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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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seit den letzten Jahren geschickt, und, wenn der profane Ausdruck hier erlaubt
ist, mit einer gewissen Eleganz gearbeitet hat. Nur das kurze etwas jugend¬
liche Gelüst nach der Besetzung Serbiens war eine Abweichung, welche schnell
reparirt wurde. Seit dem Streit über die Flüchtlinge, während dem böhmischen
Aufstand, in dem letzten montenegrinischen Kriege, durch die Sendung des Für¬
sten Leiningen bis zur gegenwärtigen Neutralitätserklärung ist Schritt für Schritt
das Zweckmäßige gethan worden. Und in guter Form. Die östreichische Diplo¬
matie, oft überschätzt und für schlauer gehalten, als sie grade war, hat der Tür¬
kei gegenüber ihre alten Vorzüge geltend gemacht: große Forderungen, Zähigkeit
im Behaupten, bequeme und liebenswürdige Formen im Verkehr und den An¬
schein eines harmlosen gutmüthigen Nachgebens, wenn es nicht anders sein konnte,
und dazu noch eine neue Eigenschaft gezeigt, welche dem jetzigen Oestreich eigen
ist, gewandte dramatische Wirkung.

Den heikeligen Streit wegen der Flüchtlinge hat das kaiserliche Cabinet mit
soviel Entschlossenheit und Festigkeit geführt, als ein Staat irgend aufwenden
konnte, der unter keinen Umständen als Rußlands Bundesgenosse wegen der Tür¬
kei mit England und vielleicht mit Frankreich Krieg führen durfte. Selbst als
man in der Hauptsache mit bitterem Gefühl der englischen Ansicht nachgeben
mußte, geschah das mit Würde und Haltung. Diese männliche Haltung hatte
den Orientalen imponirt; sie war das sicherste Mittel, ihre Achtung zu gewinnen.
Seit der Zeit bestand zwar für die nächste Folge noch ein gespanntes Ver¬
hältniß, das officielle Schmollen, aber bei der Pforte war die lebhafte Ueber¬
zeugung entstanden, daß es höchlich in ihrem Interesse liege, mit Oestreich wie¬
der auf besseren Fuß zu kommen. Als darauf die Hetzereien der russischen
Agenten in Bosnien und der Tod des Vladika die türkischen Südslawen zu Auf¬
stand und Krieg brachten, sah man in Wien sehr deutlich, daß es jetzt darauf
ankam, den Südslaweu zu imponiren und sich den Türken zu nähern. Oestreich
zeigte ein lebhaftes Interesse an dem Schicksal der Christen, zumal der Lateiner
in Bosnien, und nahm sogar den Anschein an, als ob ihm die Vernichtung der
Mvuteuegriuer ebenso unzweckmäßig erscheine, als den Russen. Es gab die
nöthigen Erklärungen und sendete den Fürsten Leiningen nach Konstantinopel,
um außer einigen kleinen Forderungen mildere Behandlung der böhmischen Christen
und eine Sistiruug der Feindseligkeiten durchzusetzen. Die würdige und geutile
Weise, in welcher diese Forderungen dnrch den Gesandten vertreten wurden,
machte ans die Pforte den gewünschten Eindruck. Sie benutzte die dargebotene
Gelegenheit, sich Oestreich nachgiebig zu zeigen; es fand eine entschiedene diplo¬
matische Annäherung zwischen beiden Regierungen statt und das Ansehn der
östreichischen Regierung stieg plötzlich hoch an der save und Unna und sogar in
den schwarzen Bergen.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß die glückliche Mission des Fürsten Leiningen


seit den letzten Jahren geschickt, und, wenn der profane Ausdruck hier erlaubt
ist, mit einer gewissen Eleganz gearbeitet hat. Nur das kurze etwas jugend¬
liche Gelüst nach der Besetzung Serbiens war eine Abweichung, welche schnell
reparirt wurde. Seit dem Streit über die Flüchtlinge, während dem böhmischen
Aufstand, in dem letzten montenegrinischen Kriege, durch die Sendung des Für¬
sten Leiningen bis zur gegenwärtigen Neutralitätserklärung ist Schritt für Schritt
das Zweckmäßige gethan worden. Und in guter Form. Die östreichische Diplo¬
matie, oft überschätzt und für schlauer gehalten, als sie grade war, hat der Tür¬
kei gegenüber ihre alten Vorzüge geltend gemacht: große Forderungen, Zähigkeit
im Behaupten, bequeme und liebenswürdige Formen im Verkehr und den An¬
schein eines harmlosen gutmüthigen Nachgebens, wenn es nicht anders sein konnte,
und dazu noch eine neue Eigenschaft gezeigt, welche dem jetzigen Oestreich eigen
ist, gewandte dramatische Wirkung.

Den heikeligen Streit wegen der Flüchtlinge hat das kaiserliche Cabinet mit
soviel Entschlossenheit und Festigkeit geführt, als ein Staat irgend aufwenden
konnte, der unter keinen Umständen als Rußlands Bundesgenosse wegen der Tür¬
kei mit England und vielleicht mit Frankreich Krieg führen durfte. Selbst als
man in der Hauptsache mit bitterem Gefühl der englischen Ansicht nachgeben
mußte, geschah das mit Würde und Haltung. Diese männliche Haltung hatte
den Orientalen imponirt; sie war das sicherste Mittel, ihre Achtung zu gewinnen.
Seit der Zeit bestand zwar für die nächste Folge noch ein gespanntes Ver¬
hältniß, das officielle Schmollen, aber bei der Pforte war die lebhafte Ueber¬
zeugung entstanden, daß es höchlich in ihrem Interesse liege, mit Oestreich wie¬
der auf besseren Fuß zu kommen. Als darauf die Hetzereien der russischen
Agenten in Bosnien und der Tod des Vladika die türkischen Südslawen zu Auf¬
stand und Krieg brachten, sah man in Wien sehr deutlich, daß es jetzt darauf
ankam, den Südslaweu zu imponiren und sich den Türken zu nähern. Oestreich
zeigte ein lebhaftes Interesse an dem Schicksal der Christen, zumal der Lateiner
in Bosnien, und nahm sogar den Anschein an, als ob ihm die Vernichtung der
Mvuteuegriuer ebenso unzweckmäßig erscheine, als den Russen. Es gab die
nöthigen Erklärungen und sendete den Fürsten Leiningen nach Konstantinopel,
um außer einigen kleinen Forderungen mildere Behandlung der böhmischen Christen
und eine Sistiruug der Feindseligkeiten durchzusetzen. Die würdige und geutile
Weise, in welcher diese Forderungen dnrch den Gesandten vertreten wurden,
machte ans die Pforte den gewünschten Eindruck. Sie benutzte die dargebotene
Gelegenheit, sich Oestreich nachgiebig zu zeigen; es fand eine entschiedene diplo¬
matische Annäherung zwischen beiden Regierungen statt und das Ansehn der
östreichischen Regierung stieg plötzlich hoch an der save und Unna und sogar in
den schwarzen Bergen.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß die glückliche Mission des Fürsten Leiningen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/311>, abgerufen am 06.02.2025.