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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Krone Anlaß gab, durch die Erklärungen des Justizministers jedoch erledigt wurde.
Der dritte Entwurf betraf den Handelsvertrag mit dem Zollverein, der in der
zweiten Kammer mit 33 gegen 18 Stimmen angenommen ward.

Als am i>. Mai die Kammer wieder zusammentrat, legte der Justizminister,
v. Rosenthal, seine Organisation der Justiz vor, hatte aber ebenso großes Un¬
glück damit, wie mit fast allen seinen früheren Gesetzesentwürfen. Die Kammer
fand sie zu illiberal, zu kostspielig; die Auswahl der Gerichtssitze verletzte viele
Lvcalinteressen und leider auch Abgeordnete; vor allem nahm Amsterdam es
übel, daß es nicht eines der vier projectirten Obergerichte erhalten solle. Nach
vielem Hin- und Herreden, wobei der Minister nicht mit Unrecht bemerkte, quot
ciMta, tot ssrisus, ward der Entwurf mit 43 gegen 13 Stimmen verworfen, und
der Justizminister suchte sammt seinem Bruder, dem Kriegsminister, die Entlassung
nach, welche ihm aber, wie wir sehen werden, erst spät wurde.

Im Juni mußte die Hälfte der zweiten Kammer sich der vom Gesetze ge¬
ordneten neue" Wahl unterwerfen; der Erfolg war ein glänzender für das Mi¬
nisterium Thorbecke, indem sämmtliche Anhänger desselben wiedererwählt, einige
zweifelhafte mit sicheren ersetzt wurden, von der sogenannten antirevolntionären
Partei nur zwei ihre Plätze in der Kammer behielten, und auch nur nach einer wie¬
derholten Abstimmung, obgleich nicht zu verkeimen war, daß diese niederländische
Antirevolntionspartei fast überall im Lande über eine bedeutende Anzahl Stimmen
zu verfügen hatte; vorzüglich stark zeigte sie sich in den altholländischen Städten,
den Sitzen des orthodoxen Neformirtenthums, und der Patriziersamilien. Die
zwei zu dieser Partei gehörigen Deputirten, der Baron Mackay und der als
Schriftsteller und Mensch von allen Parteien anerkannte Groen van Prinsterer,
waren auch außerhalb der Kammer die Führer dieser Reactionsparlei, welche
man sich aber hüten muß, mit den absolutistischen Reactions? und Represstons-
parteien zusammenzuwerfen, vor allem deshalb, weil sie nicht an die Wiederher¬
stellung von Adelsvorrechten denkt. Von den 63,000 Wählern, welche dieses Mal
von der Gesammtzahl der niederländischen Wähler, von 73,000 zum Stimmen
aufgerufen waren, stimmten nur 33,000, ein Beweis, wie wenig die Massen in
ruhigeren Zeiten sich um ihr Wahlrecht kümmern; besonders in den Niederlanden,
wo socialistische Tendenzen bei dem Arbeiterstande keinen Anklang finden, und die¬
ser das Regieren dem gebildeten Bürgerstande kluger Weise gern überläßt.

Die so erneuerte Kammer begann die Fortsetzung ihrer Berathungen mit der
hitzigen Debatte über die russische Schuldforderung, gegen deren Nichtigkeit, und
noch mehr gegen die Weise, in welcher der stets unglückliche Minister des Auswär¬
tigen die Ehre der Niederlande bei dem Abschluß des darauf bezüglichen Tractats
gewahrt hatte, die große Mehrheit der Kammer in den bittersten Ausdrücken sich
erhob. Der Entwurf, auf dessen Inhalt genauer einzugehen uns der Raum ver¬
bietet, ward von den Freunden des Ministeriums so gereinigt, daß alles Ehrenkränkende


Krone Anlaß gab, durch die Erklärungen des Justizministers jedoch erledigt wurde.
Der dritte Entwurf betraf den Handelsvertrag mit dem Zollverein, der in der
zweiten Kammer mit 33 gegen 18 Stimmen angenommen ward.

Als am i>. Mai die Kammer wieder zusammentrat, legte der Justizminister,
v. Rosenthal, seine Organisation der Justiz vor, hatte aber ebenso großes Un¬
glück damit, wie mit fast allen seinen früheren Gesetzesentwürfen. Die Kammer
fand sie zu illiberal, zu kostspielig; die Auswahl der Gerichtssitze verletzte viele
Lvcalinteressen und leider auch Abgeordnete; vor allem nahm Amsterdam es
übel, daß es nicht eines der vier projectirten Obergerichte erhalten solle. Nach
vielem Hin- und Herreden, wobei der Minister nicht mit Unrecht bemerkte, quot
ciMta, tot ssrisus, ward der Entwurf mit 43 gegen 13 Stimmen verworfen, und
der Justizminister suchte sammt seinem Bruder, dem Kriegsminister, die Entlassung
nach, welche ihm aber, wie wir sehen werden, erst spät wurde.

Im Juni mußte die Hälfte der zweiten Kammer sich der vom Gesetze ge¬
ordneten neue» Wahl unterwerfen; der Erfolg war ein glänzender für das Mi¬
nisterium Thorbecke, indem sämmtliche Anhänger desselben wiedererwählt, einige
zweifelhafte mit sicheren ersetzt wurden, von der sogenannten antirevolntionären
Partei nur zwei ihre Plätze in der Kammer behielten, und auch nur nach einer wie¬
derholten Abstimmung, obgleich nicht zu verkeimen war, daß diese niederländische
Antirevolntionspartei fast überall im Lande über eine bedeutende Anzahl Stimmen
zu verfügen hatte; vorzüglich stark zeigte sie sich in den altholländischen Städten,
den Sitzen des orthodoxen Neformirtenthums, und der Patriziersamilien. Die
zwei zu dieser Partei gehörigen Deputirten, der Baron Mackay und der als
Schriftsteller und Mensch von allen Parteien anerkannte Groen van Prinsterer,
waren auch außerhalb der Kammer die Führer dieser Reactionsparlei, welche
man sich aber hüten muß, mit den absolutistischen Reactions? und Represstons-
parteien zusammenzuwerfen, vor allem deshalb, weil sie nicht an die Wiederher¬
stellung von Adelsvorrechten denkt. Von den 63,000 Wählern, welche dieses Mal
von der Gesammtzahl der niederländischen Wähler, von 73,000 zum Stimmen
aufgerufen waren, stimmten nur 33,000, ein Beweis, wie wenig die Massen in
ruhigeren Zeiten sich um ihr Wahlrecht kümmern; besonders in den Niederlanden,
wo socialistische Tendenzen bei dem Arbeiterstande keinen Anklang finden, und die¬
ser das Regieren dem gebildeten Bürgerstande kluger Weise gern überläßt.

Die so erneuerte Kammer begann die Fortsetzung ihrer Berathungen mit der
hitzigen Debatte über die russische Schuldforderung, gegen deren Nichtigkeit, und
noch mehr gegen die Weise, in welcher der stets unglückliche Minister des Auswär¬
tigen die Ehre der Niederlande bei dem Abschluß des darauf bezüglichen Tractats
gewahrt hatte, die große Mehrheit der Kammer in den bittersten Ausdrücken sich
erhob. Der Entwurf, auf dessen Inhalt genauer einzugehen uns der Raum ver¬
bietet, ward von den Freunden des Ministeriums so gereinigt, daß alles Ehrenkränkende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/98>, abgerufen am 23.07.2024.