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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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eigene Kraft in dieser Lebensfrage für beide gewahrt würden. Eine neuerliche Aeu¬
ßerung der ofstciellen östreichischen Korrespondenz, die auf den ersten Blick Nußland
günstig erscheint, scheint ebenfalls bei näherer Prüfung für diese Wendung in der
östreichischen Politik zu sprechen. Indem diese.Korrespondenz die russischen For¬
derungen als gerecht anerkennt, hofft sie zugleich, es würden dieselben durch die
neuerdings durch Fernau den Christen der Türkei gemachten Concessionen befrie¬
digt sein: eine Auffassung, die unter einer rücksichtsvollen Form sich ganz dem
von Frankreich und England angenommenen Standpunkt anschließt. Hoffentlich
ist die östreichische Korrespondenz diesmal ein genauerer Ausdruck der Intentionen
des Wiener Cabinets, als das andere süddeutsche Organ der östreichischen Politik,
das in seinem Cmgländerhaß soweit geht, daß es Propaganda für Rußland
macht.

Wenden wir uns einen Augenblick von dem lauten Getümmel der Politik
ab und der stillen Welt der Fische zu. Sie in den Geheimnissen ihres Privat-
und öffentlichen Lebens zu beobachten, gibt uns das neuerrichtete aqnatische Vi-
varium im zoologischen Garten die beste Gelegenheit. Es ist dies eine lebende
Darstellung des Meeresgrundes und seiner verschiedenen Bewohner, ein Anblick,
wie ihn die Nixen in ihren blauen Höhlen von Meereswogen haben mögen. Im
zoologischen Garten ist nach Art des Krystallpalastes von Glas und Eisen ein
leichtes luftiges Gebäude von 60 Fuß Länge und 20 Fuß Breite gebaut, in
welchem 1i> sechs Fuß im Durchmesser haltende Wasserbehälter von Spiegelglas an¬
gebracht sind. Acht von diesen Wasserbehältern sind vor der Hand für lebende
Seethiere bestimmt, und sechs davon sind fertig. Sie enthalten Felsblöcke, Sand,
Kies, Korallen, Seegras und Seewasser; und sind reichlich mit Crustaceen, See¬
sternen, Seeeiern, Actinien, Ascidien, Mollusken mit und ohne Schale, und Fischen
der Gattungen Gasterosteus, Labrus, Crenilabrus, Blennius, Gobius und Cottus'
besetzt. Alles regt und bewegt sich wie im Naturzustande, ruht jetzt aus und frißt
dann oder wird gefressen. Hier steht man eine schöngefärbte Actinie, die ihre
zahlreichen Fühlfäden ausstreckt, dort ein Pecten mit offener Schale; hier kriecht
' eine Littorina verstohlen an einem Felsenspalt hin, dort zucken die schönen Strahlen
eines Balanus, während die thätigen Fische und Krebse die Scene beleben.
Die Formen der verschiedenen Thiere sind über alle Begriffe merkwürdig; und
ihre Farben, ihre Farbenveränderungen und das Verschmelzen der Farben ist nicht
weniger interessant.

Die Algen, die zugleich als Zierde und den Thieren zum Schutz, sowie zur
Reinigung des Wassers dienen, scheinen sich ebenso wohl zu befinden, wie die Zoo-
Pbyten. Die Sammlung ist aus den englischen Meeren gewonnen, aber das
Gebäude kann vergrößert werden, und die Gesellschaft hofft auch noch, Seethiere
aus den tropischen Meeren aufstellen zu können. Wie schön wird es erst aussehen,
wenn eine Flotte von Argonauten mit ausgespannten Segeln geschwommen kommt,

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eigene Kraft in dieser Lebensfrage für beide gewahrt würden. Eine neuerliche Aeu¬
ßerung der ofstciellen östreichischen Korrespondenz, die auf den ersten Blick Nußland
günstig erscheint, scheint ebenfalls bei näherer Prüfung für diese Wendung in der
östreichischen Politik zu sprechen. Indem diese.Korrespondenz die russischen For¬
derungen als gerecht anerkennt, hofft sie zugleich, es würden dieselben durch die
neuerdings durch Fernau den Christen der Türkei gemachten Concessionen befrie¬
digt sein: eine Auffassung, die unter einer rücksichtsvollen Form sich ganz dem
von Frankreich und England angenommenen Standpunkt anschließt. Hoffentlich
ist die östreichische Korrespondenz diesmal ein genauerer Ausdruck der Intentionen
des Wiener Cabinets, als das andere süddeutsche Organ der östreichischen Politik,
das in seinem Cmgländerhaß soweit geht, daß es Propaganda für Rußland
macht.

