Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ebenen nachzuweisen, die Landleute singen nicht wie Ungarn. Freilich ist i" dem
Liede gar nichts Magyarisches zu finden, es ist wie billig echt deutsch, aber das
ist die Composition trotz alles Juchhei! Juchhei! doch anch nicht, vielmehr erinnert
die Färbung derselben eher an italienische Volksweise, -- man denke sich den
Mischmasch! Uebrigens macht sich schon hier fühlbar, was bei den späteren Lie¬
dern freilich noch viel ärger hervortritt, daß das Bestreben, etwas volksmäßig
Einfaches zu schaffen, zur baaren Trivialität geführt hat; um dieser etwas Cha¬
rakteristisches zu geben, sind dann die forcirtesten Effecte durch harmonische und
rhytmische Verrenkungen und frappante Jnstrumentation hinzugefügt; durch alles
das aber wird die ursprüngliche Trivialität nnr noch auffallender und fataler.

Unter den "Bildern des zweiten Acts" zeigt uns das erste "Faust in seinem
Studirzimmer. Recitativ zu einer Jnstrumeutalfuge." Man weiß, wie Berlioz
über die Fuge denkt, daß er ihrem Erfinder die ewige Verdammuiß gewünscht
hat; man weiß, daß er einst Cherubini offen erklärte: n'meno p-rs Ist tussue,
und dieser ihm ebenso offen erwiederte: "Zi, la tu^us no vous ains Ms, --
man fragt daher mit gerechter Verwunderung: wie kommt Saul nnter die Pro¬
pheten? Indessen überzeugt man sich bald, daß Berlioz kein Paulus der Fuge ge¬
worden ist. Die Einleitung zu dem ersten Monologe Fausts: "Habe nun ach!
Juristerei" beginnen die Bässe mit einem knurrenden, fortschleichendcn Thema,
das den unbehaglichen Zustand eines an Unbehaglichkeit Leidenden nicht übel aus¬
drückt, die Bratschen nehmen .es auf -- es klingt wahrhaftig so nach einer Fuge;
aber uur eine Weile, dann tritt ein anderes, sehr abstechendes Thema hervor --
ein Cvntrasubject! Doch nein, es kommt ein anderes und wieder ein anderes
zum Vorschein -- vor den Contrasubjecten ist das Subject und die Fuge ab¬
handen gekommen. Und nu" merkt man, daß dies lauter überwundene Stand¬
punkte Fausts aus allen Facultäten waren, die daher billig als unverdaute Brocken,
die er sich nicht asstmiliren konnte, ohne Zusammenhang nebeneinander stehen,
und daß die scheinbare Fuge gar nichts bedeutet, als die übelangewandten Studien
Fausts, die ihn in so schlechte Stimmung versetzen. Dieser musikalische Humor,
der die Langweiligkeit der vier Facultäten durch die Fuge und vive versa der
Fuge durch die Facultäten trifft, täuscht deu Zuhörer in der That, man hört voll
Neugierde auf die Berliozsche Fuge und wird darüber nicht in dem Grade ge¬
langweilt, als man sollte.

Das dritte Bild enthält "des Ostermorgens Hymne. Austritt des Mephi-
stopheles." Diese Scene ist die am wenigsten hervortretende. Der Gesang in der
Kirche ist an sich nicht bedentend und der Situation sowenig entsprechend als
die Radziwillschc Komposition desselben. Sie müßte der einfachste und innigste
Ausdruck frommen Glaubens sein, um die Gewalt, welche sie auf Faust ausübt,
auch über den Zuhörer zu gewinnen, aber sie läßt vollständig kalt. Unmittelbar
darauf tritt Mephistopheles ans, man weiß nicht woher und weshalb, allein Faust


