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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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jenem Hereinziehen des Bundestags in eine ihm fremde Angelegenheit die leb¬
hafteste "Anerkennung" gespendet hatten, in der nächsten Sitzung, blos acht
Tage später, sehr ernstliche Verwahrung einlegten gegen die Kompetenz des
Bundestags, der in ihren streitigen Verfassungöaugelegeuheiteu als entscheidende
Behörde angerufen worden war. Trotzdem sind es grade auch dieselben Staa¬
ten mit ihren enger Befreundeten -- um uicht zu sagen "Verbündeten", --
welche ein Bundespreßgesetz befürworten, wodurch jede Autonomie der Einzel¬
staaten nach dieser Richtung vernichtet werden soll.

Mit diesen Dilemmas sich zu beschäftigen, gewann indessen das Publicum
nur wenig Zeit. Täglich kamen neue Wiener telegraphische Depeschen über den
russisch-türkischen Kriegsgang, von denen meistens die folgende die vorhergehende
widerlegte, um sich selber abermals von der nächsten widerlegen zu lassen. Die
Unzuverlässigkeit ward allmälig so'groß, daß selbst die Börse kaum mehr eine
flüchtige Anwandlung von solchen Nachrichten empfand. Man hatte das Wvlfs-
geschrei übertrieben und die Papiere blieben unerbittlich liegen, es wurden keine
Käufe mehr "effectuirt", selbst der König der Werthzeichen schien sein zauber¬
volles Scepter nicht mehr in Bewegung setzen zu wollen, um ein und das andere
Zeichen seiner Wahrheit anzunähern.

Unterdessen dröhnte der Schall des benachbarten Kampfes zwischen hie¬
rarchischen Ansprüchen und dem guten Rechte des Staates so laut, daß ihn
selbst der türkisch-russische Kanonendonner uicht mehr überdröhnte. Der badische
Conflict drang um so tiefer in das öffentliche. Interesse, als wir hier bereits
seit langem die äußersten Brandungswellen dieses Sturmes schmerzlich genug
empfunden hatten und Herr Beda Weber in der politischen Haltung seiner Kir¬
chenreden, wie des unter seinen Auspielen erscheinenden katholischen Kirchen¬
blattes die Langmuth unserer Staatsgewalten gradezu herauszufordern scheint.
Man darf behaupten, das energische Vorschreiten Badens gegen den Erzbischof
von Freiburg, dessen ofterwähntes Alter unseres Erachtens mir ein Erschwe-
rungögrund seines gradezu revolutionären Vorschreitens ist, findet hier die all¬
gemeinste und lebhafteste Billigung. Man war vor allem auch darüber erfreut,
daß die dortige Regierung in ihren eigenen Organen dem Laude vollen Auf¬
schluß über ihre Maßregeln gab, während vorher verlautete, sie werde die An¬
gelegenheit, die alle Gemüther bewegt, des innersten Familienlebens nicht schont
und mit coiupacter Organisation den Staatsbestaud in. seinen innersten Grund-
vesten berührt, in der Presse ihres Staates gar nicht zur Besprechung kommen
lassen. Unmittelbar neben diesen Eindrücken mußte die Frage liegen: wie wird
die Stellung der mit Baden gleichbetheiligten Staaten sein? Wird auch sie sich ein¬
heitlich dem zunächst bedrohten Baden anschließen? Ueberall deuten die Zeichen dar¬
auf hin; nur ist der unmittelbare Conflict mit ihren Bischöfen noch nicht in das
Stadium getreten, wo der Uebergang von Erklärungen zu energischen Maßnah-


Grenzbotcn. IV. 1853. os

jenem Hereinziehen des Bundestags in eine ihm fremde Angelegenheit die leb¬
hafteste „Anerkennung" gespendet hatten, in der nächsten Sitzung, blos acht
Tage später, sehr ernstliche Verwahrung einlegten gegen die Kompetenz des
Bundestags, der in ihren streitigen Verfassungöaugelegeuheiteu als entscheidende
Behörde angerufen worden war. Trotzdem sind es grade auch dieselben Staa¬
ten mit ihren enger Befreundeten — um uicht zu sagen „Verbündeten", —
welche ein Bundespreßgesetz befürworten, wodurch jede Autonomie der Einzel¬
staaten nach dieser Richtung vernichtet werden soll.

Mit diesen Dilemmas sich zu beschäftigen, gewann indessen das Publicum
nur wenig Zeit. Täglich kamen neue Wiener telegraphische Depeschen über den
russisch-türkischen Kriegsgang, von denen meistens die folgende die vorhergehende
widerlegte, um sich selber abermals von der nächsten widerlegen zu lassen. Die
Unzuverlässigkeit ward allmälig so'groß, daß selbst die Börse kaum mehr eine
flüchtige Anwandlung von solchen Nachrichten empfand. Man hatte das Wvlfs-
geschrei übertrieben und die Papiere blieben unerbittlich liegen, es wurden keine
Käufe mehr „effectuirt", selbst der König der Werthzeichen schien sein zauber¬
volles Scepter nicht mehr in Bewegung setzen zu wollen, um ein und das andere
Zeichen seiner Wahrheit anzunähern.

