Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.Liebhaber, Herrn Leuchert, er ist aber hier für ernste Kunst wahrscheinlich schon Im Carltheater, in der freundlichen Leopoldstadt, einem Gebäude etwa So verschieden nun die Wirksamkeit und das Repertoir dieser Wiener Büh¬ Die Provinzicilbühnen in Oestreich sind der Abklatsch derer in der Re¬ Liebhaber, Herrn Leuchert, er ist aber hier für ernste Kunst wahrscheinlich schon Im Carltheater, in der freundlichen Leopoldstadt, einem Gebäude etwa So verschieden nun die Wirksamkeit und das Repertoir dieser Wiener Büh¬ Die Provinzicilbühnen in Oestreich sind der Abklatsch derer in der Re¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0322" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97027"/> <p xml:id="ID_954" prev="#ID_953"> Liebhaber, Herrn Leuchert, er ist aber hier für ernste Kunst wahrscheinlich schon<lb/> verdorben worden. Es ist aber auch sehr viel verlangt, wenn ein solcher Manu<lb/> in der Arena vier Wochen lang jeden Abend in dem Megerlcschcn Ausstattungs¬<lb/> stücke: „eine Bauernfamilie" die beiden Rollen zweier Zwillingsbruder, eines<lb/> Biedermannes und eines Hallunken spielen und sich dabei heiser schreien muß!<lb/> Aber wer einmal festsitzt in Oestreich und sich den dortigen „Ductus" des Ko¬<lb/> mödienspiels zu eigen gemacht hat, der kommt sehr schwer an bei einer besseren<lb/> Bühne „draußen in Deutschland".</p><lb/> <p xml:id="ID_955"> Im Carltheater, in der freundlichen Leopoldstadt, einem Gebäude etwa<lb/> wie das Hamburger Thaliatheater, nur größer und eleganter als jenes, mit roth-<lb/> braunen sammetnen Fauteuils möblirt, herrschen Nestroy, Scholz und Groiö, und<lb/> ihnen zur Seite als norddeutsches Element steht Carl Treumaun, früher am<lb/> Theater an der Wien Notes Nebenmann. Hier blüht die Nestroysche Posse und<lb/> andere Stücke, die von Flerx, Juiu, Graudjean und andern Theaterdichtern den<lb/> betreffenden Mitgliedern wie ein neues Kleid auf deu Leib geschneidert werden.<lb/> Auch hier finden unzählige Reprisen durchschlagender, namentlich Nestroyscher No¬<lb/> vitäten statt, aber im gauzeu herrscht doch eine gewisse Abwechselung im Reper-<lb/> toir und wenn norddeutsche Schauspieler von Ruf, wie neuerdings Döring, nicht<lb/> in der Burg gastiren, so gastircn sie „beim Carl". Carls Leitung ist jedenfalls<lb/> die talentvollste unter allen in Wiens Vorstädten; er führt seinem Publicum auch<lb/> die meisten norddeutschen und französischen kleinen Stücke und Vaudevilles vor,<lb/> und thut wohl daran. Freilich muß hier allem ein Wiener Mäntelchen umge-<lb/> hangen werden, um es den Leuten mundgerecht zu machen. So gab man neu¬<lb/> lich: ,,Ein Stündchen in der Schule" und hinterher: „Guten Morgen, Herr<lb/> Fischer!" Ersteres aber hieß ans dem Theaterzettel: „Die schlimmen Buben",<lb/> und das andere: „Servus, Herr Stutzcrl!" — Der Name thut hier nichts zur<lb/> Sache, das Geschäft blüht, und Herr Carl ist ein reicher Mann. Gehört ihm<lb/> doch in einem benachbarten Landstädtchen eine ganze Straße, die der Volkswitz<lb/> mit einer Anspielung auf jene Posse, welche ihm stattlichen Gewinn abgeworfen<lb/> hat, die „Lumpacigasse" nennt!</p><lb/> <p xml:id="ID_956"> So verschieden nun die Wirksamkeit und das Repertoir dieser Wiener Büh¬<lb/> nen ist, an einem Tage im Jahre kommen sie alle auf einen Gedanken, dies ist<lb/> am Vorabende des Allerseelentagcs. Man gibt dann hergebrachterweise an al¬<lb/> len Theatern, von der Burg bis zur Josefstadt, das alte Nanpachsche Rührspiel:<lb/> „Der Müller und sein Kind". Auf dem einen besser, auf dem andern weniger<lb/> gut. Ludwig Löwe soll in dem alten Müller eine Forcervlle besitzen, und es<lb/> bleibt an diesem Abend kein weibliches Auge thräueuleer.</p><lb/> <p xml:id="ID_957" next="#ID_958"> Die Provinzicilbühnen in Oestreich sind der Abklatsch derer in der Re¬<lb/> sidenz. Sie recrutiren ihr Personal auch meistens von dort her, wo eine Anzahl<lb/> Theateragenten, die Herren Holting, Adalbert Prix, Schreiber, Böhm ?c. den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0322]
Liebhaber, Herrn Leuchert, er ist aber hier für ernste Kunst wahrscheinlich schon
verdorben worden. Es ist aber auch sehr viel verlangt, wenn ein solcher Manu
in der Arena vier Wochen lang jeden Abend in dem Megerlcschcn Ausstattungs¬
stücke: „eine Bauernfamilie" die beiden Rollen zweier Zwillingsbruder, eines
Biedermannes und eines Hallunken spielen und sich dabei heiser schreien muß!