Wenden wir uns einen Augenblick von dem lauten Getümmel der Politik
ab und der stillen Welt der Fische zu. Sie in den Geheimnissen ihres Privat-
und öffentlichen Lebens zu beobachten, gibt uns das neuerrichtete aqnatische Vi-
varium im zoologischen Garten die beste Gelegenheit. Es ist dies eine lebende
Darstellung des Meeresgrundes und seiner verschiedenen Bewohner, ein Anblick,
wie ihn die Nixen in ihren blauen Höhlen von Meereswogen haben mögen. Im
zoologischen Garten ist nach Art des Krystallpalastes von Glas und Eisen ein
leichtes luftiges Gebäude von 60 Fuß Länge und 20 Fuß Breite gebaut, in
welchem 1i> sechs Fuß im Durchmesser haltende Wasserbehälter von Spiegelglas an¬
gebracht sind. Acht von diesen Wasserbehältern sind vor der Hand für lebende
Seethiere bestimmt, und sechs davon sind fertig. Sie enthalten Felsblöcke, Sand,
Kies, Korallen, Seegras und Seewasser; und sind reichlich mit Crustaceen, See¬
sternen, Seeeiern, Actinien, Ascidien, Mollusken mit und ohne Schale, und Fischen
der Gattungen Gasterosteus, Labrus, Crenilabrus, Blennius, Gobius und Cottus'
besetzt. Alles regt und bewegt sich wie im Naturzustande, ruht jetzt aus und frißt
dann oder wird gefressen. Hier steht man eine schöngefärbte Actinie, die ihre
zahlreichen Fühlfäden ausstreckt, dort ein Pecten mit offener Schale; hier kriecht
' eine Littorina verstohlen an einem Felsenspalt hin, dort zucken die schönen Strahlen
eines Balanus, während die thätigen Fische und Krebse die Scene beleben.
Die Formen der verschiedenen Thiere sind über alle Begriffe merkwürdig; und
ihre Farben, ihre Farbenveränderungen und das Verschmelzen der Farben ist nicht
weniger interessant.

Die Algen, die zugleich als Zierde und den Thieren zum Schutz, sowie zur
Reinigung des Wassers dienen, scheinen sich ebenso wohl zu befinden, wie die Zoo-
Pbyten. Die Sammlung ist aus den englischen Meeren gewonnen, aber das
Gebäude kann vergrößert werden, und die Gesellschaft hofft auch noch, Seethiere
aus den tropischen Meeren aufstellen zu können. Wie schön wird es erst aussehen,
wenn eine Flotte von Argonauten mit ausgespannten Segeln geschwommen kommt,

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[0085] eigene Kraft in dieser Lebensfrage für beide gewahrt würden. Eine neuerliche Aeu¬ ßerung der ofstciellen östreichischen Korrespondenz, die auf den ersten Blick Nußland günstig erscheint, scheint ebenfalls bei näherer Prüfung für diese Wendung in der östreichischen Politik zu sprechen. Indem diese.Korrespondenz die russischen For¬ derungen als gerecht anerkennt, hofft sie zugleich, es würden dieselben durch die neuerdings durch Fernau den Christen der Türkei gemachten Concessionen befrie¬ digt sein: eine Auffassung, die unter einer rücksichtsvollen Form sich ganz dem von Frankreich und England angenommenen Standpunkt anschließt. Hoffentlich ist die östreichische Korrespondenz diesmal ein genauerer Ausdruck der Intentionen des Wiener Cabinets, als das andere süddeutsche Organ der östreichischen Politik, das in seinem Cmgländerhaß soweit geht, daß es Propaganda für Rußland macht. Wenden wir uns einen Augenblick von dem lauten Getümmel der Politik ab und der stillen Welt der Fische zu. Sie in den Geheimnissen ihres Privat- und öffentlichen Lebens zu beobachten, gibt uns das neuerrichtete aqnatische Vi- varium im zoologischen Garten die beste Gelegenheit. Es ist dies eine lebende Darstellung des Meeresgrundes und seiner verschiedenen Bewohner, ein Anblick, wie ihn die Nixen in ihren blauen Höhlen von Meereswogen haben mögen. Im zoologischen Garten ist nach Art des Krystallpalastes von Glas und Eisen ein leichtes luftiges Gebäude von 60 Fuß Länge und 20 Fuß Breite gebaut, in welchem 1i> sechs Fuß im Durchmesser haltende Wasserbehälter von Spiegelglas an¬ gebracht sind. Acht von diesen Wasserbehältern sind vor der Hand für lebende Seethiere bestimmt, und sechs davon sind fertig. Sie enthalten Felsblöcke, Sand, Kies, Korallen, Seegras und Seewasser; und sind reichlich mit Crustaceen, See¬ sternen, Seeeiern, Actinien, Ascidien, Mollusken mit und ohne Schale, und Fischen der Gattungen Gasterosteus, Labrus, Crenilabrus, Blennius, Gobius und Cottus' besetzt. Alles regt und bewegt sich wie im Naturzustande, ruht jetzt aus und frißt dann oder wird gefressen. Hier steht man eine schöngefärbte Actinie, die ihre zahlreichen Fühlfäden ausstreckt, dort ein Pecten mit offener Schale; hier kriecht ' eine Littorina verstohlen an einem Felsenspalt hin, dort zucken die schönen Strahlen eines Balanus, während die thätigen Fische und Krebse die Scene beleben. Die Formen der verschiedenen Thiere sind über alle Begriffe merkwürdig; und ihre Farben, ihre Farbenveränderungen und das Verschmelzen der Farben ist nicht weniger interessant. Die Algen, die zugleich als Zierde und den Thieren zum Schutz, sowie zur Reinigung des Wassers dienen, scheinen sich ebenso wohl zu befinden, wie die Zoo- Pbyten. Die Sammlung ist aus den englischen Meeren gewonnen, aber das Gebäude kann vergrößert werden, und die Gesellschaft hofft auch noch, Seethiere aus den tropischen Meeren aufstellen zu können. Wie schön wird es erst aussehen, wenn eine Flotte von Argonauten mit ausgespannten Segeln geschwommen kommt, '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/85>, abgerufen am 23.07.2024.