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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Kritik im Kladderadatsch, und doch lag eine wahre Idee zu Grunde, die nicht
einmal paradox, ja kaum originell zu nennen ist. Alle Welt weiß, daß ein
langdauernder Friede neben den großen Segnungen,, die er für die Civilisation
mit sich führt, anch mit vielen Bedenken verknüpft ist, daß er den Muth und
die Aufopferungsfähigkeit erschlafft, daß er die Gemüther der Menschen in den
Aberglauben des materiellen Besitzes einwiegt und sie entwöhnt, sich einer Idee
hinzugebe". Sowie man von dem einzelnen Menschen ganz mit Recht sagen kann,
daß ein großes Unglück, wenn im übrigen seine Natur nnr gesund ist, seine
Seele stählt und adelt, so ist es auch mit den Völkern, nnr ist es eine unerhörte
Vermessenheit und eine freventliche Herausforderung des Schicksals, deshalb das
Unglück herbeizuwünschen. Der Krieg bleibt immer ein Unglück, wenn er auch
zu gewisse" Zeiten und unter gewissen Bedingungen ans ein Volk ebenso segens¬
reich einwirken kann, wie ein Gewitter ans die Atmosphäre. Allein diese Ein-
seitigkeit ist charakteristisch für Leo. Sei" Gemüth wird immer nur nach einer
Seite hin bewegt, von eüier Idee, einer Stimmung oder auch gradezu vou einer
phantastischen Abstraction, und wenn auch diese eine gewisse Wahrheit einschließt,
so fehlt ihr doch jene höhere Wahrheit, die nnr aus einer ruhigen Ueberlegung
und aus festen sittlichen Maximen hervorgeht. Es ist aber nichts leichter, als
ihn bei seinen schwachen Seiten anzugreifen, wir ziehe" es vor, i" ihm auf
jene Mischung positiver und negativer Momente aufmerksam zu mache", die er
mit der gesammten Romantik theilt und die er in seiner Bildung so' energisch
entwickelt hat, wie kein anderer Schriftsteller unseres Zeitalters.

Leo ist im Jahre zu Nudolöstadt gehöre" und gerieth als Student
im Jahre 1817 i" die Hände der damals herrschenden Deutschthümler. Namentlich
Jahr, der Turnvater, wirkte sehr lebhaft auf ihn el". Mit Wolfgang Menzel,
Karl Fvllenius und ander" Burschenschafter" stand er in, nahen Verkehr. Jena,
wo er se"tiree, gehörte damals z" de" Haiiptschen dieser Richtung. Allein vo"
de" demagogische" Tendenzen derselben niacbte er sich bald los, scho" als er sich
nach Göttingen übersiedelte, wo er sich hauptsächlich mit dem quellenmäßigen
Studium des Mittelalters beschäftigte. Es macht ihm Ehre, daß er den positiven
Gehalt dieser burschenschaftlichen.Periode tren bewahrt hat*); der Abschnitt seiner
allgemeinen Geschichte, der von der Erhebung des deutschen Volkes gegen
Napoleon handelt, gehört zu de" würdigste" Darstellungen dieser großen Zeit,
und zeigt, daß wenigstens dieser Kern des deutschen Lebens i" seiner Seele
kräftige Wurzeln geschlagen hat. Eine andere Richtung wurde seiner Bildung
gegeben, als er 1821 nach Berlin ging und sich den eifrigsten Schülern Hegels



Freilich Hot er. auch wol jener Zeit den burlesken Stil zu verdanken, sowie die seltsamen
Erfindungen in der Orthographie und in der Bezeichnung vou Städte- und Personenname",
welche, namentlich seine Uevcrsetzmig der französischen und italienischen Ätädtcncunen ins Alt¬
deutsche , seine Erzählungen zuweilen ganz ungenießbar machen.

Kritik im Kladderadatsch, und doch lag eine wahre Idee zu Grunde, die nicht
einmal paradox, ja kaum originell zu nennen ist. Alle Welt weiß, daß ein
langdauernder Friede neben den großen Segnungen,, die er für die Civilisation
mit sich führt, anch mit vielen Bedenken verknüpft ist, daß er den Muth und
die Aufopferungsfähigkeit erschlafft, daß er die Gemüther der Menschen in den
Aberglauben des materiellen Besitzes einwiegt und sie entwöhnt, sich einer Idee
hinzugebe». Sowie man von dem einzelnen Menschen ganz mit Recht sagen kann,
daß ein großes Unglück, wenn im übrigen seine Natur nnr gesund ist, seine
Seele stählt und adelt, so ist es auch mit den Völkern, nnr ist es eine unerhörte
Vermessenheit und eine freventliche Herausforderung des Schicksals, deshalb das
Unglück herbeizuwünschen. Der Krieg bleibt immer ein Unglück, wenn er auch
zu gewisse» Zeiten und unter gewissen Bedingungen ans ein Volk ebenso segens¬
reich einwirken kann, wie ein Gewitter ans die Atmosphäre. Allein diese Ein-
seitigkeit ist charakteristisch für Leo. Sei» Gemüth wird immer nur nach einer
Seite hin bewegt, von eüier Idee, einer Stimmung oder auch gradezu vou einer
phantastischen Abstraction, und wenn auch diese eine gewisse Wahrheit einschließt,
so fehlt ihr doch jene höhere Wahrheit, die nnr aus einer ruhigen Ueberlegung
und aus festen sittlichen Maximen hervorgeht. Es ist aber nichts leichter, als
ihn bei seinen schwachen Seiten anzugreifen, wir ziehe» es vor, i» ihm auf
jene Mischung positiver und negativer Momente aufmerksam zu mache», die er
mit der gesammten Romantik theilt und die er in seiner Bildung so' energisch
entwickelt hat, wie kein anderer Schriftsteller unseres Zeitalters.

Leo ist im Jahre zu Nudolöstadt gehöre» und gerieth als Student
im Jahre 1817 i» die Hände der damals herrschenden Deutschthümler. Namentlich
Jahr, der Turnvater, wirkte sehr lebhaft auf ihn el». Mit Wolfgang Menzel,
Karl Fvllenius und ander» Burschenschafter» stand er in, nahen Verkehr. Jena,
wo er se»tiree, gehörte damals z» de» Haiiptschen dieser Richtung. Allein vo»
de» demagogische» Tendenzen derselben niacbte er sich bald los, scho» als er sich
nach Göttingen übersiedelte, wo er sich hauptsächlich mit dem quellenmäßigen
Studium des Mittelalters beschäftigte. Es macht ihm Ehre, daß er den positiven
Gehalt dieser burschenschaftlichen.Periode tren bewahrt hat*); der Abschnitt seiner
allgemeinen Geschichte, der von der Erhebung des deutschen Volkes gegen
Napoleon handelt, gehört zu de» würdigste» Darstellungen dieser großen Zeit,
und zeigt, daß wenigstens dieser Kern des deutschen Lebens i» seiner Seele
kräftige Wurzeln geschlagen hat. Eine andere Richtung wurde seiner Bildung
gegeben, als er 1821 nach Berlin ging und sich den eifrigsten Schülern Hegels



Freilich Hot er. auch wol jener Zeit den burlesken Stil zu verdanken, sowie die seltsamen
Erfindungen in der Orthographie und in der Bezeichnung vou Städte- und Personenname»,
welche, namentlich seine Uevcrsetzmig der französischen und italienischen Ätädtcncunen ins Alt¬
deutsche , seine Erzählungen zuweilen ganz ungenießbar machen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/410>, abgerufen am 11.02.2025.