Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.splittert. Bei dem unermeßlich gestiegenen Luxus werden die Güter stark mit So hat die ständische Gonvernementöverfassnng in Rußland nur eine sehr I" dem jünger" russischen Adel ist freilich schon ein bedeutender Umschwung Der russische Edelmann kann nur von seines Gleichen gerichtet und das Gmizlu'te". IV. ->863> Z9
splittert. Bei dem unermeßlich gestiegenen Luxus werden die Güter stark mit So hat die ständische Gonvernementöverfassnng in Rußland nur eine sehr I» dem jünger» russischen Adel ist freilich schon ein bedeutender Umschwung Der russische Edelmann kann nur von seines Gleichen gerichtet und das Gmizlu'te». IV. ->863> Z9
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splittert. Bei dem unermeßlich gestiegenen Luxus werden die Güter stark mit
Schulden belastet und dann meist an Parvenus verkauft; selten kommt ein großes
Vermögen auf den dritten Erben. Von dem Rechte und der Pflicht, seinen
Grund und Boden im Staate zu repräsentire», hatte die Mehrzahl des russischen
Adels keinen Begriff.
So hat die ständische Gonvernementöverfassnng in Rußland nur eine sehr
geringe Wirksamkeit, der gebildetere, wohlhabendere und bessere Adel nimmt an
ihr nnr wenig Theil. Die ständischen Rechte, namentlich die Wahlen zu den
ständischen Beamten, werden von den rohen, ungebildeten, meist corrnmpirten
Adeligen ausgeübt und die Wahlen fallen häufig grade ans die allerschlechtesten
Subjecte, in deren Händen dann die ganze Verwaltung, Polizei und Justiz liegt.
Um diesem Unwesen etwas zu steuern, hat denn die Regierung neuerdings dies
Wahlrecht auf einen Besitz von -100 Seelen oder 1000 Dessätinen eingeschränkt.
Der Jsprafnick, ein ständischer Beamter, dessen Stellung der eines frühern preu¬
ßischen Landraths entspricht, erwirbt sein Amt dadurch, daß er den reichsten Ade¬
ligen seines Kreises völlige Gefügigkeit und AnttsgefMgkeit verspricht. Diese
verschaffen alsdann durch ihren Einfluß dem Candidaten die Stimmen der berech¬
tigten Wähler. Der Jspravnick benutzt dann sein Amt möglichst, um sich Geld
und Nutze» zu verschaffen; er weiß, daß er nach 0 Jahren sein Amt niederlegt
und dann schwerlich wieder gewählt wird. Seine Gönner und deren Bauern
schont er; desto mehr plagt und plündert er die kleinen Besitzer und ihre Bauern,
besonders die ganz kleinen, die keine Wahlberechtigung haben und deshalb von
ihm nicht zu fürchten sind. Er ist der in Rußland am meisten verhaßte und
verachtete Beamte. Die von der Negierung angestellten Beamten, die Tschin-
ofacks sind im allgemeine» schlimm genug, doch nicht so verderbt wie die Mehr¬
zahl der vom Adel gewählten Beamten.
I» dem jünger» russischen Adel ist freilich schon ein bedeutender Umschwung
der Gesinnung bemerkbar. Er zeigt mehr wissenschaftlichen Sinn, mehr Fleiß
im Lernen. Die Mehrzahl desselben fängt an, den Staatsdienst (Pschin), zu dem
ein jeder verpflichtet ist, der eine« gewissen Rang einnehmen will, mehr als
Durchgangsperiode anzusehen, tritt nach einigen Jahren zurück und wird Landwirth
oder Fabrikant. Sie legt Oekonomicn an, setzt die frühern Obrvckbanern ans
Frohnden und ist dadurch genöthigt, persönlich die Aufsicht zu führen und auf
dem Lande zu leben. Namentlich sind es die Fabrikanlagen, die den Aufenthalt
ans dem Lande fordern. Es herrscht übrigens in Rußland kein Adelstolz, wie
man ihn im übrigen Enropa findet. Der Adel scheidet sich nicht vom Gewerb-
stande ab, sondern läßt sich in die Anfnahmsgildeu einschreiben, wodurch er zu¬
gleich das Recht erlaugt, Wechsel auszustellen, während er sonst nnr auf Con-
tracte seine Geschäfte basiren kann.
Der russische Edelmann kann nur von seines Gleichen gerichtet und das
Gmizlu'te». IV. ->863> Z9
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