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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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res Anschauens und Denkens sind, so sind sie auch die Grundlagen der künstle¬
rischen Gestaltung, und jeder Versuch, ohne diese Grundformen ein Bild zu ent¬
werfen, führt entweder zu einem schwärmerischen Traumleben oder zu jener be¬
rühmten romantischen Ironie, die alles Geschaffene augenblicklich wieder auflöst,
und vernichtet. In einem seiner Stücke sagt Arnim:


Es tritt der Traum geharnischt in das Leben,
Wer fasset ihn? --

und das ist ein vollkommenes Symbol-seiner Poesie. Sobald der Traum Macht
gewinnt über das Leben, verkehrt er dessen Inhalt und Gesetz und wird um so
verderblicher, je lebendiger in dem Gemüth des Dichters die Beziehung zu den
sittlichen Mächten und zu der Gegenwart ist.

Nun dürfen wir aber nicht vergessen, daß zur Erklärung dieser ganz unbe¬
greiflichen Poesie noch ein anderes Moment in Rechnung zu ziehen ist, als die
Doctrin, nämlich das Talent. Arnim hatte ein sehr lebhaftes, starkes und edles
Gefühl, eine leicht bewegliche Phantasie und ein empfängliches Auge, aber keine
feste Hand: wie es so häufig bei unsern Dichtern vorkommt, die Intention, die Ein¬
sicht und Empfindung ging bei ihm weit über die schöpferische Kraft hinaus.
Für ein solches Talent ist es verhängnißvoll, einer Doctrin zu verfallen, die es
gegen die Regel gleichgültig macht. Der wahre Genius wird sich allerdings über
die Regel erheben können, weil in seiner Natur und in seinem Schaffen jene
innere Nothwendigkeit liegt, welche die Regel vollkommen ersetzt; für die Leistun¬
gen eines Talents dagegen ist die launenhafte Nichtachtung der Regel verderblich.
Wir begegnen in Arnims Werken vielen Einzelheiten, die eine große Kraft und
Innigkeit verrathen, aber wir haben dabei immer das Gefühl, daß er mit viel
geringeren Gaben weit Größeres hätte leisten können, wie denn auch in der That
jüngere Dichter von weniger Anlage, z. B. Wilibald Alexis nach derselben Rich¬
tung hin viel dauerhaftere und volkstümlichere Werke hervorgebracht haben.

Wir haben bei andern Gelegenheiten an seinen Hauptwerken dieses bereits
erörtert, auch in dem "Nachlaß" können wir es wieder geltend machen. Den
Haupttheil desselben bilden zwei größere dramatische Werke: "der echte und
der falsche Waldemar," und "die Gleichen" (1819). In dem ersten
Stück ist das nordische, norddeutsche und seemännische Heldenleben in seiner rohen
Tüchtigkeit und seiner naiven Kraft, was die Farbe und den Ton betrifft, sehr
gut geschildert, viel besser als bei Fouquv, mit dem einige Aehnlichkeit vorhanden
ist. Auch die Schuld des Helden, die den Wendepunkt seines Lebens bildet,
ist energisch empfunden und kräftig ausgesprochen, aber die Geschichte selbst ist so
undeutlich erzählt, so stark durch possenhafte Episoden unterbrochen, und gegen
den Schluß hin mit so unklaren mystischen Spielereien durchflochten, daß uns
bald das Verständniß und die Geduld ausgeht. Die sittlichen Fragen werden
zwar im Anfange mit großem Ernst behandelt, aber sie werden an unklare Ver-


res Anschauens und Denkens sind, so sind sie auch die Grundlagen der künstle¬
rischen Gestaltung, und jeder Versuch, ohne diese Grundformen ein Bild zu ent¬
werfen, führt entweder zu einem schwärmerischen Traumleben oder zu jener be¬
rühmten romantischen Ironie, die alles Geschaffene augenblicklich wieder auflöst,
und vernichtet. In einem seiner Stücke sagt Arnim:


Es tritt der Traum geharnischt in das Leben,
Wer fasset ihn? —

und das ist ein vollkommenes Symbol-seiner Poesie. Sobald der Traum Macht
gewinnt über das Leben, verkehrt er dessen Inhalt und Gesetz und wird um so
verderblicher, je lebendiger in dem Gemüth des Dichters die Beziehung zu den
sittlichen Mächten und zu der Gegenwart ist.

Nun dürfen wir aber nicht vergessen, daß zur Erklärung dieser ganz unbe¬
greiflichen Poesie noch ein anderes Moment in Rechnung zu ziehen ist, als die
Doctrin, nämlich das Talent. Arnim hatte ein sehr lebhaftes, starkes und edles
Gefühl, eine leicht bewegliche Phantasie und ein empfängliches Auge, aber keine
feste Hand: wie es so häufig bei unsern Dichtern vorkommt, die Intention, die Ein¬
sicht und Empfindung ging bei ihm weit über die schöpferische Kraft hinaus.
Für ein solches Talent ist es verhängnißvoll, einer Doctrin zu verfallen, die es
gegen die Regel gleichgültig macht. Der wahre Genius wird sich allerdings über
die Regel erheben können, weil in seiner Natur und in seinem Schaffen jene
innere Nothwendigkeit liegt, welche die Regel vollkommen ersetzt; für die Leistun¬
gen eines Talents dagegen ist die launenhafte Nichtachtung der Regel verderblich.
Wir begegnen in Arnims Werken vielen Einzelheiten, die eine große Kraft und
Innigkeit verrathen, aber wir haben dabei immer das Gefühl, daß er mit viel
geringeren Gaben weit Größeres hätte leisten können, wie denn auch in der That
jüngere Dichter von weniger Anlage, z. B. Wilibald Alexis nach derselben Rich¬
tung hin viel dauerhaftere und volkstümlichere Werke hervorgebracht haben.

Wir haben bei andern Gelegenheiten an seinen Hauptwerken dieses bereits
erörtert, auch in dem „Nachlaß" können wir es wieder geltend machen. Den
Haupttheil desselben bilden zwei größere dramatische Werke: „der echte und
der falsche Waldemar," und „die Gleichen" (1819). In dem ersten
Stück ist das nordische, norddeutsche und seemännische Heldenleben in seiner rohen
Tüchtigkeit und seiner naiven Kraft, was die Farbe und den Ton betrifft, sehr
gut geschildert, viel besser als bei Fouquv, mit dem einige Aehnlichkeit vorhanden
ist. Auch die Schuld des Helden, die den Wendepunkt seines Lebens bildet,
ist energisch empfunden und kräftig ausgesprochen, aber die Geschichte selbst ist so
undeutlich erzählt, so stark durch possenhafte Episoden unterbrochen, und gegen
den Schluß hin mit so unklaren mystischen Spielereien durchflochten, daß uns
bald das Verständniß und die Geduld ausgeht. Die sittlichen Fragen werden
zwar im Anfange mit großem Ernst behandelt, aber sie werden an unklare Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/182>, abgerufen am 06.02.2025.