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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Leopold konnte nicht daran denken, sich in neue Weiterungen zu stürzen, wenn
Preußen nicht einen gleichen Theil der Lasten und Gefahren übernahm. Aber
die "enen Forderungen Oestreichs in der Türkeusrage hinderten ein solches
Zusammenwirke". Mit einiger Energie hätte Preußen ohne Zweifel alles durch¬
setze" könne". Allen, es entschloß sich zum dritten Mal in diesem Jahr einen
Schritt zurnckznthnn. Am S. Juli schied Herzberg aus dem Ministerium.
Bischofswerder und seiue Freunde siegten. Man unterließ nicht blos den Krieg
gegen Oestreich, man räumte nicht blos die türkischen Forderungen desselben ein,
sondern man wechselte das ganze politische System und suchte das Heil der
Monarchie in einem engen Anschluß an Oestreich. Der Wunsch, gegen die
Revolution in das Feld zu ziehen, trug es über alle andern Rücksichten davon.
Die alten Pläne der Tripleallianz und selbst die bescheidene Stellung von Reichen¬
bach gab man vollständig auf.

Wie stand es mit dem einzigen Gegenwunsch Preußens, mit der conservativen
Dazwischeukniift in Frankreich? Leopolds System war, durch umfangreiche
Drohungen die französischen Parteien möglichst einzuschüchtern, aber ganz gewiß
keinen Krieg zu beginnen. Hätte der NevolutionSkrieg auf Kaiser Leopold warten
müssen, er wäre bis zum heutigen Tage nicht begonnen. Es war dies mehr eine
schlaue, als eine weise Politik. Leopold übersah die unermeßliche Angriffslust
und Augriffskraft der Revolution. Er verschloß sich der Ansicht, daß, wenn die
Mächte das Schwert in der Scheide behielten, die französischen Demokraten den
Kampf eröffnen würden. Friedrich Wilhelm II. war bei weitem nicht so klug "ut
politisch gebildet, wie der Kaiser; aber in der Hauptfrage, Krieg oder Frieden,
traf es sein Gefühl richtiger, als aller Scharfsinn Leopolds.

Aber Leopold fürchtete mit einem Bundesgenossen wie Preußen einen Krieg
gegen Frankreich zu beginnen. Er wußte, wie sehr in Berlin die östreichische
und die Fridericianische Partei sich die Wage hielten, wie leicht letztere die Ober¬
hand gewinnen konnte, wie insbesondere Preußen nach der Nothwendigkeit der
Dinge sein Verlangen nach Danzig und Thorn nimmermehr aufgeben würde.
Er erkannte, daß uuter solchen Umständen die lothringische Politik, Deutschland
durch die militärischen Kräfte des östreichischen Gesammtstaates zu beherrschen un¬
möglich war, daß Preußen nicht auf die Dauer seine Zukunft einem sogenannten
conservativen System aufopfern würde. Es gab für ihn nnr eine Wahl: Ver¬
zicht auf die lothringische Hauspolitik oder Frieden in Westeuropa. Er wählt?
den letzteren. -

Die Kaisern Katharina von Rußland dagegen nahm sich nach dem Türken¬
frieden der Sache der Emigranten mit dem größten Eifer an. Im Bunde mit
dem ritterlichen König Gustav von Schweden bestürmte sie den Kaiser Leopold,
sich an die Spitze der gemeinsame" Sache zu stellen. Hierin gingen preußische
und russische Wünsche Hand in Hand. Leopold aber war zum französischen Krieg


Leopold konnte nicht daran denken, sich in neue Weiterungen zu stürzen, wenn
Preußen nicht einen gleichen Theil der Lasten und Gefahren übernahm. Aber
die »enen Forderungen Oestreichs in der Türkeusrage hinderten ein solches
Zusammenwirke». Mit einiger Energie hätte Preußen ohne Zweifel alles durch¬
setze» könne». Allen, es entschloß sich zum dritten Mal in diesem Jahr einen
Schritt zurnckznthnn. Am S. Juli schied Herzberg aus dem Ministerium.
Bischofswerder und seiue Freunde siegten. Man unterließ nicht blos den Krieg
gegen Oestreich, man räumte nicht blos die türkischen Forderungen desselben ein,
sondern man wechselte das ganze politische System und suchte das Heil der
Monarchie in einem engen Anschluß an Oestreich. Der Wunsch, gegen die
Revolution in das Feld zu ziehen, trug es über alle andern Rücksichten davon.
Die alten Pläne der Tripleallianz und selbst die bescheidene Stellung von Reichen¬
bach gab man vollständig auf.

Wie stand es mit dem einzigen Gegenwunsch Preußens, mit der conservativen
Dazwischeukniift in Frankreich? Leopolds System war, durch umfangreiche
Drohungen die französischen Parteien möglichst einzuschüchtern, aber ganz gewiß
keinen Krieg zu beginnen. Hätte der NevolutionSkrieg auf Kaiser Leopold warten
müssen, er wäre bis zum heutigen Tage nicht begonnen. Es war dies mehr eine
schlaue, als eine weise Politik. Leopold übersah die unermeßliche Angriffslust
und Augriffskraft der Revolution. Er verschloß sich der Ansicht, daß, wenn die
Mächte das Schwert in der Scheide behielten, die französischen Demokraten den
Kampf eröffnen würden. Friedrich Wilhelm II. war bei weitem nicht so klug »ut
politisch gebildet, wie der Kaiser; aber in der Hauptfrage, Krieg oder Frieden,
traf es sein Gefühl richtiger, als aller Scharfsinn Leopolds.

