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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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dessen, was lebendig im Herzen wogt, Anordnung wird dabei nicht erfordert,
Wärme, Tiefe, Aufrichtigkeit ist alles, was nöthig ist. Cromwells Gewohnheit zu
beten ist ein bemerkenswerther Zug in ihm... In dunkeln unlösbar scheinen¬
den Schwierigkeiten pflegten seine Officiere und er sich zu versammeln, und Stun¬
den, Tage lang im Gebet einander abzulösen bis irgend ein bestimmter Entschluß
unter ihnen aufstieg, irgend eine "Hoffmmgspforte", wie sie es nannten, sich
ihnen aufthat... War nicht der so entstandene Vorsatz in aller Wahrscheinlich¬
keit eben der beste, weiseste, welcher nunmehr ohne ferneres Bedenken zu verfol¬
gen war?. .. "Scheinheiligkeit?" Es wird einem nachgrade überdrüssig, das
wiederholen zu hören. Die es so heißen, sind nicht befugt, vou dergleichen Dingen
zu sprechen. Sie haben niemals einen Vorsatz, was man einen eigentlichen Vor¬
satz nennen kann, gesaßt. Sie begnügten sich damit, Auskunftsmittel, Abfindun¬
gen abzuschätzen und zu wägen; Stimmen, Rathschläge zu sammeln; sie befinden
sich niemals allein mit der Wahrheit und dem Wesen der Sache... In der
That waren auch seine wirklichen Reden, wie ich vermuthe, bei weitem nicht so
unberedt, unfertig, wie sie aussehen. Wir finden, daß er, was alle Redner zu
sein streben, ein eindringlicher Redner sogar im Parlament war. Es ward ihm
zugetraut, daß er mit jener rauhen, leidenschaftlichen Stimme immer etwas meinte,
und man wünschte zu wissen, was... In Betreff der "Lügen" Cromwells
wollen wir eins bemerken. Es ist damit vermuthlich so zugegangen: alle Par¬
teien fanden sich in ihm getäuscht; jede Partei verstand ihn in ihrer Weise. . .
Ist dies nicht das unvermeidliche Schicksal, nicht eines falschen Menschen in sol¬
chen Zeiten, sondern lediglich eines überlegenen Menschen? Ein solcher Mensch
muß nothwendig Rückhalte in sich haben. Wenn er überall sein Herz auf dem
Aermel trägt, daß die Dohlen daran picken können, wird seine Reise nicht weit
gehen . . . Cromwell sprach ohne Zweifel oft im Dialekt kleiner untergeordneter
Parteien, äußerte gegen sie einen Theil seiner Gesinnung; jedwede kleine Partei
hielt ihn ganz und gar für den ihrigen... An jedem Punkt seines Geschichts¬
laufes mußte er unter solchen Leuten gefühlt haben, wie dieselben, wenn er ihnen
seine tiefere Einsicht eröffnete, entweder erschrocken davor zurückgebebt sein wür¬
den, oder falls sie darauf eingingen, wie alsdann ihre eigene beschränkte, aber in
sich feste Auffassung völlig erschüttert werden mußte... Es ist der Einfluß
zweier vorherrschender Irrthümer, was unser Urtheil über Männer wie Cromwell
in Betreff ihres "Ehrgeizes", ihrer "Falschheit" u. tgi. von Hausaus beeinträch¬
tigt. Der erste ist, daß man, so zu sagen, das Ende mit dem Ausgangspunkt und
Verfolg ihrer Laufbahn verwechselt. Der gemeine Geschichtschreiber eines Crom¬
well geht mit dem Gedanken zu Werk, als habe dieser den Vorsatz gehegt, Ver¬
treter von England zu werden, da er noch die Marschlande von Cambridgeshire
pflügte. Seine ganze Laufbahn habe ihm im Entwurf vorgeschwebt; ein Pro¬
gramm des gesammten Drama, das er hernach, als er dazu kam, mittelst allerlei


