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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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briefe vo" Erzbischöfen und andern Prälaten zu lesen, aber wem in aller Welt
fällt es ein, sie aufs Wort zu nehmen! Die geistlichen Herren haben sich einen
osstciellen Stil der Salbung angeeignet, in dem sie ziemlich mechanisch fortreden
können; aus diesem geistlichen Geschäftsstil psychologische Resultate herzuleiten, ist
doch wol ein ganz verkehrtes Unternehmen! Nun findet man freilich in den
Briefen eines Innocenz U1. einen viel freiern Ausdruck des Innern, einen viel
kräftigern Naturlaut, aber die Art ist doch die nämliche; wer sich als Heiliger
weiß und unausgesetzt beobachtet, ist am wenigsten fähig, in jener Weise seiner
Natur Recht widerfahren zu lassen, wie es bei einer Quelle psychologischer Beo¬
bachtungen nothwendig ist. In diesem Papst ist ein großer Sinn, ein stolzes,
gewaltiges, nicht unedles Herz; aber dies muß mau aus der dreifachen theologischen
Umhüllung erst löse". Hurter verhält sich ganz kritiklos, ganz unbewehrt und darum
ist das Bild, das er gibt, verwaschen und unbestimmt, die eigentliche Größe jenes gewal¬
tigen Menschen geht uns nicht ans. Auch die Auswahl ist mangelhaft, oft werden
wir von ganz Unwesentlichen erdrückt, durch unerträgliche Breite und gedanken¬
lose Widerholungen ermüdet. Es ist gar keine Spur von plastischem Sinn, von
philosophischer Ueberlegung in diesem Mann; von dem Befragen des Gegentheils,
der ersten Pflicht des Historikers, keine Rede. Die Floskel dominirt über die
Thatsache. Es ist ein ganz komischer Idealismus in der Schilderung des Papstes;
die unbestimmtesten epMc-ta oniÄntia: edel, mild, sanft, gerecht, ruhig, fein, ge¬
mäßigt, in jedem Grade der Comparation, aber alle gleich farblos, gleich wenig
charakteristisch; lesen wir etwas Anderes ans dem Material heraus, das er uns gibt,
so ist das unser Verdienst, nicht das seinige. Alles ist grau in Grau gemalt,
kein lebendiger Zug, keine energische Bewegung tritt deutlich hervor. Hurter
begleitet jede einzelne Handlung mit trivialen Lobsprüchen, und wenn er gar apo¬
logetisch verfährt, ist der Eindruck widerlich. Er war nicht der rechte Homer
dieses Achilles. Seine Charakteristik ist Mosaikarbeit; er führt für jedes Mo¬
ment Quellen an, aber diese Citate zu einem Ganzen zu verarbeiten, ist er nicht
im Stande; er untersucht nicht einmal, wie sich die Quellen zu ihrem Gegenstand
verhalten, wieweit sie glaubwürdig sind, es ist ihm alles einerlei. Darum finden
sich auch in den übrigen Charakterschilderungen die gröbsten Verstöße, z. B.
bei Montfort würde kein Mensch ahnen, von wem die Rede ist, wenn nicht der
Name genannt wäre. Dieselbe Mosaikarbeit ist in der Schilderung allgemeiner
geistiger Regungen. Unter diesen Umständen ist es noch ein Glück, daß/nicht
eine Abstraction, eine "höhere Idee" zum Mittelpunkt des Charakters gemacht
ist, mau behält doch wenigstens überall den Eindruck einer gewissen Unmittelbarkeit.

Zuweilen macht diese künstliche Unbefangenheit einen unheimlichen Eindruck.
Wenn er die Greuel, die gegen die Albigenser verübt wurden, ganz ausführlich
erzählt, so erwartet mau doch, irgend einmal werde sich das natürliche Gefühl
Luft machen, die Menschheit in seiner Brust werde sich gegen die Thatsachen em-


briefe vo» Erzbischöfen und andern Prälaten zu lesen, aber wem in aller Welt
fällt es ein, sie aufs Wort zu nehmen! Die geistlichen Herren haben sich einen
osstciellen Stil der Salbung angeeignet, in dem sie ziemlich mechanisch fortreden
können; aus diesem geistlichen Geschäftsstil psychologische Resultate herzuleiten, ist
doch wol ein ganz verkehrtes Unternehmen! Nun findet man freilich in den
Briefen eines Innocenz U1. einen viel freiern Ausdruck des Innern, einen viel
kräftigern Naturlaut, aber die Art ist doch die nämliche; wer sich als Heiliger
weiß und unausgesetzt beobachtet, ist am wenigsten fähig, in jener Weise seiner
Natur Recht widerfahren zu lassen, wie es bei einer Quelle psychologischer Beo¬
bachtungen nothwendig ist. In diesem Papst ist ein großer Sinn, ein stolzes,
gewaltiges, nicht unedles Herz; aber dies muß mau aus der dreifachen theologischen
Umhüllung erst löse». Hurter verhält sich ganz kritiklos, ganz unbewehrt und darum
ist das Bild, das er gibt, verwaschen und unbestimmt, die eigentliche Größe jenes gewal¬
tigen Menschen geht uns nicht ans. Auch die Auswahl ist mangelhaft, oft werden
wir von ganz Unwesentlichen erdrückt, durch unerträgliche Breite und gedanken¬
lose Widerholungen ermüdet. Es ist gar keine Spur von plastischem Sinn, von
philosophischer Ueberlegung in diesem Mann; von dem Befragen des Gegentheils,
der ersten Pflicht des Historikers, keine Rede. Die Floskel dominirt über die
Thatsache. Es ist ein ganz komischer Idealismus in der Schilderung des Papstes;
die unbestimmtesten epMc-ta oniÄntia: edel, mild, sanft, gerecht, ruhig, fein, ge¬
mäßigt, in jedem Grade der Comparation, aber alle gleich farblos, gleich wenig
charakteristisch; lesen wir etwas Anderes ans dem Material heraus, das er uns gibt,
so ist das unser Verdienst, nicht das seinige. Alles ist grau in Grau gemalt,
kein lebendiger Zug, keine energische Bewegung tritt deutlich hervor. Hurter
begleitet jede einzelne Handlung mit trivialen Lobsprüchen, und wenn er gar apo¬
logetisch verfährt, ist der Eindruck widerlich. Er war nicht der rechte Homer
dieses Achilles. Seine Charakteristik ist Mosaikarbeit; er führt für jedes Mo¬
ment Quellen an, aber diese Citate zu einem Ganzen zu verarbeiten, ist er nicht
im Stande; er untersucht nicht einmal, wie sich die Quellen zu ihrem Gegenstand
verhalten, wieweit sie glaubwürdig sind, es ist ihm alles einerlei. Darum finden
sich auch in den übrigen Charakterschilderungen die gröbsten Verstöße, z. B.
bei Montfort würde kein Mensch ahnen, von wem die Rede ist, wenn nicht der
Name genannt wäre. Dieselbe Mosaikarbeit ist in der Schilderung allgemeiner
geistiger Regungen. Unter diesen Umständen ist es noch ein Glück, daß/nicht
eine Abstraction, eine „höhere Idee" zum Mittelpunkt des Charakters gemacht
ist, mau behält doch wenigstens überall den Eindruck einer gewissen Unmittelbarkeit.

