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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Anmaßung des subjectiven Rechtsgefühls, derselbe Hochmuth der von Gott
verlassenen Vernunft, derselbe Fanatismus der heidnischen Tugend aufträte, und
wie Adrienne von Cardoville wegen ihrer Idee, nach eigener Willkür und
Vernunft die sittlichen Verhältnisse regeln zu wollen, mit Recht von den Jesuiten
ins Irrenhaus eingesperrt sei, weil die Einbildung, in seinem Innern das Recht
und die Wahrheit des Lebens zu haben, in der That Wahnsinn genannt werden
müsse. Und denselben Wahnsinn stellt er als das charakteristische Kennzeichen der
französischen Revolution dar. Im vierten Bande seiner "Universalgeschichte" S. 728
beschuldigt er diese Revolution, ein in der Weltgeschichte ganz unerhörter Frevel
zu sei", weil sie nicht von egoistischen, individuellen Interessen, sondern von einer
allgemeinen Idee des Rechts ausging. Und zwar ist dieses Motiv der Verurtheilung
nicht von Leo erfunden; es wird fast von allen Feinden der Revolution vorgebracht.
Eigentlich hätte mau doch einen Fortschritt der allgemein-menschlichen Bildung
und Sitte in diesem Ueberwiegen der ideellen Interessen über die materiellen
finden und das Frevelhafte der Revolution anderwärts suchen sollen, nämlich in
dem Leichtsinn, womit über die historischen Voraussetzungen hinweggegangen
wurde. Wenn die Abneigung gegen den Idealismus eine aufrichtige war, so
hätte sie nicht blos gegen die Revolution, sondern gegen jede religiöse Bewegung
gerichtet sein sollen, die stets von einem idealistischen Motiv getragen wird. Allein
der eigentliche Grund war auch nicht Abneigung gegen den Idealismus überhaupt,
sondern nur Abneigung gegen das Bestreben, die Idealität inner¬
halb des weltlichen Wesens finden und herstelle" zu wollen, weil
das Ideal ein jenseitiges sein soll. Und diese Färbung, deren sich unter den
Gegnern der Revolution nnr wenige vollständig bewußt werden, gibt ihrem Kampfe
etwas Romantisches, sentimentales und Hoffnungsloses; denn wir mögen durch
unsere neuere" Forschungen über die unhistorischen Motive der revolutionären
Bestrebungen noch soweit hinaus sein, wir möge" die oberflächlichen Abstractionen
derselben durch die Vertiefung unserer sittlichen Bildung noch so entschieden
überwunden haben, nicht blos der wesentliche Gehalt der damals nach eiuer
Gestaltung ringenden Gedanken, sondern auch die idealistische Form derselben
bleibt dennoch die unserige, und auch die Vertreter der Reaction können sich,
wenn sie überhaupt wirken "vollen, dem Einfluß dieses ans d"s weltliche Wesen
übertragenen Idealismus nicht entziehen.

Vielleicht ist es das unbehagliche Gefühl, das feindliche Princip in der eigenen
Seele zu tragen, was die Augriffe der reactionären Schriftsteller gegen den
Liberalismus so erbittert macht und so sehr ins Kleinliche zieht. Bei denjenigen
Ständen, die durch die Revolutionen in ihren unmittelbaren Interessen gefährdet
wurden, war eine solche Form des Kampfes wol natürlich; aber die meisten
Gegner der Revolution sind ans dem Bürgerstande hervorgegangen. Man wird Leo
kaum unrecht thun, wenn man von ihm behauptet, daß er alle seine Kampfgenossen


Anmaßung des subjectiven Rechtsgefühls, derselbe Hochmuth der von Gott
verlassenen Vernunft, derselbe Fanatismus der heidnischen Tugend aufträte, und
wie Adrienne von Cardoville wegen ihrer Idee, nach eigener Willkür und
Vernunft die sittlichen Verhältnisse regeln zu wollen, mit Recht von den Jesuiten
ins Irrenhaus eingesperrt sei, weil die Einbildung, in seinem Innern das Recht
und die Wahrheit des Lebens zu haben, in der That Wahnsinn genannt werden
müsse. Und denselben Wahnsinn stellt er als das charakteristische Kennzeichen der
französischen Revolution dar. Im vierten Bande seiner „Universalgeschichte" S. 728
beschuldigt er diese Revolution, ein in der Weltgeschichte ganz unerhörter Frevel
zu sei», weil sie nicht von egoistischen, individuellen Interessen, sondern von einer
allgemeinen Idee des Rechts ausging. Und zwar ist dieses Motiv der Verurtheilung
nicht von Leo erfunden; es wird fast von allen Feinden der Revolution vorgebracht.
Eigentlich hätte mau doch einen Fortschritt der allgemein-menschlichen Bildung
und Sitte in diesem Ueberwiegen der ideellen Interessen über die materiellen
finden und das Frevelhafte der Revolution anderwärts suchen sollen, nämlich in
dem Leichtsinn, womit über die historischen Voraussetzungen hinweggegangen
wurde. Wenn die Abneigung gegen den Idealismus eine aufrichtige war, so
hätte sie nicht blos gegen die Revolution, sondern gegen jede religiöse Bewegung
gerichtet sein sollen, die stets von einem idealistischen Motiv getragen wird. Allein
der eigentliche Grund war auch nicht Abneigung gegen den Idealismus überhaupt,
sondern nur Abneigung gegen das Bestreben, die Idealität inner¬
halb des weltlichen Wesens finden und herstelle» zu wollen, weil
das Ideal ein jenseitiges sein soll. Und diese Färbung, deren sich unter den
Gegnern der Revolution nnr wenige vollständig bewußt werden, gibt ihrem Kampfe
etwas Romantisches, sentimentales und Hoffnungsloses; denn wir mögen durch
unsere neuere» Forschungen über die unhistorischen Motive der revolutionären
Bestrebungen noch soweit hinaus sein, wir möge» die oberflächlichen Abstractionen
derselben durch die Vertiefung unserer sittlichen Bildung noch so entschieden
überwunden haben, nicht blos der wesentliche Gehalt der damals nach eiuer
Gestaltung ringenden Gedanken, sondern auch die idealistische Form derselben
bleibt dennoch die unserige, und auch die Vertreter der Reaction können sich,
wenn sie überhaupt wirken »vollen, dem Einfluß dieses ans d«s weltliche Wesen
übertragenen Idealismus nicht entziehen.