Unterdessen dröhnte der Schall des benachbarten Kampfes zwischen hie¬
rarchischen Ansprüchen und dem guten Rechte des Staates so laut, daß ihn
selbst der türkisch-russische Kanonendonner uicht mehr überdröhnte. Der badische
Conflict drang um so tiefer in das öffentliche. Interesse, als wir hier bereits
seit langem die äußersten Brandungswellen dieses Sturmes schmerzlich genug
empfunden hatten und Herr Beda Weber in der politischen Haltung seiner Kir¬
chenreden, wie des unter seinen Auspielen erscheinenden katholischen Kirchen¬
blattes die Langmuth unserer Staatsgewalten gradezu herauszufordern scheint.
Man darf behaupten, das energische Vorschreiten Badens gegen den Erzbischof
von Freiburg, dessen ofterwähntes Alter unseres Erachtens mir ein Erschwe-
rungögrund seines gradezu revolutionären Vorschreitens ist, findet hier die all¬
gemeinste und lebhafteste Billigung. Man war vor allem auch darüber erfreut,
daß die dortige Regierung in ihren eigenen Organen dem Laude vollen Auf¬
schluß über ihre Maßregeln gab, während vorher verlautete, sie werde die An¬
gelegenheit, die alle Gemüther bewegt, des innersten Familienlebens nicht schont
und mit coiupacter Organisation den Staatsbestaud in. seinen innersten Grund-
vesten berührt, in der Presse ihres Staates gar nicht zur Besprechung kommen
lassen. Unmittelbar neben diesen Eindrücken mußte die Frage liegen: wie wird
die Stellung der mit Baden gleichbetheiligten Staaten sein? Wird auch sie sich ein¬
heitlich dem zunächst bedrohten Baden anschließen? Ueberall deuten die Zeichen dar¬
auf hin; nur ist der unmittelbare Conflict mit ihren Bischöfen noch nicht in das
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[0441] jenem Hereinziehen des Bundestags in eine ihm fremde Angelegenheit die leb¬ hafteste „Anerkennung" gespendet hatten, in der nächsten Sitzung, blos acht Tage später, sehr ernstliche Verwahrung einlegten gegen die Kompetenz des Bundestags, der in ihren streitigen Verfassungöaugelegeuheiteu als entscheidende Behörde angerufen worden war. Trotzdem sind es grade auch dieselben Staa¬ ten mit ihren enger Befreundeten — um uicht zu sagen „Verbündeten", — welche ein Bundespreßgesetz befürworten, wodurch jede Autonomie der Einzel¬ staaten nach dieser Richtung vernichtet werden soll. Mit diesen Dilemmas sich zu beschäftigen, gewann indessen das Publicum nur wenig Zeit. Täglich kamen neue Wiener telegraphische Depeschen über den russisch-türkischen Kriegsgang, von denen meistens die folgende die vorhergehende widerlegte, um sich selber abermals von der nächsten widerlegen zu lassen. Die Unzuverlässigkeit ward allmälig so'groß, daß selbst die Börse kaum mehr eine flüchtige Anwandlung von solchen Nachrichten empfand. Man hatte das Wvlfs- geschrei übertrieben und die Papiere blieben unerbittlich liegen, es wurden keine Käufe mehr „effectuirt", selbst der König der Werthzeichen schien sein zauber¬ volles Scepter nicht mehr in Bewegung setzen zu wollen, um ein und das andere Zeichen seiner Wahrheit anzunähern. Unterdessen dröhnte der Schall des benachbarten Kampfes zwischen hie¬ rarchischen Ansprüchen und dem guten Rechte des Staates so laut, daß ihn selbst der türkisch-russische Kanonendonner uicht mehr überdröhnte. Der badische Conflict drang um so tiefer in das öffentliche. Interesse, als wir hier bereits seit langem die äußersten Brandungswellen dieses Sturmes schmerzlich genug empfunden hatten und Herr Beda Weber in der politischen Haltung seiner Kir¬ chenreden, wie des unter seinen Auspielen erscheinenden katholischen Kirchen¬ blattes die Langmuth unserer Staatsgewalten gradezu herauszufordern scheint. Man darf behaupten, das energische Vorschreiten Badens gegen den Erzbischof von Freiburg, dessen ofterwähntes Alter unseres Erachtens mir ein Erschwe- rungögrund seines gradezu revolutionären Vorschreitens ist, findet hier die all¬ gemeinste und lebhafteste Billigung. Man war vor allem auch darüber erfreut, daß die dortige Regierung in ihren eigenen Organen dem Laude vollen Auf¬ schluß über ihre Maßregeln gab, während vorher verlautete, sie werde die An¬ gelegenheit, die alle Gemüther bewegt, des innersten Familienlebens nicht schont und mit coiupacter Organisation den Staatsbestaud in. seinen innersten Grund- vesten berührt, in der Presse ihres Staates gar nicht zur Besprechung kommen lassen. Unmittelbar neben diesen Eindrücken mußte die Frage liegen: wie wird die Stellung der mit Baden gleichbetheiligten Staaten sein? Wird auch sie sich ein¬ heitlich dem zunächst bedrohten Baden anschließen? Ueberall deuten die Zeichen dar¬ auf hin; nur ist der unmittelbare Conflict mit ihren Bischöfen noch nicht in das Stadium getreten, wo der Uebergang von Erklärungen zu energischen Maßnah- Grenzbotcn. IV. 1853. os

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/441>, abgerufen am 06.02.2025.