Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.Vom Propheten geht Carlyle zum Dichter über, und sagt über Dante und "Armer Cromwell, -- großer Cromwell! Der unarticulirte Prophet, ein 9*
Vom Propheten geht Carlyle zum Dichter über, und sagt über Dante und „Armer Cromwell, — großer Cromwell! Der unarticulirte Prophet, ein 9*
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Vom Propheten geht Carlyle zum Dichter über, und sagt über Dante und
Shakespeare verständige Worte; dann zum Priester; er schildert Luther, Knox
und die Reformation. „Der Gedanke, daß das Papstthum überhandnehme, daß
es eine Kirche baue und dergleichen mehr, kann uns als sehr müßig gelten . . .
schläfrige Salbadereien in nicht geringer Zahl, die sich Protestantismus nennen,
sind todt, aber der Protestantismus ist meines Wissens noch nicht abgestorben.
Der Protestantismus hat, wenn wir es recht betrachten, in diesen Tagen seinen
Göthe, seinen Napoleon herangebracht, die deutsche Literatur und die französische
Revolution, keine unnamhaste Lebenszeichen! Ja, im Grunde, was ist denn sonst
noch lebendig außer dem Protestantismus? Alles sonstige, was man noch an>
trifft, hat meist nur ein galvanisches Leben, eine Art des Daseins, die weder
angenehm noch dauerhaft ist!" — Unter den „Helden als Schriftsteller" wird
außer Rousseau namentlich Johnson hervorgehoben; eine Vorliebe, die Carlyle
eigenthümlich ist. Zum Schluß folgt der „Held als König", und darin eine
Schilderung Cromwells, die Krone des Buches, wie wir auszugsweise mittheilen.
„Armer Cromwell, — großer Cromwell! Der unarticulirte Prophet, ein
Prophet, der nicht sprechen konnte. Roh, verworren, nach Ausdruck ringend,
mit seiner wilde» Aufrichtigkeit; und er nahm sich so fremdartig ans unter den
zierlichen Schönrednern; niedlichen kleinen Falklands, didaktischen Chillingsworths,
diplomatischen Clarendons. Man betrachte ihn nur. Eine Außenseite von chaoti¬
scher Wirre, Teufelsvisionen, nervenkranken Träumen, fast Halbwahnsinn; und
dennoch solch eine helle entschlossene Manuesthatkrast mitten in alledem wirksam.
Ein chaotischer Mann. Der Strahl von lauterem Sternenlicht und Feuer, in
einem solchen Element gränzenloser Hypochondrie, gestaltlosen Schwarz der Fin¬
sterniß wirkend. Und dennoch, was war sogar diese Hypochondrie anders als gerade
die Größe des Mannes? Die Tiefe und Weichheit seines wilden Gemüths, die
Fülle von Mitgefühl für- die Dinge, die Fülle von Einsicht in das Wesen der
Dinge, die seiner noch wartet, die Meisterschaft, die er noch über sie erlangen
wird, das war seine Hypochondrie... Es ist der Charakter eines prophetischen
Menschen, eines Menschen, der mit seiner ganzen Seele sieht und nach Sehen
ringt... Ans diesem Grund gleichfalls erkläre ich mir Cromwells angebliche
Verworrenheit der Rede. Ihm selbst war der innere Sinn sonnenklar, aber der
Stoff, worin er diesen bei der Aeußerung zu kleiden hatte, stand nicht zu Gebote.
sein Leben war ein schweigsames gewesen, von einem großen unbenannten Meer
von Gedanken umschwebt all seine Tage lang, und in seiner Lebensart wenig
Veranlassung zum Versuch dies zu nennen oder auszusprechen. .. Verstand ist
nicht sprechen und logisch auseinandersetze»; es ist sehen und erkennen... Es
ist daher begreiflich, daß, obglich ihm das Reden im Parlament nicht geläufig war,
er dennoch predigen konnte, rhapsodisch predigen; vornehmlich aber wie groß er
in seinem Gebet sein mochte. Es ist dies unmittelbarer Erguß und Aeußerung
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