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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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zuvor eine Novität bei der ersten Aufführung durchgefallen, oder wo der Regen
einen Strich durch die anberaumte Arenavorstelluug macht, so daß plötzlich in der
Stadt eine Vorstellung improvisirt werden muß. Dann schlägt für die nord¬
deutschen Mimen die Stunde temvorärer Erlösung aus dem üblichen Ferienlcben.
Dann gibt man mit höchstens einer Probe eins jener alten Neservestücke, welche
an diesem Theater vorhanden sind: entweder ein Rührspiel im Dialekt wie etwa
"Da Lori und sei Burgei", oder aber "die Räuber", "Griseldis", "das Tur¬
nier zu Kronstein", "das Käthchen", "die deutschen Kleinstädter", ja auch wol gar
ein Gntzkowsches Drama, wenn es grade in der Bibliothek vorräthig und ausge¬
schrieben ist. Und wie gibt man diese Sachen! -- Leer findet man aber auch
an solchen Abenden das Theater nicht, denn auch für diese Stücke und für diese
Darstellungsweise gibt es Liebhaber, sei der Grund ihres Besuches auch nur die
Gewohnheit, grade in dieses Theater zu gehen, weil zu deu andern der Weg zu
weit, die Preise zu hoch ze. Ist aber trotz alledem einmal ein ganz leeres Haus
zu erwarten, so gibt man, um doch wenigstens den Schein zu retten und um sich
nicht sagen zu lassen, es sei leer gewesen, auf der Stelle eine Portion Frei¬
billets ans, wobei es auf ein paar Hundert mehr oder weniger nicht ankommt.

In der Josefstadt ist das kleinste Theater Wiens, in seinen innern Räumen
neu und recht freundlich decorirt und seit dem vorigen Jahre mit Gas beleuchtet.--
Dies Theater hält sich am schwersten, den" seine Winterräume fassen wenig, seine
Sommerarcua in Hernals liegt am äußersten Ende der Vorstädte Wiens, sein
Publicum ist das weniger bemittelte und seine Leitung läßt selbst bescheidenen
Ansprüchen gar vieles zu wünschen übrig. Herr Megcrle, oder eigentlich seine
Gattin, Frau Therese Megerle, steht an der Spitze dieser Bühne und versieht
zugleich, als Schriftstellerin von einigem Ruf in gewissen süddeutschen Kreise",
auch den Posten als Theaterdichterin und Dramatnrgin dieser Bühne. Auch
hier schreibe" außer ihr, wie an den übrigen Wiener Vorstadttheatern, fest besoldete
Dichter Stücke, die an keinem-der andern Theater gegeben werden dürfen und
deren Erfolg hier uoch mehr als dort eine Lebensfrage für den Unternehmer zu
sei" pflegt. Spectakelstücke, Rührspiele, Possen sind auch hier an der Tages¬
ordnung und ein neu hinzukommendes Element bilden hier noch: das Ballet, --
früher namentlich das Weißsche Kinderballet, -- hie und da Akrobaten, Taschen¬
spieler, Seiltänzer, Herr Klischnigg als Affe, das -1000 Wochen alte "Wunderkind",
Fräulein Constanze Geiger, und neuerdings die Zwerge Jean Piccolo und Jean
Petit, als Taschcuausgaben der Herren Nestroy und Scholz vom Carltheater. --
Das Publicum der Josefstadt ist ein eigenthümliches: Die Grisetten, Schneider-
mamsellö und andere Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts sind hier HabitnicS,
und es gehört zum guten Ton, entweder überhaupt dieses Theater nicht zu be¬
suchen, oder doch nicht viel davon zu sprechen, wenn man einmal drin gewesen.
Einen talentvollen Schauspieler besitzt diese Bühne in ihrem Helden und ersten


Grenzboten, IV. >8SZ. i<>

zuvor eine Novität bei der ersten Aufführung durchgefallen, oder wo der Regen
einen Strich durch die anberaumte Arenavorstelluug macht, so daß plötzlich in der
Stadt eine Vorstellung improvisirt werden muß. Dann schlägt für die nord¬
deutschen Mimen die Stunde temvorärer Erlösung aus dem üblichen Ferienlcben.
Dann gibt man mit höchstens einer Probe eins jener alten Neservestücke, welche
an diesem Theater vorhanden sind: entweder ein Rührspiel im Dialekt wie etwa
„Da Lori und sei Burgei", oder aber „die Räuber", „Griseldis", „das Tur¬
nier zu Kronstein", „das Käthchen", „die deutschen Kleinstädter", ja auch wol gar
ein Gntzkowsches Drama, wenn es grade in der Bibliothek vorräthig und ausge¬
schrieben ist. Und wie gibt man diese Sachen! — Leer findet man aber auch
an solchen Abenden das Theater nicht, denn auch für diese Stücke und für diese
Darstellungsweise gibt es Liebhaber, sei der Grund ihres Besuches auch nur die
Gewohnheit, grade in dieses Theater zu gehen, weil zu deu andern der Weg zu
weit, die Preise zu hoch ze. Ist aber trotz alledem einmal ein ganz leeres Haus
zu erwarten, so gibt man, um doch wenigstens den Schein zu retten und um sich
nicht sagen zu lassen, es sei leer gewesen, auf der Stelle eine Portion Frei¬
billets ans, wobei es auf ein paar Hundert mehr oder weniger nicht ankommt.

In der Josefstadt ist das kleinste Theater Wiens, in seinen innern Räumen
neu und recht freundlich decorirt und seit dem vorigen Jahre mit Gas beleuchtet.—
Dies Theater hält sich am schwersten, den» seine Winterräume fassen wenig, seine
Sommerarcua in Hernals liegt am äußersten Ende der Vorstädte Wiens, sein
Publicum ist das weniger bemittelte und seine Leitung läßt selbst bescheidenen
Ansprüchen gar vieles zu wünschen übrig. Herr Megcrle, oder eigentlich seine
Gattin, Frau Therese Megerle, steht an der Spitze dieser Bühne und versieht
zugleich, als Schriftstellerin von einigem Ruf in gewissen süddeutschen Kreise»,
auch den Posten als Theaterdichterin und Dramatnrgin dieser Bühne. Auch
hier schreibe» außer ihr, wie an den übrigen Wiener Vorstadttheatern, fest besoldete
Dichter Stücke, die an keinem-der andern Theater gegeben werden dürfen und
deren Erfolg hier uoch mehr als dort eine Lebensfrage für den Unternehmer zu
sei» pflegt. Spectakelstücke, Rührspiele, Possen sind auch hier an der Tages¬
ordnung und ein neu hinzukommendes Element bilden hier noch: das Ballet, —
früher namentlich das Weißsche Kinderballet, — hie und da Akrobaten, Taschen¬
spieler, Seiltänzer, Herr Klischnigg als Affe, das -1000 Wochen alte „Wunderkind",
Fräulein Constanze Geiger, und neuerdings die Zwerge Jean Piccolo und Jean
Petit, als Taschcuausgaben der Herren Nestroy und Scholz vom Carltheater. —
Das Publicum der Josefstadt ist ein eigenthümliches: Die Grisetten, Schneider-
mamsellö und andere Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts sind hier HabitnicS,
und es gehört zum guten Ton, entweder überhaupt dieses Theater nicht zu be¬
suchen, oder doch nicht viel davon zu sprechen, wenn man einmal drin gewesen.
Einen talentvollen Schauspieler besitzt diese Bühne in ihrem Helden und ersten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/321>, abgerufen am 06.02.2025.