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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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daß man sich mit dem relativ besten begnüge. Auch Nachforschungen in dieser
Richtung geben unerfreuliche Resultate über die Entwickelung der bildenden Kunst
in Deutschland, die sich von allen Seiten her bestätigen.

Wirst man einen Blick ans die Reihe der Männer, welche vorläufig für diese
Sammluug bestimmt find, wie unglaublich dürftig ist die bildende Kunst vertreten!
Und doch hat dabei weder Unkunde noch Abneigung gewaltet. Die großen Na¬
men unserer Dichter kennt jeder und auch die Beschränkung auf die rechten wird
keinen erheblichen Zweifeln ausgesetzt sein, wo es nicht um einen ästhetischen
Kanon, sondern um die Anerkennung des Factischen sich handelt. Unter den
Männern der Wissenschaft diejenigen auszuwählen, welche unmittelbar die Gesammt-
bildung in einer Weise gefordert haben, daß sie nicht nur im Gedächtniß der
Fachgenossen, sondern auch der Nation fortleben, ist bei der Universalität unserer
Bildung schon schwieriger, da nicht alle so bestimmt hervortreten, wie die Phi¬
losophen: allein hier ist eS die Fülle, welche die Noth macht. Die Namen, welche
die deutsche Musik repräsentiren, weiß jedes Kind -- und nun dieses Vacuum in
der bildenden Kunst! Wir können keinen Bildhauer neunen, der durch schöpferische
Originalität in seiner Kunst Bahn gebrochen, und in diesem Sinne eine nationale
Größe erreicht hätte; Cornelius wird sein Platz unter den geistigen Heroen
unserer Nation nicht unbestritten bleiben, und selbst Schinkel, dessen Genia¬
lität sowenig als seine großen Verdienste geleugnet werden sollen, ist nicht in dem
Sinne ein Baumeister der Deutschen, wie unsere Dichter, Philosophen und
Musiker.

So steht es mit der bildenden Kunst Deutschlands seit einem Jahrhundert.
Kein Wunder, daß sich auch die gegen andere Nachtheile immerhin unwichtigere
Erscheinung zeigt, daß wir von den ausgezeichneten Männern der letzten hundert
Jahre so sehr wenig bedeutende Porträts besitzen. Dies macht sich ebenso auf¬
fallend als empfindlich schon bei Göthe geltend. Wir haben in Leipzig bei der
Göthefeier eine Sammlung von Göthebildern in seltener Vollständigkeit beisammen
gesehen, freilich meist nur in Nachbildungen: war auch nnr ein einziges darunter,
welches seine wunderbare Persönlichkeit so wiedergab, daß man wünschen möchte,
sie' in dieser Weise im Gedächtniß der Nation aufbehalten zu wissen? Das Bild,
welches hier zum ersten Male veröffentlicht wird, ist eine vergrößerte Copie nach
dem äußerst detaillirt ausgeführten Miniaturgemälde von L. Sebbers auf
Porzellan, das jetzt in der Bibliothek zu Weimar aufbewahrt wird, und von dem
Göthe am 12. August 1826 an Zelter schrieb: "Ein junger Porzellanmaler ans
Braunschweig hatte mir dnrch Vorzeigen von seinen Arbeiten soviel Vertrauen
und Neigung eingeflößt, daß ich seinen dringenden Wünschen nachgab und ihm
mehre Stunden gewährte. Das Bild ist zu aller Meuschen Zufriedenheit wohl¬
gerathen." Später antwortete dieser, dem es zugeschickt worden war: "Alle wol¬
len es haben, da es so überaus ähnlich ist. An meinen Wänden hängen gegen


daß man sich mit dem relativ besten begnüge. Auch Nachforschungen in dieser
Richtung geben unerfreuliche Resultate über die Entwickelung der bildenden Kunst
in Deutschland, die sich von allen Seiten her bestätigen.

Wirst man einen Blick ans die Reihe der Männer, welche vorläufig für diese
Sammluug bestimmt find, wie unglaublich dürftig ist die bildende Kunst vertreten!
Und doch hat dabei weder Unkunde noch Abneigung gewaltet. Die großen Na¬
men unserer Dichter kennt jeder und auch die Beschränkung auf die rechten wird
keinen erheblichen Zweifeln ausgesetzt sein, wo es nicht um einen ästhetischen
Kanon, sondern um die Anerkennung des Factischen sich handelt. Unter den
Männern der Wissenschaft diejenigen auszuwählen, welche unmittelbar die Gesammt-
bildung in einer Weise gefordert haben, daß sie nicht nur im Gedächtniß der
Fachgenossen, sondern auch der Nation fortleben, ist bei der Universalität unserer
Bildung schon schwieriger, da nicht alle so bestimmt hervortreten, wie die Phi¬
losophen: allein hier ist eS die Fülle, welche die Noth macht. Die Namen, welche
die deutsche Musik repräsentiren, weiß jedes Kind — und nun dieses Vacuum in
der bildenden Kunst! Wir können keinen Bildhauer neunen, der durch schöpferische
Originalität in seiner Kunst Bahn gebrochen, und in diesem Sinne eine nationale
Größe erreicht hätte; Cornelius wird sein Platz unter den geistigen Heroen
unserer Nation nicht unbestritten bleiben, und selbst Schinkel, dessen Genia¬
lität sowenig als seine großen Verdienste geleugnet werden sollen, ist nicht in dem
Sinne ein Baumeister der Deutschen, wie unsere Dichter, Philosophen und
Musiker.

So steht es mit der bildenden Kunst Deutschlands seit einem Jahrhundert.
Kein Wunder, daß sich auch die gegen andere Nachtheile immerhin unwichtigere
Erscheinung zeigt, daß wir von den ausgezeichneten Männern der letzten hundert
Jahre so sehr wenig bedeutende Porträts besitzen. Dies macht sich ebenso auf¬
fallend als empfindlich schon bei Göthe geltend. Wir haben in Leipzig bei der
Göthefeier eine Sammlung von Göthebildern in seltener Vollständigkeit beisammen
gesehen, freilich meist nur in Nachbildungen: war auch nnr ein einziges darunter,
welches seine wunderbare Persönlichkeit so wiedergab, daß man wünschen möchte,
sie' in dieser Weise im Gedächtniß der Nation aufbehalten zu wissen? Das Bild,
welches hier zum ersten Male veröffentlicht wird, ist eine vergrößerte Copie nach
dem äußerst detaillirt ausgeführten Miniaturgemälde von L. Sebbers auf
Porzellan, das jetzt in der Bibliothek zu Weimar aufbewahrt wird, und von dem
Göthe am 12. August 1826 an Zelter schrieb: „Ein junger Porzellanmaler ans
Braunschweig hatte mir dnrch Vorzeigen von seinen Arbeiten soviel Vertrauen
und Neigung eingeflößt, daß ich seinen dringenden Wünschen nachgab und ihm
mehre Stunden gewährte. Das Bild ist zu aller Meuschen Zufriedenheit wohl¬
gerathen." Später antwortete dieser, dem es zugeschickt worden war: „Alle wol¬
len es haben, da es so überaus ähnlich ist. An meinen Wänden hängen gegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/464>, abgerufen am 06.02.2025.