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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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kamen dadurch dem Hungertode nahe. Das Elend wurde noch vermehrt dnrch
den Andrang derjenigen Armen nach diesem Stadtviertel, die in den übrige"
Theilen der übervölkerten Stadt keine Wohnungen finden konnten. Unter diesen
Umständen wurde über die Sache ein Meeting im Acausiou-House gehalten.
Buxton schilderte in ergreifender Weise das Elend der Armen. "In gewöhn¬
lichen Zeiten, sagte er, sind der Armen beste Freunde -- die Armen. Der
Arme ist aber gegenwärtig nicht im Stande, für sich selbst etwas zuthun, darum
vermag er es auch nicht für andere. Und dennoch sind selbst in dieser Zeit
Beispiele vorgekommen, daß der Arme seine spärliche Brotrinde mit einem
Bruder theilte, der noch elender ist, als er selbst. Lehrt das nicht den Reichen,
etwas mehr als den Abfall seines Tisches den Elenden zu geben, die seine Thür
umlagern? Woher jenes Erbarmen in der Brust des Nothleidenden? Er hat es
in der Schule eigener Bekümmerniß gelernt. Er weiß, was darben heißt,
und darum sucht er dem Darbenden zu helfen, er weiß, was es heißt, frieren,
nackt, bloß, ohne Obdach sein, darum hat er Mitleid mit dem mangelhaft Be¬
kleideten, dem Obdachlosen. Das alles weiß der Reiche nicht. Er weiß es nicht
aus eigener Erfahrung, wenn der Arme, welcher bereit ist, ans Leibeskräften zu
arbeiten, die Beschäftigung nicht findet, welche die Thränen seiner Fran und das
Geschrei seiner Kinder nach Brot stillen könnte."

Diese Rede machte in allen Kreisen einen gewaltigen Eindruck. Durch
das Meeting kamen 43,369 Pfd. Se. ein, der Prinzregent wies S000 Pfd. an.

Mit diesen erfolgreichen Bemühungen war Bnxtons spätere Laufbahn eröffnet.
1816 trat er in die von Mrs. Fry gegründete "Gesellschaft zur Verbesserung der
Gefängnisse", 1817 besuchte er die vortrefflich eingerichteten Gefängnisse zu Gent
und Antwerpen, und veröffentlichte im Februar 1818 seine Arbeit: "Unter¬
suchung der Frage, ob die Verbrechen dnrch unser gegenwärtiges
System der Gefängnißdisciplin erzeugt oder verhütet werden? Das
Werk erregte das größte Aussehn. Gleich im Laufe des ersten Jahres erschienen
fünf Auflagen desselben, es wurde ins Französische übersetzt und auf dem Con-
tinent, selbst nach der Türkei und Ostindien verbreitet.

Im Frühling 1818 trat nun Buxton als Parlamentsccmdidat für Weymouth
auf. Das Parlament schien ihm der Ort zu sein, wo er "im Dienste des Herrn
vielleicht am wirksamsten zu sein vermöchte." Nach seiner Wahl sprach er zuerst
gegen die damals bestehenden Gesetze für Capitalstrafen, und zeigte, daß diese
Gesetze, welche die Verbrechen verhüten sollten, nichts als Gewcrbscheiue für
Spitzbuben und Betrüger seien; während viele ehrliche Leute durch dieselben um
ihr Leben und Eigenthum kämen, ohne daß jenen, die man nicht zum Tode ver-
urtheilen wollte, ein Haar gekrümmt würde. Buxton wurde in beide Ausschüsse
gewählt, sowol in den für die Gefängnisse, als in den für das Strafgesetz.
Durch seine Bemühungen, durch die Annahme seiner Grundsätze sind die Ge-


kamen dadurch dem Hungertode nahe. Das Elend wurde noch vermehrt dnrch
den Andrang derjenigen Armen nach diesem Stadtviertel, die in den übrige»
Theilen der übervölkerten Stadt keine Wohnungen finden konnten. Unter diesen
Umständen wurde über die Sache ein Meeting im Acausiou-House gehalten.
Buxton schilderte in ergreifender Weise das Elend der Armen. „In gewöhn¬
lichen Zeiten, sagte er, sind der Armen beste Freunde — die Armen. Der
Arme ist aber gegenwärtig nicht im Stande, für sich selbst etwas zuthun, darum
vermag er es auch nicht für andere. Und dennoch sind selbst in dieser Zeit
Beispiele vorgekommen, daß der Arme seine spärliche Brotrinde mit einem
Bruder theilte, der noch elender ist, als er selbst. Lehrt das nicht den Reichen,
etwas mehr als den Abfall seines Tisches den Elenden zu geben, die seine Thür
umlagern? Woher jenes Erbarmen in der Brust des Nothleidenden? Er hat es
in der Schule eigener Bekümmerniß gelernt. Er weiß, was darben heißt,
und darum sucht er dem Darbenden zu helfen, er weiß, was es heißt, frieren,
nackt, bloß, ohne Obdach sein, darum hat er Mitleid mit dem mangelhaft Be¬
kleideten, dem Obdachlosen. Das alles weiß der Reiche nicht. Er weiß es nicht
aus eigener Erfahrung, wenn der Arme, welcher bereit ist, ans Leibeskräften zu
arbeiten, die Beschäftigung nicht findet, welche die Thränen seiner Fran und das
Geschrei seiner Kinder nach Brot stillen könnte."

Diese Rede machte in allen Kreisen einen gewaltigen Eindruck. Durch
das Meeting kamen 43,369 Pfd. Se. ein, der Prinzregent wies S000 Pfd. an.

Mit diesen erfolgreichen Bemühungen war Bnxtons spätere Laufbahn eröffnet.
1816 trat er in die von Mrs. Fry gegründete „Gesellschaft zur Verbesserung der
Gefängnisse", 1817 besuchte er die vortrefflich eingerichteten Gefängnisse zu Gent
und Antwerpen, und veröffentlichte im Februar 1818 seine Arbeit: „Unter¬
suchung der Frage, ob die Verbrechen dnrch unser gegenwärtiges
System der Gefängnißdisciplin erzeugt oder verhütet werden? Das
Werk erregte das größte Aussehn. Gleich im Laufe des ersten Jahres erschienen
fünf Auflagen desselben, es wurde ins Französische übersetzt und auf dem Con-
tinent, selbst nach der Türkei und Ostindien verbreitet.

Im Frühling 1818 trat nun Buxton als Parlamentsccmdidat für Weymouth
auf. Das Parlament schien ihm der Ort zu sein, wo er „im Dienste des Herrn
vielleicht am wirksamsten zu sein vermöchte." Nach seiner Wahl sprach er zuerst
gegen die damals bestehenden Gesetze für Capitalstrafen, und zeigte, daß diese
Gesetze, welche die Verbrechen verhüten sollten, nichts als Gewcrbscheiue für
Spitzbuben und Betrüger seien; während viele ehrliche Leute durch dieselben um
ihr Leben und Eigenthum kämen, ohne daß jenen, die man nicht zum Tode ver-
urtheilen wollte, ein Haar gekrümmt würde. Buxton wurde in beide Ausschüsse
gewählt, sowol in den für die Gefängnisse, als in den für das Strafgesetz.
Durch seine Bemühungen, durch die Annahme seiner Grundsätze sind die Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/260>, abgerufen am 06.02.2025.