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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Zeitung die keine Annoncen hat, hat anch keinen großen Leserkreis, mag nun
das erstere die Ursache des letzteren sein, oder umgekehrt; wenigstens gilt dies
stets für den Absatz in loco. Die letzte Seite ist zwar auch in diesen Zeitungen
meistentheils mit Inseraten angefüllt, aber Buchhändleranzeigen, stehende Dampf¬
schifffahrtsannoncen, Revalenta-Empfehlungen, sind gar sehr verschieden von den¬
jenigen tausenderlei Annoncen, die der tägliche Verkehr der dichten Bevölkerung
einer Residenz mit jedem Morgen neu werden läßt. Diese finden ihr Organ
in zwei anderen Bläteru, im Fremdenblatt und, freilich in geringerem Maße,
auch in der Presse. -- Fremdenblatt und Presse sind die beiden Journale, welche
sozusagen jedermann liest, deren Auflage eine bedeutende ist und die für ihre
Unternehmer eine reiche Erwerbsquelle abgeben. Das Fremdenblatt, Eigenthum
des Herrn Gustav Heine, eines Bruders oder Vetters von Heinrich Heine, ist
das populärste Blatt in Wien; es erscheint außer Montags täglich in Quart¬
format und meistens in mehren Bogen, widmet die erste Seite den Landes-, die
zweite den Welt- und die dritte den Stadtbegebenheiten, die vierte den ange¬
kommenen Fremden, die folgenden den Annoncen in bunterster Reihe, und die
letzte den Theater- und Vcrgnügungsanzeigen und -- den Coursberichten. Fast
alle Neuigkeiten, politischen oder localen Inhaltes, werden im Fremdenblatt in
der Form kurzer Notizen gegeben und diese Form, gegen welche sich viel ein¬
wenden läßt, trägt gewiß nicht wenig dazu bei, dem Publicum den Stoff mund¬
gerecht zu machen und zugleich durch die Masse des Dargebotenen zu imponiren.
Die Presse, Eigenthum des Herrn August Zang, befolgt dieses System nur bei
den Localsacheu, die Politik gibt sie in der Form von Korrespondenz- und Leit¬
artikeln; Annoncen hat sie bei weitem weniger, als das Fremdenblatt und höchst
wahrscheinlich auch überhaupt weniger Leser, als jenes, wenn auch deren mehr
außerhalb Wiens. Was sie für das Minus an Anzeigen ihren Lesern als Ersatz
mehr bietet, als das Fremdcublatt, ist ein Roman-Feuilleton aus dem Franzö¬
sischen mit endlosen "Forschung folgt", und -- der Theaterzettel des Carl¬
theaters, den das Fremdenblatt, infolge persönlicher Differenzen mit Herrn
Carl, seit geraumer Zeit ausgeschlossen hat. Theaterkritiken liefern beide Blätter
über alle Novitäten, aber wie? -- --

Daß Fremdenblatt und Presse geschworene Feinde sind, wird niemand Wun¬
der nehmen. Nicht uninteressant ist es, wenn sie einander von Zeit zu Zeit,
namentlich gegen den Beginn eines neuen Quartalabonnements, "beim Kragen
nehmen und ganz gehörig verarbeiten", wobei sie sich in der Regel in nicht allzu-
feinen Worten ihre politischen Antecedentien vorwerfen, die namentlich der Presse
schwache Seite sein sollen, die uns aber in ihren Details hier nicht weiter inter-
essiren könne"; -- wo gab es nicht seit dem Jahre 1848 "Umschwunge" in der
öffentlichen Meinung und in deu Organen, die ihr zu huldigen augewiesen waren! --

"Morgenpost" und "Nenigkeitsbote" sind noch zwei ähnliche Blätter,


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Zeitung die keine Annoncen hat, hat anch keinen großen Leserkreis, mag nun
das erstere die Ursache des letzteren sein, oder umgekehrt; wenigstens gilt dies
stets für den Absatz in loco. Die letzte Seite ist zwar auch in diesen Zeitungen
meistentheils mit Inseraten angefüllt, aber Buchhändleranzeigen, stehende Dampf¬
schifffahrtsannoncen, Revalenta-Empfehlungen, sind gar sehr verschieden von den¬
jenigen tausenderlei Annoncen, die der tägliche Verkehr der dichten Bevölkerung
einer Residenz mit jedem Morgen neu werden läßt. Diese finden ihr Organ
in zwei anderen Bläteru, im Fremdenblatt und, freilich in geringerem Maße,
auch in der Presse. — Fremdenblatt und Presse sind die beiden Journale, welche
sozusagen jedermann liest, deren Auflage eine bedeutende ist und die für ihre
Unternehmer eine reiche Erwerbsquelle abgeben. Das Fremdenblatt, Eigenthum
des Herrn Gustav Heine, eines Bruders oder Vetters von Heinrich Heine, ist
das populärste Blatt in Wien; es erscheint außer Montags täglich in Quart¬
format und meistens in mehren Bogen, widmet die erste Seite den Landes-, die
zweite den Welt- und die dritte den Stadtbegebenheiten, die vierte den ange¬
kommenen Fremden, die folgenden den Annoncen in bunterster Reihe, und die
letzte den Theater- und Vcrgnügungsanzeigen und — den Coursberichten. Fast
alle Neuigkeiten, politischen oder localen Inhaltes, werden im Fremdenblatt in
der Form kurzer Notizen gegeben und diese Form, gegen welche sich viel ein¬
wenden läßt, trägt gewiß nicht wenig dazu bei, dem Publicum den Stoff mund¬
gerecht zu machen und zugleich durch die Masse des Dargebotenen zu imponiren.
Die Presse, Eigenthum des Herrn August Zang, befolgt dieses System nur bei
den Localsacheu, die Politik gibt sie in der Form von Korrespondenz- und Leit¬
artikeln; Annoncen hat sie bei weitem weniger, als das Fremdenblatt und höchst
wahrscheinlich auch überhaupt weniger Leser, als jenes, wenn auch deren mehr
außerhalb Wiens. Was sie für das Minus an Anzeigen ihren Lesern als Ersatz
mehr bietet, als das Fremdcublatt, ist ein Roman-Feuilleton aus dem Franzö¬
sischen mit endlosen „Forschung folgt", und — der Theaterzettel des Carl¬
theaters, den das Fremdenblatt, infolge persönlicher Differenzen mit Herrn
Carl, seit geraumer Zeit ausgeschlossen hat. Theaterkritiken liefern beide Blätter
über alle Novitäten, aber wie? — —