16*

Ebenen nachzuweisen, die Landleute singen nicht wie Ungarn. Freilich ist i» dem
Liede gar nichts Magyarisches zu finden, es ist wie billig echt deutsch, aber das
ist die Composition trotz alles Juchhei! Juchhei! doch anch nicht, vielmehr erinnert
die Färbung derselben eher an italienische Volksweise, — man denke sich den
Mischmasch! Uebrigens macht sich schon hier fühlbar, was bei den späteren Lie¬
dern freilich noch viel ärger hervortritt, daß das Bestreben, etwas volksmäßig
Einfaches zu schaffen, zur baaren Trivialität geführt hat; um dieser etwas Cha¬
rakteristisches zu geben, sind dann die forcirtesten Effecte durch harmonische und
rhytmische Verrenkungen und frappante Jnstrumentation hinzugefügt; durch alles
das aber wird die ursprüngliche Trivialität nnr noch auffallender und fataler.

Unter den „Bildern des zweiten Acts" zeigt uns das erste „Faust in seinem
Studirzimmer. Recitativ zu einer Jnstrumeutalfuge." Man weiß, wie Berlioz
über die Fuge denkt, daß er ihrem Erfinder die ewige Verdammuiß gewünscht
hat; man weiß, daß er einst Cherubini offen erklärte: n'meno p-rs Ist tussue,
und dieser ihm ebenso offen erwiederte: «Zi, la tu^us no vous ains Ms, —
man fragt daher mit gerechter Verwunderung: wie kommt Saul nnter die Pro¬
pheten? Indessen überzeugt man sich bald, daß Berlioz kein Paulus der Fuge ge¬
worden ist. Die Einleitung zu dem ersten Monologe Fausts: „Habe nun ach!
Juristerei" beginnen die Bässe mit einem knurrenden, fortschleichendcn Thema,
das den unbehaglichen Zustand eines an Unbehaglichkeit Leidenden nicht übel aus¬
drückt, die Bratschen nehmen .es auf — es klingt wahrhaftig so nach einer Fuge;
aber uur eine Weile, dann tritt ein anderes, sehr abstechendes Thema hervor —
ein Cvntrasubject! Doch nein, es kommt ein anderes und wieder ein anderes
zum Vorschein — vor den Contrasubjecten ist das Subject und die Fuge ab¬
handen gekommen. Und nu» merkt man, daß dies lauter überwundene Stand¬
punkte Fausts aus allen Facultäten waren, die daher billig als unverdaute Brocken,
die er sich nicht asstmiliren konnte, ohne Zusammenhang nebeneinander stehen,
und daß die scheinbare Fuge gar nichts bedeutet, als die übelangewandten Studien
Fausts, die ihn in so schlechte Stimmung versetzen. Dieser musikalische Humor,
der die Langweiligkeit der vier Facultäten durch die Fuge und vive versa der
Fuge durch die Facultäten trifft, täuscht deu Zuhörer in der That, man hört voll
Neugierde auf die Berliozsche Fuge und wird darüber nicht in dem Grade ge¬
langweilt, als man sollte.

Das dritte Bild enthält „des Ostermorgens Hymne. Austritt des Mephi-
stopheles." Diese Scene ist die am wenigsten hervortretende. Der Gesang in der
Kirche ist an sich nicht bedentend und der Situation sowenig entsprechend als
die Radziwillschc Komposition desselben. Sie müßte der einfachste und innigste
Ausdruck frommen Glaubens sein, um die Gewalt, welche sie auf Faust ausübt,
auch über den Zuhörer zu gewinnen, aber sie läßt vollständig kalt. Unmittelbar
darauf tritt Mephistopheles ans, man weiß nicht woher und weshalb, allein Faust