dessen, was lebendig im Herzen wogt, Anordnung wird dabei nicht erfordert,
Wärme, Tiefe, Aufrichtigkeit ist alles, was nöthig ist. Cromwells Gewohnheit zu
beten ist ein bemerkenswerther Zug in ihm... In dunkeln unlösbar scheinen¬
den Schwierigkeiten pflegten seine Officiere und er sich zu versammeln, und Stun¬
den, Tage lang im Gebet einander abzulösen bis irgend ein bestimmter Entschluß
unter ihnen aufstieg, irgend eine „Hoffmmgspforte", wie sie es nannten, sich
ihnen aufthat... War nicht der so entstandene Vorsatz in aller Wahrscheinlich¬
keit eben der beste, weiseste, welcher nunmehr ohne ferneres Bedenken zu verfol¬
gen war?. .. „Scheinheiligkeit?" Es wird einem nachgrade überdrüssig, das
wiederholen zu hören. Die es so heißen, sind nicht befugt, vou dergleichen Dingen
zu sprechen. Sie haben niemals einen Vorsatz, was man einen eigentlichen Vor¬
satz nennen kann, gesaßt. Sie begnügten sich damit, Auskunftsmittel, Abfindun¬
gen abzuschätzen und zu wägen; Stimmen, Rathschläge zu sammeln; sie befinden
sich niemals allein mit der Wahrheit und dem Wesen der Sache... In der
That waren auch seine wirklichen Reden, wie ich vermuthe, bei weitem nicht so
unberedt, unfertig, wie sie aussehen. Wir finden, daß er, was alle Redner zu
sein streben, ein eindringlicher Redner sogar im Parlament war. Es ward ihm
zugetraut, daß er mit jener rauhen, leidenschaftlichen Stimme immer etwas meinte,
und man wünschte zu wissen, was... In Betreff der „Lügen" Cromwells
wollen wir eins bemerken. Es ist damit vermuthlich so zugegangen: alle Par¬
teien fanden sich in ihm getäuscht; jede Partei verstand ihn in ihrer Weise. . .
Ist dies nicht das unvermeidliche Schicksal, nicht eines falschen Menschen in sol¬
chen Zeiten, sondern lediglich eines überlegenen Menschen? Ein solcher Mensch
muß nothwendig Rückhalte in sich haben. Wenn er überall sein Herz auf dem
Aermel trägt, daß die Dohlen daran picken können, wird seine Reise nicht weit
gehen . . . Cromwell sprach ohne Zweifel oft im Dialekt kleiner untergeordneter
Parteien, äußerte gegen sie einen Theil seiner Gesinnung; jedwede kleine Partei
hielt ihn ganz und gar für den ihrigen... An jedem Punkt seines Geschichts¬
laufes mußte er unter solchen Leuten gefühlt haben, wie dieselben, wenn er ihnen
seine tiefere Einsicht eröffnete, entweder erschrocken davor zurückgebebt sein wür¬
den, oder falls sie darauf eingingen, wie alsdann ihre eigene beschränkte, aber in
sich feste Auffassung völlig erschüttert werden mußte... Es ist der Einfluß
zweier vorherrschender Irrthümer, was unser Urtheil über Männer wie Cromwell
in Betreff ihres „Ehrgeizes", ihrer „Falschheit" u. tgi. von Hausaus beeinträch¬
tigt. Der erste ist, daß man, so zu sagen, das Ende mit dem Ausgangspunkt und
Verfolg ihrer Laufbahn verwechselt. Der gemeine Geschichtschreiber eines Crom¬
well geht mit dem Gedanken zu Werk, als habe dieser den Vorsatz gehegt, Ver¬
treter von England zu werden, da er noch die Marschlande von Cambridgeshire
pflügte. Seine ganze Laufbahn habe ihm im Entwurf vorgeschwebt; ein Pro¬
gramm des gesammten Drama, das er hernach, als er dazu kam, mittelst allerlei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/76>, abgerufen am 11.02.2025.