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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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lands nehmen, wenn sie u. a. jetzt über den Ehrgeiz Englands declamiren und
diesen Augenblick als einen sehr passenden für Deutschland bezeichnen, um
mit Rußland in eine Koalition gegen jenes zu treten, so verdient dieses Gebahren
keine Discussion, es ist genügend, es der öffentlichen Verachtung zu überweisen.
Mag ein Anderer Entschuldigungsgründe dafür auffinden, wir sehen darin die
bewußte Preisgebung der wichtigsten Interessen des deutschen Volkes.

Natürlich nimmt uuter den Parteigänger Rußlands die Kreuzzeitung eine
ganz hervorragende Stelle el", hervorragend durch die unglaublichen Absurditäten,
die sie dabei zu Markte bringt, und durch den Weihrauch, den sie mit devotem
Enthusiasmus dem russischen Kaiser streut. Die Zwecke der Partei, welche dieses
Organ vertritt, find so geartet, um nnr in der Erniedrigung Preußens ihre
Rechnung finden zu können, und sie bebt vor keiner Erniedrigung zurück, wenn
dieselbe ihre Zwecke befördert. Ehe sie das Minnen rsluFimn ihres Egoismus, das
russische Bündniß, oder vielmehr den russischen Schutz ausgibt, würde sie lieber
alles aufgebe", was eine große Vergangenheit Preußen vermacht hat, alles, was
ihm die Zlcknnst eröffnet.

Es scheint übrigens, daß die Kreuzzeitung ein, wenn auch schwaches Be¬
wußtsein der Rolle hat, die sie spielt, und diese Ueberreste von Schamgefühl
sind bezeichnend für die Wahrheit des politischen Fanatismus, den sie stets zur
Schan zu stellen beliebt. Denn wenn wir anch niemals durch ihr anmaßendes Auf-
treten und ihre unklare Phraseologie uus zu dem Glauben von der geistigen Bedeutung
dieser Zeitung verleiten ließen, der eine Zeitlang vorherrschend war und auch jetzt
vielleicht noch bei einige" hinterpommerschen Landjunkern bestehe" mag, so ist
doch die traurige Konfusion ihrer Einfälle über die orientalische Angelegenheit
selbst nicht durch die allerschlechteste Meinung von ihrem allgemeinen Geistesver-
mögen z" erklären. Ihre Selbstsucht ist zwar nicht unentschlossen, welche Partei
sie zu ergreifen hat, aber augenscheinlich genirt durch die Erkenntniß, daß sie dies-
mal in nacktester Blöße vor das Publicum treten muß.

Bald versichert uns die Kreuzzeitung, der erhabene Charakter des russischen
Kaisers bürge für die Gerechtigkeit seiner Forderungen -- die sie wahrscheinlich
deshalb ohne jede nähere Erörterung für gerecht erklärt -- und lasse den Ge¬
danken, er werde davou abstehen, als lächerlich erscheinen. Nach dieser höchst
achtungswerthe" Umschau""g hängt also das Gleichgewicht Europas und die Un¬
abhängigkeit seiner Staaten von dem Charakter und der Gerechtigkeit des Zaren
ab. Dann räth sie mit den Airs einer unendlichen diplomatischen Überlegenheit
für Preußen eine beobachtende, zu wartende Stellung a" -- a"f Basis der
russische" Forderungen. Der Patriotismus und das Selbstgefühl dieser Leute
raffen sich also wirklich soweit auf, daß sie uicht verlangen, Preußen solle sofort
seine Armee mobil machen und an den Rhein schicken, um den Padischah zum
Vasallen Rußlands machen zu helfen. Es soll vorläufig nur der russischen Poli-


lands nehmen, wenn sie u. a. jetzt über den Ehrgeiz Englands declamiren und
diesen Augenblick als einen sehr passenden für Deutschland bezeichnen, um
mit Rußland in eine Koalition gegen jenes zu treten, so verdient dieses Gebahren
keine Discussion, es ist genügend, es der öffentlichen Verachtung zu überweisen.
Mag ein Anderer Entschuldigungsgründe dafür auffinden, wir sehen darin die
bewußte Preisgebung der wichtigsten Interessen des deutschen Volkes.

Natürlich nimmt uuter den Parteigänger Rußlands die Kreuzzeitung eine
ganz hervorragende Stelle el», hervorragend durch die unglaublichen Absurditäten,
die sie dabei zu Markte bringt, und durch den Weihrauch, den sie mit devotem
Enthusiasmus dem russischen Kaiser streut. Die Zwecke der Partei, welche dieses
Organ vertritt, find so geartet, um nnr in der Erniedrigung Preußens ihre
Rechnung finden zu können, und sie bebt vor keiner Erniedrigung zurück, wenn
dieselbe ihre Zwecke befördert. Ehe sie das Minnen rsluFimn ihres Egoismus, das
russische Bündniß, oder vielmehr den russischen Schutz ausgibt, würde sie lieber
alles aufgebe», was eine große Vergangenheit Preußen vermacht hat, alles, was
ihm die Zlcknnst eröffnet.

Es scheint übrigens, daß die Kreuzzeitung ein, wenn auch schwaches Be¬
wußtsein der Rolle hat, die sie spielt, und diese Ueberreste von Schamgefühl
sind bezeichnend für die Wahrheit des politischen Fanatismus, den sie stets zur
Schan zu stellen beliebt. Denn wenn wir anch niemals durch ihr anmaßendes Auf-
treten und ihre unklare Phraseologie uus zu dem Glauben von der geistigen Bedeutung
dieser Zeitung verleiten ließen, der eine Zeitlang vorherrschend war und auch jetzt
vielleicht noch bei einige» hinterpommerschen Landjunkern bestehe» mag, so ist
doch die traurige Konfusion ihrer Einfälle über die orientalische Angelegenheit
selbst nicht durch die allerschlechteste Meinung von ihrem allgemeinen Geistesver-
mögen z» erklären. Ihre Selbstsucht ist zwar nicht unentschlossen, welche Partei
sie zu ergreifen hat, aber augenscheinlich genirt durch die Erkenntniß, daß sie dies-
mal in nacktester Blöße vor das Publicum treten muß.

Bald versichert uns die Kreuzzeitung, der erhabene Charakter des russischen
Kaisers bürge für die Gerechtigkeit seiner Forderungen — die sie wahrscheinlich
deshalb ohne jede nähere Erörterung für gerecht erklärt — und lasse den Ge¬
danken, er werde davou abstehen, als lächerlich erscheinen. Nach dieser höchst
achtungswerthe» Umschau»»g hängt also das Gleichgewicht Europas und die Un¬
abhängigkeit seiner Staaten von dem Charakter und der Gerechtigkeit des Zaren
ab. Dann räth sie mit den Airs einer unendlichen diplomatischen Überlegenheit
für Preußen eine beobachtende, zu wartende Stellung a» — a»f Basis der
russische» Forderungen. Der Patriotismus und das Selbstgefühl dieser Leute
raffen sich also wirklich soweit auf, daß sie uicht verlangen, Preußen solle sofort
seine Armee mobil machen und an den Rhein schicken, um den Padischah zum
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/82>, abgerufen am 03.07.2024.