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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Urtheil muß vom Kaiser bestätigt werde". Nur durch ein solches Urtheil kann
er Leben, Vermögen oder Ehre verlieren. Es kaun ihn keine körperliche Strafe
treffen. Er ist frei von persönlichen Abgaben, von Recrnteupflichtigkeit und von
Einquartirung. Auf seinen Gütern kann er Fabriken und Industrieanlagen aller
Art frei anlegen, in den Städte" jedoch muß er zu dem Eude erst in die be¬
treffenden Gilden eintreten. Seine eigene" Producte und Fabrikate darf er frei
verkaufe".

Mehr als die Hälfte alles wirklich cultivirten Grund und Bodens gehört
ihm als uubeschräuktes Eigenthum. Ueber die Hälfte der Bevölkerung des eigent¬
liche" Rußlands, 24 Millionen Köpfe, sind seine Leibeignen.

Ungeachtet dieser großen materiellen Macht ist aber sein Einfluß auf die
Zustande seiner Leibeigene" n"d die Masse des Volkes höchst ""bedeutend, und
nach oben hin stehen die Adelscorporationen völlig unter dem Einfluß der Re¬
gierung. Der Wunsch des Zaren ist ihnen Befehl. Es steckt in dem russischen
Adel durchaus kein corpvrativer Geist. Das Bestreben der Kaiserin Katharina II.
den russischen Adel als Aristokratie "an zu gestalte" und in ihm dem Beamten-
thum el" Gegengewicht z" gebe", mißlang vollständig.

In neuern Zeiten hat man die Rechte nud Pflichten des Gvuvernemeuts-
adels uoch vermehrt. Man hat ihm auch der Wahl der Mitglieder des Civil-
uud Crimiualgcrichts für das Gouvernement, der Hypvthekenbehörde ^Graschdanki
Palate) und das Gewissensgericht übertrage". Das Landgericht besteht aus dem
Jsprafnik als Vorstand und zwei Beisitzern, von, Adel gewählt, ""d zwei bäuer¬
lichen Beisitzern, von der Regierung ans Vorschlag des JSprafnik ausgewählt.

Es herrscht in dem russischen Adel der kleine Besitz vor. Derselbe entsteht
theils durch den Grundsatz der gleichen Erbtheilunge", theils durch das Eindrin¬
gen des Tschmofuik- oder Dienstadels. Man findet hänfig Dörfer von i bis 300
Seele", die unter 30 bis 40 Herrn vertheilt sind. Eine große Zahl vou Tschui-
samilicn legt ferner ihre Ersparnisse in Ankauf von Bauern an. Die Beamten
ans diesen Familien kaufen 3, -10 oder 20 Bauern mit deren Gemeindeantheileu,
setzen sie auf Obrvck und sangen sie möglichst aus.

Auf die obere Leitung des Staates, auf den Staatshaushalt, die Fiuanz-
und Kriegöeinrichtungen, die Reichsgesetzgebung und Politik hat der Adel sowenig
als irgend ein anderer Stand den geringsten Einfluß: die Monarchie ist rein au¬
tokratisch "ut Patriarchat. Patrimonialgerichtsbarkeit hat der Adel nicht, sondern
mir das Strafrecht über seine Leute bis zu S Prügel. Die Gerichtsbarkeit wird
von dem Kreiögericht ausgeübt.

Wie kein Staub i" Rußland, so darf auch der Adel sich nicht kastenartig
abschließen. Ueberall sind die Uebergänge in die verschiedene" Classen, Stände
und Gewerbe leicht. Die Edelleute lasse" sich in die Kaufmannsgilde" einschrei¬
ben; die Kaufleute erster Gilde erhalte" nach 12 Jahre" die Rechte persönlicher


Urtheil muß vom Kaiser bestätigt werde». Nur durch ein solches Urtheil kann
er Leben, Vermögen oder Ehre verlieren. Es kaun ihn keine körperliche Strafe
treffen. Er ist frei von persönlichen Abgaben, von Recrnteupflichtigkeit und von
Einquartirung. Auf seinen Gütern kann er Fabriken und Industrieanlagen aller
Art frei anlegen, in den Städte» jedoch muß er zu dem Eude erst in die be¬
treffenden Gilden eintreten. Seine eigene» Producte und Fabrikate darf er frei
verkaufe».

Mehr als die Hälfte alles wirklich cultivirten Grund und Bodens gehört
ihm als uubeschräuktes Eigenthum. Ueber die Hälfte der Bevölkerung des eigent¬
liche» Rußlands, 24 Millionen Köpfe, sind seine Leibeignen.

Ungeachtet dieser großen materiellen Macht ist aber sein Einfluß auf die
Zustande seiner Leibeigene» n»d die Masse des Volkes höchst »»bedeutend, und
nach oben hin stehen die Adelscorporationen völlig unter dem Einfluß der Re¬
gierung. Der Wunsch des Zaren ist ihnen Befehl. Es steckt in dem russischen
Adel durchaus kein corpvrativer Geist. Das Bestreben der Kaiserin Katharina II.
den russischen Adel als Aristokratie »an zu gestalte» und in ihm dem Beamten-
thum el» Gegengewicht z» gebe», mißlang vollständig.

In neuern Zeiten hat man die Rechte nud Pflichten des Gvuvernemeuts-
adels uoch vermehrt. Man hat ihm auch der Wahl der Mitglieder des Civil-
uud Crimiualgcrichts für das Gouvernement, der Hypvthekenbehörde ^Graschdanki
Palate) und das Gewissensgericht übertrage». Das Landgericht besteht aus dem
Jsprafnik als Vorstand und zwei Beisitzern, von, Adel gewählt, »»d zwei bäuer¬
lichen Beisitzern, von der Regierung ans Vorschlag des JSprafnik ausgewählt.

