Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.in Parallele zu stellen. Denn in diesen ist nicht mir die Masse des darin sünd¬ Hurter sucht im Gefühl des Widerspruchs zwischen seinem protestantischen Amt in Parallele zu stellen. Denn in diesen ist nicht mir die Masse des darin sünd¬ Hurter sucht im Gefühl des Widerspruchs zwischen seinem protestantischen Amt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96799"/> <p xml:id="ID_240" prev="#ID_239"> in Parallele zu stellen. Denn in diesen ist nicht mir die Masse des darin sünd¬<lb/> lich vergossenen Bluts das Abscheulichste, sondern die Verruchtheit, mit der die<lb/> „Steller Gottes" in der Ausrottung der Provence« ihren gemeinen egoistischen<lb/> Zwecken nachginge», eine Verruchtheit, die der Papst nach Hurters eigenem Zu-<lb/> geständniß wenigstens zum Theil kannte und begünstigte, wenn er auch allerlei<lb/> höchst lahme und klägliche Entschuldigungen findet. Das Entsetzliche, daß ein gu¬<lb/> ter Zweck (als solchen faßt wenigstens Hurter die Unterdrückung der Ketzerei) sich<lb/> bei seiner endlichen Durchführung in nichtswürdige Mittel vertiefte, sollte einen<lb/> sittlich wohlgeschaffeueu Geist wol auf das Tiefste ergreifen, und daß Hurter<lb/> keine Spur eines solchen Entsetzens verräth, beweist eine tiefe sittliche Corruption<lb/> in dem Gemüth dieses neumodischen Katholiken.</p><lb/> <p xml:id="ID_241" next="#ID_242"> Hurter sucht im Gefühl des Widerspruchs zwischen seinem protestantischen Amt<lb/> und der Verherrlichung des Katholicismus fortwährend in Erinnerung zu bringen,<lb/> daß er nur darzustellen, uicht zu richten habe. „Ob jene Erkenntniß (des Papstes) eine<lb/> richtige oder eine irrige, ob sie dem wohlverstandenen Christenthum gemäß oder<lb/> zuwider, ob sie aus der Lehre seines Stifters zu begründen sei, darnach hat der<lb/> Geschichtschreiber nicht zu fragen; diese Erörterung fällt dem Dogmatiker oder<lb/> dem Polemiker anheim; jener hält sich blos daran, daß sie zu irgend einer Zeit<lb/> vorgewaltet habe n. s. w." (Bd. I., Vorr. V.) Das ist sophistisch, denn das<lb/> Urtheil gibt der Geschichtschreibung erst die Substanz, ohne Urtheil kann mau<lb/> gar nicht darstellen; es ist aber auch unwahr, denn in der Färbung spricht sich<lb/> das Urtheil sehr deutlich ans, und diese ist in Hurters Buch so subjectiv als<lb/> möglich. Er verfällt um so willenloser in die Gewalt der Voraussetzungen, je<lb/> objectiver er zu sein glaubt; er wähnt im Geist der geschilderten Zeit zu schrei¬<lb/> ben, und es ist nur sein eigner Geist, der sich in der Zeit spiegelt. Der Unter¬<lb/> schied ist augenscheinlich: bei Innocenz war das Princip unmittelbares Gefühl,<lb/> Leidenschaft, es füllte die Totalität seiner Seele; Hurter dagegen macht es sich durch<lb/> Reflexion zurecht, und zwar durch eine ziemlich oberflächliche Reflexion, denn das<lb/> bloße Antoritätsprincip ohne sittlichen Inhalt ist doch nur ein Ausweg sehr<lb/> schwacher, haltloser und verkümmerter Seelen. — Man brauchte nicht Katholik zu<lb/> sein, um im mittelalterlichen Papstthum eine große, vielleicht auch eine gute Er¬<lb/> scheinung zu fassen, denn es ist ein Unterschied zwischen dem Katholicismus vor<lb/> und nach der Reformation. Kurze Zeit vorher hatte I. Voigt eine ähnliche<lb/> Apologie Gregors VII. geschrieben, und die Kirche kam eilfertig, den reuigen Ketzer<lb/> in ihrem Schoß z» empfangen; aber Voigt wandte sich sehr entschieden ab, denn<lb/> er wußte, daß ein Princip für das elfte Jahrhundert sehr angemessen, und doch<lb/> für die Gegenwart unbrauchbar sein könne. — Auch bei Hurter sind die ersten Mo¬<lb/> tive zu seiner Sympathie weltlicher Natur, ihm imponirt die handgreiflicheManifesta-<lb/> tion der Idee in der erscheinenden Kirche (I. S. 78), ihre Stabilität, ihr Nutzen<lb/> für den allgemeinen Friede» (II. S. 710—11), ihr von dem Wechsel unabhängi-</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0094]