Zuweilen macht diese künstliche Unbefangenheit einen unheimlichen Eindruck.
Wenn er die Greuel, die gegen die Albigenser verübt wurden, ganz ausführlich
erzählt, so erwartet mau doch, irgend einmal werde sich das natürliche Gefühl
Luft machen, die Menschheit in seiner Brust werde sich gegen die Thatsachen em-


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[0096] briefe vo» Erzbischöfen und andern Prälaten zu lesen, aber wem in aller Welt fällt es ein, sie aufs Wort zu nehmen! Die geistlichen Herren haben sich einen osstciellen Stil der Salbung angeeignet, in dem sie ziemlich mechanisch fortreden können; aus diesem geistlichen Geschäftsstil psychologische Resultate herzuleiten, ist doch wol ein ganz verkehrtes Unternehmen! Nun findet man freilich in den Briefen eines Innocenz U1. einen viel freiern Ausdruck des Innern, einen viel kräftigern Naturlaut, aber die Art ist doch die nämliche; wer sich als Heiliger weiß und unausgesetzt beobachtet, ist am wenigsten fähig, in jener Weise seiner Natur Recht widerfahren zu lassen, wie es bei einer Quelle psychologischer Beo¬ bachtungen nothwendig ist. In diesem Papst ist ein großer Sinn, ein stolzes, gewaltiges, nicht unedles Herz; aber dies muß mau aus der dreifachen theologischen Umhüllung erst löse». Hurter verhält sich ganz kritiklos, ganz unbewehrt und darum ist das Bild, das er gibt, verwaschen und unbestimmt, die eigentliche Größe jenes gewal¬ tigen Menschen geht uns nicht ans. Auch die Auswahl ist mangelhaft, oft werden wir von ganz Unwesentlichen erdrückt, durch unerträgliche Breite und gedanken¬ lose Widerholungen ermüdet. Es ist gar keine Spur von plastischem Sinn, von philosophischer Ueberlegung in diesem Mann; von dem Befragen des Gegentheils, der ersten Pflicht des Historikers, keine Rede. Die Floskel dominirt über die Thatsache. Es ist ein ganz komischer Idealismus in der Schilderung des Papstes; die unbestimmtesten epMc-ta oniÄntia: edel, mild, sanft, gerecht, ruhig, fein, ge¬ mäßigt, in jedem Grade der Comparation, aber alle gleich farblos, gleich wenig charakteristisch; lesen wir etwas Anderes ans dem Material heraus, das er uns gibt, so ist das unser Verdienst, nicht das seinige. Alles ist grau in Grau gemalt, kein lebendiger Zug, keine energische Bewegung tritt deutlich hervor. Hurter begleitet jede einzelne Handlung mit trivialen Lobsprüchen, und wenn er gar apo¬ logetisch verfährt, ist der Eindruck widerlich. Er war nicht der rechte Homer dieses Achilles. Seine Charakteristik ist Mosaikarbeit; er führt für jedes Mo¬ ment Quellen an, aber diese Citate zu einem Ganzen zu verarbeiten, ist er nicht im Stande; er untersucht nicht einmal, wie sich die Quellen zu ihrem Gegenstand verhalten, wieweit sie glaubwürdig sind, es ist ihm alles einerlei. Darum finden sich auch in den übrigen Charakterschilderungen die gröbsten Verstöße, z. B. bei Montfort würde kein Mensch ahnen, von wem die Rede ist, wenn nicht der Name genannt wäre. Dieselbe Mosaikarbeit ist in der Schilderung allgemeiner geistiger Regungen. Unter diesen Umständen ist es noch ein Glück, daß/nicht eine Abstraction, eine „höhere Idee" zum Mittelpunkt des Charakters gemacht ist, mau behält doch wenigstens überall den Eindruck einer gewissen Unmittelbarkeit. Zuweilen macht diese künstliche Unbefangenheit einen unheimlichen Eindruck. Wenn er die Greuel, die gegen die Albigenser verübt wurden, ganz ausführlich erzählt, so erwartet mau doch, irgend einmal werde sich das natürliche Gefühl Luft machen, die Menschheit in seiner Brust werde sich gegen die Thatsachen em-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/96>, abgerufen am 06.02.2025.