16*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0131" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96836"/>
          <p xml:id="ID_346" prev="#ID_345"> Ebenen nachzuweisen, die Landleute singen nicht wie Ungarn. Freilich ist i» dem<lb/>
Liede gar nichts Magyarisches zu finden, es ist wie billig echt deutsch, aber das<lb/>
ist die Composition trotz alles Juchhei! Juchhei! doch anch nicht, vielmehr erinnert<lb/>
die Färbung derselben eher an italienische Volksweise, &#x2014; man denke sich den<lb/>
Mischmasch! Uebrigens macht sich schon hier fühlbar, was bei den späteren Lie¬<lb/>
dern freilich noch viel ärger hervortritt, daß das Bestreben, etwas volksmäßig<lb/>
Einfaches zu schaffen, zur baaren Trivialität geführt hat; um dieser etwas Cha¬<lb/>
rakteristisches zu geben, sind dann die forcirtesten Effecte durch harmonische und<lb/>
rhytmische Verrenkungen und frappante Jnstrumentation hinzugefügt; durch alles<lb/>
das aber wird die ursprüngliche Trivialität nnr noch auffallender und fataler.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_347"> Unter den &#x201E;Bildern des zweiten Acts" zeigt uns das erste &#x201E;Faust in seinem<lb/>
Studirzimmer. Recitativ zu einer Jnstrumeutalfuge." Man weiß, wie Berlioz<lb/>
über die Fuge denkt, daß er ihrem Erfinder die ewige Verdammuiß gewünscht<lb/>
hat; man weiß, daß er einst Cherubini offen erklärte: n'meno p-rs Ist tussue,<lb/>
und dieser ihm ebenso offen erwiederte: «Zi, la tu^us no vous ains Ms, &#x2014;<lb/>
man fragt daher mit gerechter Verwunderung: wie kommt Saul nnter die Pro¬<lb/>
pheten? Indessen überzeugt man sich bald, daß Berlioz kein Paulus der Fuge ge¬<lb/>
worden ist. Die Einleitung zu dem ersten Monologe Fausts: &#x201E;Habe nun ach!<lb/>
Juristerei" beginnen die Bässe mit einem knurrenden, fortschleichendcn Thema,<lb/>
das den unbehaglichen Zustand eines an Unbehaglichkeit Leidenden nicht übel aus¬<lb/>
drückt, die Bratschen nehmen .es auf &#x2014; es klingt wahrhaftig so nach einer Fuge;<lb/>
aber uur eine Weile, dann tritt ein anderes, sehr abstechendes Thema hervor &#x2014;<lb/>
ein Cvntrasubject! Doch nein, es kommt ein anderes und wieder ein anderes<lb/>
zum Vorschein &#x2014; vor den Contrasubjecten ist das Subject und die Fuge ab¬<lb/>
handen gekommen. Und nu» merkt man, daß dies lauter überwundene Stand¬<lb/>
punkte Fausts aus allen Facultäten waren, die daher billig als unverdaute Brocken,<lb/>
die er sich nicht asstmiliren konnte, ohne Zusammenhang nebeneinander stehen,<lb/>
und daß die scheinbare Fuge gar nichts bedeutet, als die übelangewandten Studien<lb/>
Fausts, die ihn in so schlechte Stimmung versetzen. Dieser musikalische Humor,<lb/>
der die Langweiligkeit der vier Facultäten durch die Fuge und vive versa der<lb/>
Fuge durch die Facultäten trifft, täuscht deu Zuhörer in der That, man hört voll<lb/>
Neugierde auf die Berliozsche Fuge und wird darüber nicht in dem Grade ge¬<lb/>
langweilt, als man sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_348" next="#ID_349"> Das dritte Bild enthält &#x201E;des Ostermorgens Hymne. Austritt des Mephi-<lb/>
stopheles." Diese Scene ist die am wenigsten hervortretende. Der Gesang in der<lb/>
Kirche ist an sich nicht bedentend und der Situation sowenig entsprechend als<lb/>
die Radziwillschc Komposition desselben. Sie müßte der einfachste und innigste<lb/>
Ausdruck frommen Glaubens sein, um die Gewalt, welche sie auf Faust ausübt,<lb/>