Aber Leopold fürchtete mit einem Bundesgenossen wie Preußen einen Krieg
gegen Frankreich zu beginnen. Er wußte, wie sehr in Berlin die östreichische
und die Fridericianische Partei sich die Wage hielten, wie leicht letztere die Ober¬
hand gewinnen konnte, wie insbesondere Preußen nach der Nothwendigkeit der
Dinge sein Verlangen nach Danzig und Thorn nimmermehr aufgeben würde.
Er erkannte, daß uuter solchen Umständen die lothringische Politik, Deutschland
durch die militärischen Kräfte des östreichischen Gesammtstaates zu beherrschen un¬
möglich war, daß Preußen nicht auf die Dauer seine Zukunft einem sogenannten
conservativen System aufopfern würde. Es gab für ihn nnr eine Wahl: Ver¬
zicht auf die lothringische Hauspolitik oder Frieden in Westeuropa. Er wählt?
den letzteren. -

Die Kaisern Katharina von Rußland dagegen nahm sich nach dem Türken¬
frieden der Sache der Emigranten mit dem größten Eifer an. Im Bunde mit
dem ritterlichen König Gustav von Schweden bestürmte sie den Kaiser Leopold,
sich an die Spitze der gemeinsame» Sache zu stellen. Hierin gingen preußische
und russische Wünsche Hand in Hand. Leopold aber war zum französischen Krieg


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[0174] Leopold konnte nicht daran denken, sich in neue Weiterungen zu stürzen, wenn Preußen nicht einen gleichen Theil der Lasten und Gefahren übernahm. Aber die »enen Forderungen Oestreichs in der Türkeusrage hinderten ein solches Zusammenwirke». Mit einiger Energie hätte Preußen ohne Zweifel alles durch¬ setze» könne». Allen, es entschloß sich zum dritten Mal in diesem Jahr einen Schritt zurnckznthnn. Am S. Juli schied Herzberg aus dem Ministerium. Bischofswerder und seiue Freunde siegten. Man unterließ nicht blos den Krieg gegen Oestreich, man räumte nicht blos die türkischen Forderungen desselben ein, sondern man wechselte das ganze politische System und suchte das Heil der Monarchie in einem engen Anschluß an Oestreich. Der Wunsch, gegen die Revolution in das Feld zu ziehen, trug es über alle andern Rücksichten davon. Die alten Pläne der Tripleallianz und selbst die bescheidene Stellung von Reichen¬ bach gab man vollständig auf. Wie stand es mit dem einzigen Gegenwunsch Preußens, mit der conservativen Dazwischeukniift in Frankreich? Leopolds System war, durch umfangreiche Drohungen die französischen Parteien möglichst einzuschüchtern, aber ganz gewiß keinen Krieg zu beginnen. Hätte der NevolutionSkrieg auf Kaiser Leopold warten müssen, er wäre bis zum heutigen Tage nicht begonnen. Es war dies mehr eine schlaue, als eine weise Politik. Leopold übersah die unermeßliche Angriffslust und Augriffskraft der Revolution. Er verschloß sich der Ansicht, daß, wenn die Mächte das Schwert in der Scheide behielten, die französischen Demokraten den Kampf eröffnen würden. Friedrich Wilhelm II. war bei weitem nicht so klug »ut politisch gebildet, wie der Kaiser; aber in der Hauptfrage, Krieg oder Frieden, traf es sein Gefühl richtiger, als aller Scharfsinn Leopolds. Aber Leopold fürchtete mit einem Bundesgenossen wie Preußen einen Krieg gegen Frankreich zu beginnen. Er wußte, wie sehr in Berlin die östreichische und die Fridericianische Partei sich die Wage hielten, wie leicht letztere die Ober¬ hand gewinnen konnte, wie insbesondere Preußen nach der Nothwendigkeit der Dinge sein Verlangen nach Danzig und Thorn nimmermehr aufgeben würde. Er erkannte, daß uuter solchen Umständen die lothringische Politik, Deutschland durch die militärischen Kräfte des östreichischen Gesammtstaates zu beherrschen un¬ möglich war, daß Preußen nicht auf die Dauer seine Zukunft einem sogenannten conservativen System aufopfern würde. Es gab für ihn nnr eine Wahl: Ver¬ zicht auf die lothringische Hauspolitik oder Frieden in Westeuropa. Er wählt? den letzteren. - Die Kaisern Katharina von Rußland dagegen nahm sich nach dem Türken¬ frieden der Sache der Emigranten mit dem größten Eifer an. Im Bunde mit dem ritterlichen König Gustav von Schweden bestürmte sie den Kaiser Leopold, sich an die Spitze der gemeinsame» Sache zu stellen. Hierin gingen preußische und russische Wünsche Hand in Hand. Leopold aber war zum französischen Krieg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/174>, abgerufen am 06.02.2025.