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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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fast nur nominelle Censur gegen Schriften aus dem Ausland. Kurz, es wurde
sowenig regiert als möglich und das Land fing dabei an aufzubinden.

Aber die Nachbarschaft Rußlands ist der Fluch der Walachei. Mehre Mal
hatte das Laud begonnen, sich zu heben, da kamen immer die russisch-türkischen
Conflicte dazwischen und zerstörten alle guten Anfänge. Das sich hebende
Schulwesen und die beginnende Literatur wurden durch den Einmarsch der Russen
1848 vernichtet. Die wenigen guten und für die Hebung der Nation thätig
wirkenden Köpfe mußten das Land verlassen. Das war unter Bibeskos Ver¬
waltung. Sein Bruder Stirbei kam 1849 zur Regierung. Er ist ein Fünfziger,
über mittle Größe, Franzosen- und Frauenfreund. Er soll viel Bildung besitzen,
einige behaupten sogar Geist. Zur Charakteristik, wie auch als Beitrag zur
Beurtheilung der Bildung und Anschauungsweise der höhern Schichten folgendes.
In einer Gesellschaft gerieth ich mit einem jungen Bojaren in Wortwechsel über
den Werth von Franzosen und Deutschen. Letztere sollten nicht einmal Philosophen
haben. Ich zählte einige Koryphäen auf. "Hin" sagte mein Gegner zu meiner
Widerlegung, "es hat jemand vor dem Fürsten einen Satz citirt, dieser fragte,
von wem iber Satz sei, und entgegnete ans die Urwort, er sei von Kant: Bah,
ein Deutscher!"

Man erzählt von dem Fürsten, daß er schon bei der Wahl seines Bruders, wo
auch er auf der Kandidatenliste stand, sich in der festen Ueberzeugung, daß er
gewählt werden würde, einen Thron habe fertigen lassen, ans welchem er sich
täglich ewige Stunden in Stellungen versuchte.

Aber nnter diesen Fürsten ist doch mehr geschehen für das Land, als jemals
uuter dem genialsten russischen Statthalter geschehen dürfte. Die Landesschuld
war Anfang 18S3 von 30 Millionen Piaster (31 Vs Piaster ^- 1 Ducaten) auf
sechs herabgebracht worden; eine sehr schöne Straße in der Richtung nach Kronstäbe
war im Ban begriffen; die Hauptstadt hatte ein großes, prachtvolles Theater
erhalten, ein großer Sumpf war in den prächtigen Volksgarten Tschischme-Jon
umgewandelt, das Schulwesen unter der Leitung des humanen, vielseitig und
gründlich gebildete" Cnltnsministers or. Arsakje, eines reichen Griechen, Gründers
des Arsakäums zu Athen, wieder organisirt worden.

Ob die fürs Armeebndget bestimmte Summe wirklich, zur Unterhaltung der
gesetzmäßigen Trnppcnzahl verwendet wurde, oder ob der Fürst sich selbst den
Werth einer Armee zuschrieb und den Sold für einige tausend Mann zu seinem
Einkommen schlug -- konnte dem Lande bei seinen gegenwärtigen Verhältnissen
im Grunde ziemlich gleichgiltig sei", da die Soldaten für die Walachei von keiner
Bedeutung sind, und höchstens zur Verstärkung der russische" Macht diene". Die
Soldaten sind entschieden russisch gesinnt. "Warum kaufst du nicht das Bild des
Sultans?" fragte ein Bilderhändler einen Soldaten, der ein Bild des Zaren
forderte. "Dem gehört das Land, wir aber dem Zaren", lautete die Autwort.


fast nur nominelle Censur gegen Schriften aus dem Ausland. Kurz, es wurde
sowenig regiert als möglich und das Land fing dabei an aufzubinden.

Aber die Nachbarschaft Rußlands ist der Fluch der Walachei. Mehre Mal
hatte das Laud begonnen, sich zu heben, da kamen immer die russisch-türkischen
Conflicte dazwischen und zerstörten alle guten Anfänge. Das sich hebende
Schulwesen und die beginnende Literatur wurden durch den Einmarsch der Russen
1848 vernichtet. Die wenigen guten und für die Hebung der Nation thätig
wirkenden Köpfe mußten das Land verlassen. Das war unter Bibeskos Ver¬
waltung. Sein Bruder Stirbei kam 1849 zur Regierung. Er ist ein Fünfziger,
über mittle Größe, Franzosen- und Frauenfreund. Er soll viel Bildung besitzen,
einige behaupten sogar Geist. Zur Charakteristik, wie auch als Beitrag zur
Beurtheilung der Bildung und Anschauungsweise der höhern Schichten folgendes.
In einer Gesellschaft gerieth ich mit einem jungen Bojaren in Wortwechsel über
den Werth von Franzosen und Deutschen. Letztere sollten nicht einmal Philosophen
haben. Ich zählte einige Koryphäen auf. „Hin" sagte mein Gegner zu meiner
Widerlegung, „es hat jemand vor dem Fürsten einen Satz citirt, dieser fragte,
von wem iber Satz sei, und entgegnete ans die Urwort, er sei von Kant: Bah,
ein Deutscher!"

Man erzählt von dem Fürsten, daß er schon bei der Wahl seines Bruders, wo
auch er auf der Kandidatenliste stand, sich in der festen Ueberzeugung, daß er
gewählt werden würde, einen Thron habe fertigen lassen, ans welchem er sich
täglich ewige Stunden in Stellungen versuchte.

Aber nnter diesen Fürsten ist doch mehr geschehen für das Land, als jemals
uuter dem genialsten russischen Statthalter geschehen dürfte. Die Landesschuld
war Anfang 18S3 von 30 Millionen Piaster (31 Vs Piaster ^- 1 Ducaten) auf
sechs herabgebracht worden; eine sehr schöne Straße in der Richtung nach Kronstäbe
war im Ban begriffen; die Hauptstadt hatte ein großes, prachtvolles Theater
erhalten, ein großer Sumpf war in den prächtigen Volksgarten Tschischme-Jon
umgewandelt, das Schulwesen unter der Leitung des humanen, vielseitig und
gründlich gebildete» Cnltnsministers or. Arsakje, eines reichen Griechen, Gründers
des Arsakäums zu Athen, wieder organisirt worden.

Ob die fürs Armeebndget bestimmte Summe wirklich, zur Unterhaltung der
gesetzmäßigen Trnppcnzahl verwendet wurde, oder ob der Fürst sich selbst den
Werth einer Armee zuschrieb und den Sold für einige tausend Mann zu seinem
Einkommen schlug — konnte dem Lande bei seinen gegenwärtigen Verhältnissen
im Grunde ziemlich gleichgiltig sei», da die Soldaten für die Walachei von keiner
Bedeutung sind, und höchstens zur Verstärkung der russische» Macht diene». Die
Soldaten sind entschieden russisch gesinnt. „Warum kaufst du nicht das Bild des
Sultans?" fragte ein Bilderhändler einen Soldaten, der ein Bild des Zaren
forderte. „Dem gehört das Land, wir aber dem Zaren", lautete die Autwort.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/333>, abgerufen am 06.02.2025.