Es herrscht in dem russischen Adel der kleine Besitz vor. Derselbe entsteht
theils durch den Grundsatz der gleichen Erbtheilunge», theils durch das Eindrin¬
gen des Tschmofuik- oder Dienstadels. Man findet hänfig Dörfer von i bis 300
Seele», die unter 30 bis 40 Herrn vertheilt sind. Eine große Zahl vou Tschui-
samilicn legt ferner ihre Ersparnisse in Ankauf von Bauern an. Die Beamten
ans diesen Familien kaufen 3, -10 oder 20 Bauern mit deren Gemeindeantheileu,
setzen sie auf Obrvck und sangen sie möglichst aus.

Auf die obere Leitung des Staates, auf den Staatshaushalt, die Fiuanz-
und Kriegöeinrichtungen, die Reichsgesetzgebung und Politik hat der Adel sowenig
als irgend ein anderer Stand den geringsten Einfluß: die Monarchie ist rein au¬
tokratisch »ut Patriarchat. Patrimonialgerichtsbarkeit hat der Adel nicht, sondern
mir das Strafrecht über seine Leute bis zu S Prügel. Die Gerichtsbarkeit wird
von dem Kreiögericht ausgeübt.

Wie kein Staub i» Rußland, so darf auch der Adel sich nicht kastenartig
abschließen. Ueberall sind die Uebergänge in die verschiedene» Classen, Stände
und Gewerbe leicht. Die Edelleute lasse» sich in die Kaufmannsgilde» einschrei¬
ben; die Kaufleute erster Gilde erhalte» nach 12 Jahre» die Rechte persönlicher


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[0234] Urtheil muß vom Kaiser bestätigt werde». Nur durch ein solches Urtheil kann er Leben, Vermögen oder Ehre verlieren. Es kaun ihn keine körperliche Strafe treffen. Er ist frei von persönlichen Abgaben, von Recrnteupflichtigkeit und von Einquartirung. Auf seinen Gütern kann er Fabriken und Industrieanlagen aller Art frei anlegen, in den Städte» jedoch muß er zu dem Eude erst in die be¬ treffenden Gilden eintreten. Seine eigene» Producte und Fabrikate darf er frei verkaufe». Mehr als die Hälfte alles wirklich cultivirten Grund und Bodens gehört ihm als uubeschräuktes Eigenthum. Ueber die Hälfte der Bevölkerung des eigent¬ liche» Rußlands, 24 Millionen Köpfe, sind seine Leibeignen. Ungeachtet dieser großen materiellen Macht ist aber sein Einfluß auf die Zustande seiner Leibeigene» n»d die Masse des Volkes höchst »»bedeutend, und nach oben hin stehen die Adelscorporationen völlig unter dem Einfluß der Re¬ gierung. Der Wunsch des Zaren ist ihnen Befehl. Es steckt in dem russischen Adel durchaus kein corpvrativer Geist. Das Bestreben der Kaiserin Katharina II. den russischen Adel als Aristokratie »an zu gestalte» und in ihm dem Beamten- thum el» Gegengewicht z» gebe», mißlang vollständig. In neuern Zeiten hat man die Rechte nud Pflichten des Gvuvernemeuts- adels uoch vermehrt. Man hat ihm auch der Wahl der Mitglieder des Civil- uud Crimiualgcrichts für das Gouvernement, der Hypvthekenbehörde ^Graschdanki Palate) und das Gewissensgericht übertrage». Das Landgericht besteht aus dem Jsprafnik als Vorstand und zwei Beisitzern, von, Adel gewählt, »»d zwei bäuer¬ lichen Beisitzern, von der Regierung ans Vorschlag des JSprafnik ausgewählt. Es herrscht in dem russischen Adel der kleine Besitz vor. Derselbe entsteht theils durch den Grundsatz der gleichen Erbtheilunge», theils durch das Eindrin¬ gen des Tschmofuik- oder Dienstadels. Man findet hänfig Dörfer von i bis 300 Seele», die unter 30 bis 40 Herrn vertheilt sind. Eine große Zahl vou Tschui- samilicn legt ferner ihre Ersparnisse in Ankauf von Bauern an. Die Beamten ans diesen Familien kaufen 3, -10 oder 20 Bauern mit deren Gemeindeantheileu, setzen sie auf Obrvck und sangen sie möglichst aus. Auf die obere Leitung des Staates, auf den Staatshaushalt, die Fiuanz- und Kriegöeinrichtungen, die Reichsgesetzgebung und Politik hat der Adel sowenig als irgend ein anderer Stand den geringsten Einfluß: die Monarchie ist rein au¬ tokratisch »ut Patriarchat. Patrimonialgerichtsbarkeit hat der Adel nicht, sondern mir das Strafrecht über seine Leute bis zu S Prügel. Die Gerichtsbarkeit wird von dem Kreiögericht ausgeübt. Wie kein Staub i» Rußland, so darf auch der Adel sich nicht kastenartig abschließen. Ueberall sind die Uebergänge in die verschiedene» Classen, Stände und Gewerbe leicht. Die Edelleute lasse» sich in die Kaufmannsgilde» einschrei¬ ben; die Kaufleute erster Gilde erhalte» nach 12 Jahre» die Rechte persönlicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/234>, abgerufen am 11.02.2025.