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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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viel zu reflectirt, um bei der Naivetät einer solchen Zeichnung stehen zu bleiben,
es spielt doch wieder Alles in's symbolische und Allegorische herüber, und die
Gestatte", kaum entworfen, lösen sich wieder in Beziehungsbegriffe auf. Das
Vorbild dieser Verirrung ist natürlich der Faust. Aber bei Göthe ist doch das
Costüm und die Genremalerei durchaus Nebensache, der ganz moderne philosophi¬
sche Gedanke bildet immer den Leitfaden. Bei Arnim fehlt ein solcher Leitfaden.
Zuweilen hat er offenbar die Absicht, zu Philosophiren, zuweilen aber vertieft er
sich blind und gedankenlos in den Stoss. So kommt es, daß meistens die höchst
vortrefflichen Maximen und Einfälle beziehungslos verlaufen, obgleich sie immer
viel zu denken geben. So wird einmal pa^. 31 von einer der auftretenden
Personen gesagt: "Er ist eine von den leichtsinnigen guten Seelen, mit denen
der Himmel am meisten wirken kann in Augenblicken, weil sie am wenigsten sich
kennen, weil Absicht und Grundsatz die reine Ansicht der lebendigen Welt ihnen
am wenigsten färben kann." -- Ein andermal sagt Johanna:


Ich knie vor Gottes Thron, vor dieser Welt erschrocken,
Wie sie so schaudernd schön, wie sie so herzlich gut,
So voll von Spielerei und auch voll Uebermuth.

Sehr gut ist es auch wie Arnim die neutrale Stellung der Gelehrsamkeit in öf¬
fentlichen Gewissensfragen corrigirt: "Diese scheinbare Ruhe in einer Angelegen¬
heit des Gewissens, die alle bis zur Naserei erhitzte, ist die gefährlichste Aeußerung
der alles überschauenden Gelehrsamkeit, die in der Beurtheilung unendlich viel
umfaßt, das zu einer Thätigkeit des ganzen Lebens erhoben sich gegenseitig schreck¬
lich zerstören würde." -- Das ist vollkommen richtig, nur ist der Gedanke un¬
fertig, es fehlt der eigentliche Abschluß, wie fast immer bei Arnim und so haben
seine Gedanken überall etwas Embryonisches. Auch wo er historische Ereignisse
analystrt, werden wir zuweilen von einem ganz auffallenden Verständniß über¬
rascht. So fragt er sich einmal, wie Marozia, ein durchaus verworfenes Weib,
Rom und das Papstthum beherrschen konnte: "Weil sie gemein, aber vollständig
gemein war und deswegen keine nothwendige Ansicht der Dinge, keinen Wunsch
der Noth und Gemeinheit übersah; dies aber bedarf jeder, der den Anfang einer
freien Volksverfassung leiten will,.....darin lag ihre Gewalt, die von der
Gewohnheit jetzt fester als je begründet war und gegen die aller Geist der Für¬
stin nichts vermochte, weil das Vergnügen und der Ueberdrusz sie den wechselnden
Leidenschaften hingab, welche ihr das allgemeine Zutrauen entrissen. Die Römer
strebten damals sehr ernstlich nach alter freier Verfassung, ihr Widerstand gegen
Päpste und Geister, die Feststellung ihrer Staatsverfassung gab vielleicht den ersten
Anstoß der großen Weltbewegung, welche im Freiheitsstreben der Städte
Deutschlands und Italiens eine neue Bildung über Europa führte." -- Solche
Gedankenblitze treten zum Theil bei Gelegenheiten hervor, die eigentlich je¬
den Gedanken ausschließen sollten, weil sie in das Gebiet der inhaltlosen Er-


Grenzbote", IV. 1863. 23

viel zu reflectirt, um bei der Naivetät einer solchen Zeichnung stehen zu bleiben,
es spielt doch wieder Alles in's symbolische und Allegorische herüber, und die
Gestatte», kaum entworfen, lösen sich wieder in Beziehungsbegriffe auf. Das
Vorbild dieser Verirrung ist natürlich der Faust. Aber bei Göthe ist doch das
Costüm und die Genremalerei durchaus Nebensache, der ganz moderne philosophi¬
sche Gedanke bildet immer den Leitfaden. Bei Arnim fehlt ein solcher Leitfaden.
Zuweilen hat er offenbar die Absicht, zu Philosophiren, zuweilen aber vertieft er
sich blind und gedankenlos in den Stoss. So kommt es, daß meistens die höchst
vortrefflichen Maximen und Einfälle beziehungslos verlaufen, obgleich sie immer
viel zu denken geben. So wird einmal pa^. 31 von einer der auftretenden
Personen gesagt: „Er ist eine von den leichtsinnigen guten Seelen, mit denen
der Himmel am meisten wirken kann in Augenblicken, weil sie am wenigsten sich
kennen, weil Absicht und Grundsatz die reine Ansicht der lebendigen Welt ihnen
am wenigsten färben kann." — Ein andermal sagt Johanna:


Ich knie vor Gottes Thron, vor dieser Welt erschrocken,
Wie sie so schaudernd schön, wie sie so herzlich gut,
So voll von Spielerei und auch voll Uebermuth.

Sehr gut ist es auch wie Arnim die neutrale Stellung der Gelehrsamkeit in öf¬
fentlichen Gewissensfragen corrigirt: „Diese scheinbare Ruhe in einer Angelegen¬
heit des Gewissens, die alle bis zur Naserei erhitzte, ist die gefährlichste Aeußerung
der alles überschauenden Gelehrsamkeit, die in der Beurtheilung unendlich viel
umfaßt, das zu einer Thätigkeit des ganzen Lebens erhoben sich gegenseitig schreck¬
lich zerstören würde." — Das ist vollkommen richtig, nur ist der Gedanke un¬
fertig, es fehlt der eigentliche Abschluß, wie fast immer bei Arnim und so haben
seine Gedanken überall etwas Embryonisches. Auch wo er historische Ereignisse
analystrt, werden wir zuweilen von einem ganz auffallenden Verständniß über¬
rascht. So fragt er sich einmal, wie Marozia, ein durchaus verworfenes Weib,
Rom und das Papstthum beherrschen konnte: „Weil sie gemein, aber vollständig
gemein war und deswegen keine nothwendige Ansicht der Dinge, keinen Wunsch
der Noth und Gemeinheit übersah; dies aber bedarf jeder, der den Anfang einer
freien Volksverfassung leiten will,.....darin lag ihre Gewalt, die von der
Gewohnheit jetzt fester als je begründet war und gegen die aller Geist der Für¬
stin nichts vermochte, weil das Vergnügen und der Ueberdrusz sie den wechselnden
Leidenschaften hingab, welche ihr das allgemeine Zutrauen entrissen. Die Römer
strebten damals sehr ernstlich nach alter freier Verfassung, ihr Widerstand gegen
Päpste und Geister, die Feststellung ihrer Staatsverfassung gab vielleicht den ersten
Anstoß der großen Weltbewegung, welche im Freiheitsstreben der Städte
Deutschlands und Italiens eine neue Bildung über Europa führte." — Solche
Gedankenblitze treten zum Theil bei Gelegenheiten hervor, die eigentlich je¬
den Gedanken ausschließen sollten, weil sie in das Gebiet der inhaltlosen Er-


Grenzbote», IV. 1863. 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/185>, abgerufen am 06.02.2025.