Vielleicht ist es das unbehagliche Gefühl, das feindliche Princip in der eigenen
Seele zu tragen, was die Augriffe der reactionären Schriftsteller gegen den
Liberalismus so erbittert macht und so sehr ins Kleinliche zieht. Bei denjenigen
Ständen, die durch die Revolutionen in ihren unmittelbaren Interessen gefährdet
wurden, war eine solche Form des Kampfes wol natürlich; aber die meisten
Gegner der Revolution sind ans dem Bürgerstande hervorgegangen. Man wird Leo
kaum unrecht thun, wenn man von ihm behauptet, daß er alle seine Kampfgenossen


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[0416] Anmaßung des subjectiven Rechtsgefühls, derselbe Hochmuth der von Gott verlassenen Vernunft, derselbe Fanatismus der heidnischen Tugend aufträte, und wie Adrienne von Cardoville wegen ihrer Idee, nach eigener Willkür und Vernunft die sittlichen Verhältnisse regeln zu wollen, mit Recht von den Jesuiten ins Irrenhaus eingesperrt sei, weil die Einbildung, in seinem Innern das Recht und die Wahrheit des Lebens zu haben, in der That Wahnsinn genannt werden müsse. Und denselben Wahnsinn stellt er als das charakteristische Kennzeichen der französischen Revolution dar. Im vierten Bande seiner „Universalgeschichte" S. 728 beschuldigt er diese Revolution, ein in der Weltgeschichte ganz unerhörter Frevel zu sei», weil sie nicht von egoistischen, individuellen Interessen, sondern von einer allgemeinen Idee des Rechts ausging. Und zwar ist dieses Motiv der Verurtheilung nicht von Leo erfunden; es wird fast von allen Feinden der Revolution vorgebracht. Eigentlich hätte mau doch einen Fortschritt der allgemein-menschlichen Bildung und Sitte in diesem Ueberwiegen der ideellen Interessen über die materiellen finden und das Frevelhafte der Revolution anderwärts suchen sollen, nämlich in dem Leichtsinn, womit über die historischen Voraussetzungen hinweggegangen wurde. Wenn die Abneigung gegen den Idealismus eine aufrichtige war, so hätte sie nicht blos gegen die Revolution, sondern gegen jede religiöse Bewegung gerichtet sein sollen, die stets von einem idealistischen Motiv getragen wird. Allein der eigentliche Grund war auch nicht Abneigung gegen den Idealismus überhaupt, sondern nur Abneigung gegen das Bestreben, die Idealität inner¬ halb des weltlichen Wesens finden und herstelle» zu wollen, weil das Ideal ein jenseitiges sein soll. Und diese Färbung, deren sich unter den Gegnern der Revolution nnr wenige vollständig bewußt werden, gibt ihrem Kampfe etwas Romantisches, sentimentales und Hoffnungsloses; denn wir mögen durch unsere neuere» Forschungen über die unhistorischen Motive der revolutionären Bestrebungen noch soweit hinaus sein, wir möge» die oberflächlichen Abstractionen derselben durch die Vertiefung unserer sittlichen Bildung noch so entschieden überwunden haben, nicht blos der wesentliche Gehalt der damals nach eiuer Gestaltung ringenden Gedanken, sondern auch die idealistische Form derselben bleibt dennoch die unserige, und auch die Vertreter der Reaction können sich, wenn sie überhaupt wirken »vollen, dem Einfluß dieses ans d«s weltliche Wesen übertragenen Idealismus nicht entziehen. Vielleicht ist es das unbehagliche Gefühl, das feindliche Princip in der eigenen Seele zu tragen, was die Augriffe der reactionären Schriftsteller gegen den Liberalismus so erbittert macht und so sehr ins Kleinliche zieht. Bei denjenigen Ständen, die durch die Revolutionen in ihren unmittelbaren Interessen gefährdet wurden, war eine solche Form des Kampfes wol natürlich; aber die meisten Gegner der Revolution sind ans dem Bürgerstande hervorgegangen. Man wird Leo kaum unrecht thun, wenn man von ihm behauptet, daß er alle seine Kampfgenossen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/416>, abgerufen am 06.02.2025.