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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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wird, und der General Lopez weiß recht gut, daß, wenn er abfällt, der Dolch der
Clubs auf seine Brust gezückt ist. Die "rothe" Beredsamkeit dieser Clubs ver¬
breitet sich fortwährend über das Proletariat, über die Unsittlichkeit der stehenden
Heere, über die Ehelosigkeit der Geistlichkeit und die Emancipation der Frauen.
Die bürgerliche Ehe ist ihnen die freie Ehe ans dem Altar der Natur. "Die
Preßfreiheit hat den Gedanken entfesselt, sagt einer ihrer Redner, die Gewerbe-
freiheit vermehrt den Reichthum: warum gründet Ihr nicht die eheliche Freiheit,
die Freiheit der edlen und hochherzigen Liebe?" er verlangt, daß die Ehegatten,
wenn es ihnen beliebt ihre Ehe auflösen könne". "Der Socialismus ist das
Wort, das Jesus Christus auf dem Golgatha ausgesprochen hat", ruft el" an¬
derer Redner, u"d ein dritter erbietet sich, den Erzbischof vou Bogota zu ermor¬
de", "wen" der Tod desselben zum Triumph der socialen Sache nothwendig sei."

Mit den Clubs halten die Journale gleichen Schritt. Neugranada ge¬
nießt alle Wohlthaten des demokratischen und socialen Staates. Die Freiheit der
Presse ist ebenso unbeschränkt, als die Freiheit der Rede: Preßvergehen gibt es
nicht mehr. Es haben in Neugranada Journale bestanden, welche sich der
"sociale Communisimis" nannten. Selbst die officielle Zeitung dri"ge Artikel
"über die republikanische Idee, über die Demokratie und die Theokratie, über
die natürliche Attractio" und die menschenfreundliche Association." Dazu kommen
eine Menge Blätter, in denen die reinste Demagogie weht. Der Alacran, der
Rep-Granadino, der Avisos de Mvnserrate, der Balle, der Canon ?c.
Während in andern Ländern Südamerikas, zumal in Chili und Valparaiso, jetzt
auch i" Peru, die Journale belehrende Artikel über Gewerbe, Handel, maritime
Unternehmungen gebe" und nach ven englische" Blätter" sich bilde", herrscht i"
der Presse von Neugranada entflammte Discnssiv", wüthende Polemik, schmä¬
hende und cynische Personalität; es mischen sich die locale" Leidenschaften mit de"
revolutionäre" Pnncipie".

Solches Treiben hat den" anch in dem practischen Leben seine Früchte ge¬
tragen. Neugranada war in den letzten Jahre" el"er Art von. chronischer Anarchie
preisgegeben: die Unordnung war Normalzustand. Der Socialismus hat die
Provinzen in der wenig metaphysischen Form materieller Plünderung und Ver¬
heerung durchzogen. Namentlich im Süden, in der Provinz Call, wurden die
Schranken des Eigenthums niedergerissen: Emissäre ginge" in die Haciendaö und
reizten die Sklaven zum Aufstande und zur Ermordung ihrer Herren; die Frauen
waren auf der Straße Beleidigungen und in ihren Häusern der Gewalt preis¬
gegeben. Die öffentlichen Behörden schliefen oder bliebe" Zuschauer dieser Ver¬
brechen, deren Urheber ihre Clienten, die Sünden der demokratischen Gesellschaf¬
ten ""d zur Vertheidigmig der Regienmg bewaffnet waren. Zu Bogota selbst,
unter den Augen der Regierung, entwickelten sich bald alle Laster, Zügellostgkeit
der Sitten, Spiel und Faulheit; Diebstähle und Nanbaufälle vermehrten sich der


wird, und der General Lopez weiß recht gut, daß, wenn er abfällt, der Dolch der
Clubs auf seine Brust gezückt ist. Die „rothe" Beredsamkeit dieser Clubs ver¬
breitet sich fortwährend über das Proletariat, über die Unsittlichkeit der stehenden
Heere, über die Ehelosigkeit der Geistlichkeit und die Emancipation der Frauen.
Die bürgerliche Ehe ist ihnen die freie Ehe ans dem Altar der Natur. „Die
Preßfreiheit hat den Gedanken entfesselt, sagt einer ihrer Redner, die Gewerbe-
freiheit vermehrt den Reichthum: warum gründet Ihr nicht die eheliche Freiheit,
die Freiheit der edlen und hochherzigen Liebe?" er verlangt, daß die Ehegatten,
wenn es ihnen beliebt ihre Ehe auflösen könne». „Der Socialismus ist das
Wort, das Jesus Christus auf dem Golgatha ausgesprochen hat", ruft el» an¬
derer Redner, u»d ein dritter erbietet sich, den Erzbischof vou Bogota zu ermor¬
de», „wen» der Tod desselben zum Triumph der socialen Sache nothwendig sei."

Mit den Clubs halten die Journale gleichen Schritt. Neugranada ge¬
nießt alle Wohlthaten des demokratischen und socialen Staates. Die Freiheit der
Presse ist ebenso unbeschränkt, als die Freiheit der Rede: Preßvergehen gibt es
nicht mehr. Es haben in Neugranada Journale bestanden, welche sich der
„sociale Communisimis" nannten. Selbst die officielle Zeitung dri»ge Artikel
„über die republikanische Idee, über die Demokratie und die Theokratie, über
die natürliche Attractio» und die menschenfreundliche Association." Dazu kommen
eine Menge Blätter, in denen die reinste Demagogie weht. Der Alacran, der
Rep-Granadino, der Avisos de Mvnserrate, der Balle, der Canon ?c.
Während in andern Ländern Südamerikas, zumal in Chili und Valparaiso, jetzt
auch i» Peru, die Journale belehrende Artikel über Gewerbe, Handel, maritime
Unternehmungen gebe» und nach ven englische» Blätter» sich bilde», herrscht i»
der Presse von Neugranada entflammte Discnssiv», wüthende Polemik, schmä¬
hende und cynische Personalität; es mischen sich die locale» Leidenschaften mit de»
revolutionäre» Pnncipie».

Solches Treiben hat den» anch in dem practischen Leben seine Früchte ge¬
tragen. Neugranada war in den letzten Jahre» el»er Art von. chronischer Anarchie
preisgegeben: die Unordnung war Normalzustand. Der Socialismus hat die
Provinzen in der wenig metaphysischen Form materieller Plünderung und Ver¬
heerung durchzogen. Namentlich im Süden, in der Provinz Call, wurden die
Schranken des Eigenthums niedergerissen: Emissäre ginge» in die Haciendaö und
reizten die Sklaven zum Aufstande und zur Ermordung ihrer Herren; die Frauen
waren auf der Straße Beleidigungen und in ihren Häusern der Gewalt preis¬
gegeben. Die öffentlichen Behörden schliefen oder bliebe» Zuschauer dieser Ver¬
brechen, deren Urheber ihre Clienten, die Sünden der demokratischen Gesellschaf¬
ten »»d zur Vertheidigmig der Regienmg bewaffnet waren. Zu Bogota selbst,
unter den Augen der Regierung, entwickelten sich bald alle Laster, Zügellostgkeit
der Sitten, Spiel und Faulheit; Diebstähle und Nanbaufälle vermehrten sich der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/141>, abgerufen am 06.02.2025.