Aber wer einmal festsitzt in Oestreich und sich den dortigen „Ductus" des Ko¬
mödienspiels zu eigen gemacht hat, der kommt sehr schwer an bei einer besseren
Bühne „draußen in Deutschland".
Im Carltheater, in der freundlichen Leopoldstadt, einem Gebäude etwa
wie das Hamburger Thaliatheater, nur größer und eleganter als jenes, mit roth-
braunen sammetnen Fauteuils möblirt, herrschen Nestroy, Scholz und Groiö, und
ihnen zur Seite als norddeutsches Element steht Carl Treumaun, früher am
Theater an der Wien Notes Nebenmann. Hier blüht die Nestroysche Posse und
andere Stücke, die von Flerx, Juiu, Graudjean und andern Theaterdichtern den
betreffenden Mitgliedern wie ein neues Kleid auf deu Leib geschneidert werden.
Auch hier finden unzählige Reprisen durchschlagender, namentlich Nestroyscher No¬
vitäten statt, aber im gauzeu herrscht doch eine gewisse Abwechselung im Reper-
toir und wenn norddeutsche Schauspieler von Ruf, wie neuerdings Döring, nicht
in der Burg gastiren, so gastircn sie „beim Carl". Carls Leitung ist jedenfalls
die talentvollste unter allen in Wiens Vorstädten; er führt seinem Publicum auch
die meisten norddeutschen und französischen kleinen Stücke und Vaudevilles vor,
und thut wohl daran. Freilich muß hier allem ein Wiener Mäntelchen umge-
hangen werden, um es den Leuten mundgerecht zu machen. So gab man neu¬
lich: ,,Ein Stündchen in der Schule" und hinterher: „Guten Morgen, Herr
Fischer!" Ersteres aber hieß ans dem Theaterzettel: „Die schlimmen Buben",
und das andere: „Servus, Herr Stutzcrl!" — Der Name thut hier nichts zur
Sache, das Geschäft blüht, und Herr Carl ist ein reicher Mann. Gehört ihm
doch in einem benachbarten Landstädtchen eine ganze Straße, die der Volkswitz
mit einer Anspielung auf jene Posse, welche ihm stattlichen Gewinn abgeworfen
hat, die „Lumpacigasse" nennt!
So verschieden nun die Wirksamkeit und das Repertoir dieser Wiener Büh¬
nen ist, an einem Tage im Jahre kommen sie alle auf einen Gedanken, dies ist
am Vorabende des Allerseelentagcs. Man gibt dann hergebrachterweise an al¬
len Theatern, von der Burg bis zur Josefstadt, das alte Nanpachsche Rührspiel:
„Der Müller und sein Kind". Auf dem einen besser, auf dem andern weniger
gut. Ludwig Löwe soll in dem alten Müller eine Forcervlle besitzen, und es
bleibt an diesem Abend kein weibliches Auge thräueuleer.
Die Provinzicilbühnen in Oestreich sind der Abklatsch derer in der Re¬
sidenz. Sie recrutiren ihr Personal auch meistens von dort her, wo eine Anzahl
Theateragenten, die Herren Holting, Adalbert Prix, Schreiber, Böhm ?c. den
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