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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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einerseits mit England, das die Erhaltung der Türkei schon damals als einen der
ersten Grundsätze seiner Politik betrachtete, andererseits mit Holland ein Bündniß
das den beiden Kaiserhöfen namentlich in der türkischen Frage entschieden ent¬
gegentrat. In Polen rief der preußische Gesandte die patriotische Partei gegen
Nußland auf, in Belgien unterstützte Preußen den Aufstand gegen Joseph II.,
und ein Ausschuß der ungarischen Opposition kam Nach Berlin herüber; es war
die Rede davon, daß der Reichstag die Rechte des Königreichs Ungarn förmlich
unter preußische Gewährleistung stellen wollte.

z Indessen starb Joseph II. bereits 1790. -- Leopold II. verzichtete zwar ans
die großen Eroberungsplaue seines Bruders, verlangte aber doch eine Entschädigung
für die im Türkenkrieg aufgewendeten Kosten. Hierbei fand er einen Hauptgegner
in dem preußischen Minister Herzberg. Herzberg, der Schüler Friedrichs II.,
hatte keine Frende und kein Gewissen, als die Sorge um Beförderung der
preußischen Interessen. Er lebte und webte in dem Vorwärtsschreiten Preußens
und verstand es, ganz Europa für seine Plane in Bewegung zu setzen. Er
wünschte Polen und der Pforte Vertrauen zu Preußen einzuflößen und sie dadurch
gegen die Kaiserhofe standhaft zu erhalten; in diesem Sinne kam er ihnen eifrig
entgegen, belebte die Kriegslust der Türken und begünstigte einige Aenderungen
in der polnischen Verfassung, die ebensoviel Schläge für den russischen Einfluß
waren, seine Absicht war, den an der Donau siegreichen Kaiserhöfen zwar einen Theil
ihrer Beute zu lassen, hierfür aber von beiden entsprechende Vortheile für Preußen zu
gewinnen, und zwar beanspruchte er Danzig und Thorn und einen Theil
schwedisch-Pommerns. Allein Leopold II. wollte lieber auf jede Erwerbung an
der Donau verzichten, als Preußen an der Ostsee sich stärken lassen, und es
gelang ihm durch persönliche Einwirkung auf den leicht bestimmbaren König die
Bestrebungen Herzbergs zu paralysiren. Ueberdies erklärten sich die Seemächte,
deren Handelsinteressen es zuwiderlief, den Preußen Danzig zu verschaffen, gegen
die Pläne Herzbergs. Unter diesen Umständen ließ der König von Preußen
seine Ansprüche auf Danzig fallen und ertheilte Herzberg den gemessenen Befehl,
bei Abschließung des Friedens ans strenge Erhaltung des Besitzstandes zu bestehen.
So kam der Neichenbacher Vertrag zu Stande.

In Berlin war darauf großer Jubel über die Abwendung der Kriegsgefahr.
Namentlich freuten sich die französischen Emigranten, für sie war es eine Lebens¬
frage, daß Oestreich und Preußen sich nicht untereinander befehdeten und gemein¬
schaftlich in Frankreich intervenirten. Der König zeigte sich geneigt, einen
Ritterzug zu Ehren des monarchischen Princips gegen das revolutionäre Paris
zu unternehmen, und sein Günstling, der Oberst Bischofswerder, der eifrig dem
östreichischen Frieden das Wort geredet, wußte das menschliche Mitgefühl des
Königs für die Emigranten vortrefflich für sein politisches System zu benutzen
Ein östreichisch-preußisches Bündniß erschien als eine große conservative Maßregel.


einerseits mit England, das die Erhaltung der Türkei schon damals als einen der
ersten Grundsätze seiner Politik betrachtete, andererseits mit Holland ein Bündniß
das den beiden Kaiserhöfen namentlich in der türkischen Frage entschieden ent¬
gegentrat. In Polen rief der preußische Gesandte die patriotische Partei gegen
Nußland auf, in Belgien unterstützte Preußen den Aufstand gegen Joseph II.,
und ein Ausschuß der ungarischen Opposition kam Nach Berlin herüber; es war
die Rede davon, daß der Reichstag die Rechte des Königreichs Ungarn förmlich
unter preußische Gewährleistung stellen wollte.

z Indessen starb Joseph II. bereits 1790. — Leopold II. verzichtete zwar ans
die großen Eroberungsplaue seines Bruders, verlangte aber doch eine Entschädigung
für die im Türkenkrieg aufgewendeten Kosten. Hierbei fand er einen Hauptgegner
in dem preußischen Minister Herzberg. Herzberg, der Schüler Friedrichs II.,
hatte keine Frende und kein Gewissen, als die Sorge um Beförderung der
preußischen Interessen. Er lebte und webte in dem Vorwärtsschreiten Preußens
und verstand es, ganz Europa für seine Plane in Bewegung zu setzen. Er
wünschte Polen und der Pforte Vertrauen zu Preußen einzuflößen und sie dadurch
gegen die Kaiserhofe standhaft zu erhalten; in diesem Sinne kam er ihnen eifrig
entgegen, belebte die Kriegslust der Türken und begünstigte einige Aenderungen
in der polnischen Verfassung, die ebensoviel Schläge für den russischen Einfluß
waren, seine Absicht war, den an der Donau siegreichen Kaiserhöfen zwar einen Theil
ihrer Beute zu lassen, hierfür aber von beiden entsprechende Vortheile für Preußen zu
gewinnen, und zwar beanspruchte er Danzig und Thorn und einen Theil
schwedisch-Pommerns. Allein Leopold II. wollte lieber auf jede Erwerbung an
der Donau verzichten, als Preußen an der Ostsee sich stärken lassen, und es
gelang ihm durch persönliche Einwirkung auf den leicht bestimmbaren König die
Bestrebungen Herzbergs zu paralysiren. Ueberdies erklärten sich die Seemächte,
deren Handelsinteressen es zuwiderlief, den Preußen Danzig zu verschaffen, gegen
die Pläne Herzbergs. Unter diesen Umständen ließ der König von Preußen
seine Ansprüche auf Danzig fallen und ertheilte Herzberg den gemessenen Befehl,
bei Abschließung des Friedens ans strenge Erhaltung des Besitzstandes zu bestehen.
So kam der Neichenbacher Vertrag zu Stande.

In Berlin war darauf großer Jubel über die Abwendung der Kriegsgefahr.
Namentlich freuten sich die französischen Emigranten, für sie war es eine Lebens¬
frage, daß Oestreich und Preußen sich nicht untereinander befehdeten und gemein¬
schaftlich in Frankreich intervenirten. Der König zeigte sich geneigt, einen
Ritterzug zu Ehren des monarchischen Princips gegen das revolutionäre Paris
zu unternehmen, und sein Günstling, der Oberst Bischofswerder, der eifrig dem
östreichischen Frieden das Wort geredet, wußte das menschliche Mitgefühl des
Königs für die Emigranten vortrefflich für sein politisches System zu benutzen
Ein östreichisch-preußisches Bündniß erschien als eine große conservative Maßregel.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/171>, abgerufen am 06.02.2025.