in Parallele zu stellen. Denn in diesen ist nicht mir die Masse des darin sünd¬
lich vergossenen Bluts das Abscheulichste, sondern die Verruchtheit, mit der die
„Steller Gottes" in der Ausrottung der Provence« ihren gemeinen egoistischen
Zwecken nachginge», eine Verruchtheit, die der Papst nach Hurters eigenem Zu-
geständniß wenigstens zum Theil kannte und begünstigte, wenn er auch allerlei
höchst lahme und klägliche Entschuldigungen findet. Das Entsetzliche, daß ein gu¬
ter Zweck (als solchen faßt wenigstens Hurter die Unterdrückung der Ketzerei) sich
bei seiner endlichen Durchführung in nichtswürdige Mittel vertiefte, sollte einen
sittlich wohlgeschaffeueu Geist wol auf das Tiefste ergreifen, und daß Hurter
keine Spur eines solchen Entsetzens verräth, beweist eine tiefe sittliche Corruption
in dem Gemüth dieses neumodischen Katholiken.
Hurter sucht im Gefühl des Widerspruchs zwischen seinem protestantischen Amt
und der Verherrlichung des Katholicismus fortwährend in Erinnerung zu bringen,
daß er nur darzustellen, uicht zu richten habe. „Ob jene Erkenntniß (des Papstes) eine
richtige oder eine irrige, ob sie dem wohlverstandenen Christenthum gemäß oder
zuwider, ob sie aus der Lehre seines Stifters zu begründen sei, darnach hat der
Geschichtschreiber nicht zu fragen; diese Erörterung fällt dem Dogmatiker oder
dem Polemiker anheim; jener hält sich blos daran, daß sie zu irgend einer Zeit
vorgewaltet habe n. s. w." (Bd. I., Vorr. V.) Das ist sophistisch, denn das
Urtheil gibt der Geschichtschreibung erst die Substanz, ohne Urtheil kann mau
gar nicht darstellen; es ist aber auch unwahr, denn in der Färbung spricht sich
das Urtheil sehr deutlich ans, und diese ist in Hurters Buch so subjectiv als
möglich. Er verfällt um so willenloser in die Gewalt der Voraussetzungen, je
objectiver er zu sein glaubt; er wähnt im Geist der geschilderten Zeit zu schrei¬
ben, und es ist nur sein eigner Geist, der sich in der Zeit spiegelt. Der Unter¬
schied ist augenscheinlich: bei Innocenz war das Princip unmittelbares Gefühl,
Leidenschaft, es füllte die Totalität seiner Seele; Hurter dagegen macht es sich durch
Reflexion zurecht, und zwar durch eine ziemlich oberflächliche Reflexion, denn das
bloße Antoritätsprincip ohne sittlichen Inhalt ist doch nur ein Ausweg sehr
schwacher, haltloser und verkümmerter Seelen. — Man brauchte nicht Katholik zu
sein, um im mittelalterlichen Papstthum eine große, vielleicht auch eine gute Er¬
scheinung zu fassen, denn es ist ein Unterschied zwischen dem Katholicismus vor
und nach der Reformation. Kurze Zeit vorher hatte I. Voigt eine ähnliche
Apologie Gregors VII. geschrieben, und die Kirche kam eilfertig, den reuigen Ketzer
in ihrem Schoß z» empfangen; aber Voigt wandte sich sehr entschieden ab, denn
er wußte, daß ein Princip für das elfte Jahrhundert sehr angemessen, und doch
für die Gegenwart unbrauchbar sein könne. — Auch bei Hurter sind die ersten Mo¬
tive zu seiner Sympathie weltlicher Natur, ihm imponirt die handgreiflicheManifesta-
tion der Idee in der erscheinenden Kirche (I. S. 78), ihre Stabilität, ihr Nutzen
für den allgemeinen Friede» (II. S. 710—11), ihr von dem Wechsel unabhängi-
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