auch über den Zuhörer zu gewinnen, aber sie läßt vollständig kalt. Unmittelbar<lb/>
darauf tritt Mephistopheles ans, man weiß nicht woher und weshalb, allein Faust</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 16*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0131] Ebenen nachzuweisen, die Landleute singen nicht wie Ungarn. Freilich ist i» dem Liede gar nichts Magyarisches zu finden, es ist wie billig echt deutsch, aber das ist die Composition trotz alles Juchhei! Juchhei! doch anch nicht, vielmehr erinnert die Färbung derselben eher an italienische Volksweise, — man denke sich den Mischmasch! Uebrigens macht sich schon hier fühlbar, was bei den späteren Lie¬ dern freilich noch viel ärger hervortritt, daß das Bestreben, etwas volksmäßig Einfaches zu schaffen, zur baaren Trivialität geführt hat; um dieser etwas Cha¬ rakteristisches zu geben, sind dann die forcirtesten Effecte durch harmonische und rhytmische Verrenkungen und frappante Jnstrumentation hinzugefügt; durch alles das aber wird die ursprüngliche Trivialität nnr noch auffallender und fataler. Unter den „Bildern des zweiten Acts" zeigt uns das erste „Faust in seinem Studirzimmer. Recitativ zu einer Jnstrumeutalfuge." Man weiß, wie Berlioz über die Fuge denkt, daß er ihrem Erfinder die ewige Verdammuiß gewünscht hat; man weiß, daß er einst Cherubini offen erklärte: n'meno p-rs Ist tussue, und dieser ihm ebenso offen erwiederte: «Zi, la tu^us no vous ains Ms, — man fragt daher mit gerechter Verwunderung: wie kommt Saul nnter die Pro¬ pheten? Indessen überzeugt man sich bald, daß Berlioz kein Paulus der Fuge ge¬ worden ist. Die Einleitung zu dem ersten Monologe Fausts: „Habe nun ach! Juristerei" beginnen die Bässe mit einem knurrenden, fortschleichendcn Thema, das den unbehaglichen Zustand eines an Unbehaglichkeit Leidenden nicht übel aus¬ drückt, die Bratschen nehmen .es auf — es klingt wahrhaftig so nach einer Fuge; aber uur eine Weile, dann tritt ein anderes, sehr abstechendes Thema hervor — ein Cvntrasubject! Doch nein, es kommt ein anderes und wieder ein anderes zum Vorschein — vor den Contrasubjecten ist das Subject und die Fuge ab¬ handen gekommen. Und nu» merkt man, daß dies lauter überwundene Stand¬ punkte Fausts aus allen Facultäten waren, die daher billig als unverdaute Brocken, die er sich nicht asstmiliren konnte, ohne Zusammenhang nebeneinander stehen, und daß die scheinbare Fuge gar nichts bedeutet, als die übelangewandten Studien Fausts, die ihn in so schlechte Stimmung versetzen. Dieser musikalische Humor, der die Langweiligkeit der vier Facultäten durch die Fuge und vive versa der Fuge durch die Facultäten trifft, täuscht deu Zuhörer in der That, man hört voll Neugierde auf die Berliozsche Fuge und wird darüber nicht in dem Grade ge¬ langweilt, als man sollte. Das dritte Bild enthält „des Ostermorgens Hymne. Austritt des Mephi- stopheles." Diese Scene ist die am wenigsten hervortretende. Der Gesang in der Kirche ist an sich nicht bedentend und der Situation sowenig entsprechend als die Radziwillschc Komposition desselben. Sie müßte der einfachste und innigste Ausdruck frommen Glaubens sein, um die Gewalt, welche sie auf Faust ausübt, auch über den Zuhörer zu gewinnen, aber sie läßt vollständig kalt. Unmittelbar darauf tritt Mephistopheles ans, man weiß nicht woher und weshalb, allein Faust 16*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/131
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/131>, abgerufen am 06.02.2025.