Hauptgesetz für den Dichter wie für den Erzähler überhaupt ist, durch seine
Anlage in uns eine bestimmte Richtung der Neugierde zu erwecken, unsre Er¬
wartungen nach einer bestimmten Seite hin zu spannen, um uns alsdann zu
befriedigen oder zu erschrecken oder was er sonst beabsichtigt. Aber ohne
diese bestimmte Richtung. unsrer Phantasie verliert seine ganze Erzählung
ihren Zwecks

Wir erwähnten vorhin, daß der Hauptzweck bei den historischen Novellen
unsres Dichters die Versinnlichung excentrischer Seelenzustände war; am meisten
ist ihm das in dem Herensabbath gelungen. Die Frage nach der Ent¬
stehung jener entsetzlichen Verblendung des Menschengeschlechts, die Analyse
desselben, sowol nach der dämonischen Seite des Menschen, als nach seinen
kleinlichen, endlichen Motiven hin, ist eine würdige Aufgabe für den Historiker
wie für den Dichter. Tieck hat hier ausnahmsweise die verschiedenen Momente


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/100>, abgerufen am 01.09.2024.