Daß Fremdenblatt und Presse geschworene Feinde sind, wird niemand Wun¬
der nehmen. Nicht uninteressant ist es, wenn sie einander von Zeit zu Zeit,
namentlich gegen den Beginn eines neuen Quartalabonnements, „beim Kragen
nehmen und ganz gehörig verarbeiten", wobei sie sich in der Regel in nicht allzu-
feinen Worten ihre politischen Antecedentien vorwerfen, die namentlich der Presse
schwache Seite sein sollen, die uns aber in ihren Details hier nicht weiter inter-
essiren könne»; — wo gab es nicht seit dem Jahre 1848 „Umschwunge" in der
öffentlichen Meinung und in deu Organen, die ihr zu huldigen augewiesen waren! —

„Morgenpost" und „Nenigkeitsbote" sind noch zwei ähnliche Blätter,


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[0219] Zeitung die keine Annoncen hat, hat anch keinen großen Leserkreis, mag nun das erstere die Ursache des letzteren sein, oder umgekehrt; wenigstens gilt dies stets für den Absatz in loco. Die letzte Seite ist zwar auch in diesen Zeitungen meistentheils mit Inseraten angefüllt, aber Buchhändleranzeigen, stehende Dampf¬ schifffahrtsannoncen, Revalenta-Empfehlungen, sind gar sehr verschieden von den¬ jenigen tausenderlei Annoncen, die der tägliche Verkehr der dichten Bevölkerung einer Residenz mit jedem Morgen neu werden läßt. Diese finden ihr Organ in zwei anderen Bläteru, im Fremdenblatt und, freilich in geringerem Maße, auch in der Presse. — Fremdenblatt und Presse sind die beiden Journale, welche sozusagen jedermann liest, deren Auflage eine bedeutende ist und die für ihre Unternehmer eine reiche Erwerbsquelle abgeben. Das Fremdenblatt, Eigenthum des Herrn Gustav Heine, eines Bruders oder Vetters von Heinrich Heine, ist das populärste Blatt in Wien; es erscheint außer Montags täglich in Quart¬ format und meistens in mehren Bogen, widmet die erste Seite den Landes-, die zweite den Welt- und die dritte den Stadtbegebenheiten, die vierte den ange¬ kommenen Fremden, die folgenden den Annoncen in bunterster Reihe, und die letzte den Theater- und Vcrgnügungsanzeigen und — den Coursberichten. Fast alle Neuigkeiten, politischen oder localen Inhaltes, werden im Fremdenblatt in der Form kurzer Notizen gegeben und diese Form, gegen welche sich viel ein¬ wenden läßt, trägt gewiß nicht wenig dazu bei, dem Publicum den Stoff mund¬ gerecht zu machen und zugleich durch die Masse des Dargebotenen zu imponiren. Die Presse, Eigenthum des Herrn August Zang, befolgt dieses System nur bei den Localsacheu, die Politik gibt sie in der Form von Korrespondenz- und Leit¬ artikeln; Annoncen hat sie bei weitem weniger, als das Fremdenblatt und höchst wahrscheinlich auch überhaupt weniger Leser, als jenes, wenn auch deren mehr außerhalb Wiens. Was sie für das Minus an Anzeigen ihren Lesern als Ersatz mehr bietet, als das Fremdcublatt, ist ein Roman-Feuilleton aus dem Franzö¬ sischen mit endlosen „Forschung folgt", und — der Theaterzettel des Carl¬ theaters, den das Fremdenblatt, infolge persönlicher Differenzen mit Herrn Carl, seit geraumer Zeit ausgeschlossen hat. Theaterkritiken liefern beide Blätter über alle Novitäten, aber wie? — — Daß Fremdenblatt und Presse geschworene Feinde sind, wird niemand Wun¬ der nehmen. Nicht uninteressant ist es, wenn sie einander von Zeit zu Zeit, namentlich gegen den Beginn eines neuen Quartalabonnements, „beim Kragen nehmen und ganz gehörig verarbeiten", wobei sie sich in der Regel in nicht allzu- feinen Worten ihre politischen Antecedentien vorwerfen, die namentlich der Presse schwache Seite sein sollen, die uns aber in ihren Details hier nicht weiter inter- essiren könne»; — wo gab es nicht seit dem Jahre 1848 „Umschwunge" in der öffentlichen Meinung und in deu Organen, die ihr zu huldigen augewiesen waren! — „Morgenpost" und „Nenigkeitsbote" sind noch zwei ähnliche Blätter, 27*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/219>, abgerufen am 06.02.2025.