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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Gorgias, der dieses Kunstwerk bestellt und bezahlt hat. Phidias soll es abliefern,
aber er ist, so wie Pygmalion in seine Galathea, in seine drei käuflichen Grazien
verliebt und mag sich nicht von ihnen trennen. Gorgias pocht ans sein Recht und
besteht aus der Ablieferung. Diogenes, dem Gorgias sein Faß wegnehmen ließ, und der
bei Phidias sich zu Nacht gebeten, bietet sich als Schiedsrichter an, und verlangt, daß
man es den Statuen freistelle, wem sie folgen wollen. Beide Parteien gehen auf
diese" Vorschlag ein und die drei griechischen Bredaerinncn erklären sich ein¬
stimmig für den reichen Gorgias. Phidias steht zerschmettert da und der Ver¬
blendete steht das schone häusliche Glück nicht, das er verschmäht, in der Liebe sei¬
ner Sclavin eines lieblichen, unschuldigen Geschöpfes, das ihm sein Herz anbietet.
"Gesellschaft könnte er die beste haben und doch stürzt er diesen Mädchen nach."
Dieses ist auch der Inhalt des eigentlichen Stückes. Wir begegnen denselben
Personen im modernen Gewände. Aus Phidias ist der Bildhauer Raphael ge¬
worden, aus Gorgias ein reicher Graf, der Breda nimmt, wofür es ist, und statt
sentimental zu sein, in die Tasche greift. Alcibiades, der im Prolog ein Wcinlied
singt, ist jetzt ein Bruder Liederlich, der mit Geist bezahlt, wo die Börse nicht
ausreicht. Diogenes ist Redacteur der unabhängigen Laterne, Aspasia eine
Primadonna vom italienischen Theater, welche ihren Ruhm nicht ihrer schönen
Stimme verdankt, und Thea, die Sclavin, begegnet uns als angenommene Toch¬
ter von Raphaels Mutter wieder.

Raphael macht die Bekanntschaft von Mario im Bois de Boulogne, wo er
von Diogenes ihr vorgestellt wird -- er verliebt sich in sie, zieht mit ihr aufs
Land, ganz wie der Camelienritter -- langweilt sie zu Tode, bis sie sich vom
wohlberechnenden und wohlzahleuden Grasen wieder nach Paris bringen läßt. Sie
sagt Raphael ins Gesicht, daß sie ihn nie geliebt -- was dieser erst glaubt, nach¬
dem ihm Mario noch weitere Demüthigungen zufügt und das Liebespaar zieht
auseinander. Mario kehrt zu den Napoleons des Grafen zurück und Raphael
in sein Atelier. Er findet seine Mutter und Adoptivschwefter aus den Knien,
Gott um seine baldige Rückkehr auflesend. Das inbrünstige Gebet wird erhört,
Raphael fliegt in die Arme seiner Mutter, diese verzeiht und geht augenblicklich schla¬
fen, weil sie seit sechs Wochen kein Auge geschlossen. Raphael will sich wieder an
die Arbeit machen und das begonnene Bildniß seiner Adoptivschwefter vollenden.
Seine Kraft ist entschwunden. Der Künstlergeist ist von ihm geschwunden, sein Herz
gebrochen, weder die Liebe der unschuldigen Kinder noch der wiederkehrende Freund
Diogenes vermögen ihn zu trösten, er stirbt an Mario. Dieser tritt grade herein,
als er die Seele ausgehaucht und der Vorhang fällt gerührt nieder.

Wenn Sie mich fragen, was mich mehr empört hat, die Schlechtigkeit dieses
Machwerks, oder die Gemeinheit des Publicums, das an einem solchen Stücke
Gefallen finden kann, so wäre ich in Verlegenheit es zu sagen. Publicum und
Künstler sind einander werth.


Grenzboten, III. 18L3, 9

Gorgias, der dieses Kunstwerk bestellt und bezahlt hat. Phidias soll es abliefern,
aber er ist, so wie Pygmalion in seine Galathea, in seine drei käuflichen Grazien
verliebt und mag sich nicht von ihnen trennen. Gorgias pocht ans sein Recht und
besteht aus der Ablieferung. Diogenes, dem Gorgias sein Faß wegnehmen ließ, und der
bei Phidias sich zu Nacht gebeten, bietet sich als Schiedsrichter an, und verlangt, daß
man es den Statuen freistelle, wem sie folgen wollen. Beide Parteien gehen auf
diese» Vorschlag ein und die drei griechischen Bredaerinncn erklären sich ein¬
stimmig für den reichen Gorgias. Phidias steht zerschmettert da und der Ver¬
blendete steht das schone häusliche Glück nicht, das er verschmäht, in der Liebe sei¬
ner Sclavin eines lieblichen, unschuldigen Geschöpfes, das ihm sein Herz anbietet.
„Gesellschaft könnte er die beste haben und doch stürzt er diesen Mädchen nach."
Dieses ist auch der Inhalt des eigentlichen Stückes. Wir begegnen denselben
Personen im modernen Gewände. Aus Phidias ist der Bildhauer Raphael ge¬
worden, aus Gorgias ein reicher Graf, der Breda nimmt, wofür es ist, und statt
sentimental zu sein, in die Tasche greift. Alcibiades, der im Prolog ein Wcinlied
singt, ist jetzt ein Bruder Liederlich, der mit Geist bezahlt, wo die Börse nicht
ausreicht. Diogenes ist Redacteur der unabhängigen Laterne, Aspasia eine
Primadonna vom italienischen Theater, welche ihren Ruhm nicht ihrer schönen
Stimme verdankt, und Thea, die Sclavin, begegnet uns als angenommene Toch¬
ter von Raphaels Mutter wieder.

Raphael macht die Bekanntschaft von Mario im Bois de Boulogne, wo er
von Diogenes ihr vorgestellt wird — er verliebt sich in sie, zieht mit ihr aufs
Land, ganz wie der Camelienritter — langweilt sie zu Tode, bis sie sich vom
wohlberechnenden und wohlzahleuden Grasen wieder nach Paris bringen läßt. Sie
sagt Raphael ins Gesicht, daß sie ihn nie geliebt — was dieser erst glaubt, nach¬
dem ihm Mario noch weitere Demüthigungen zufügt und das Liebespaar zieht
auseinander. Mario kehrt zu den Napoleons des Grafen zurück und Raphael
in sein Atelier. Er findet seine Mutter und Adoptivschwefter aus den Knien,
Gott um seine baldige Rückkehr auflesend. Das inbrünstige Gebet wird erhört,
Raphael fliegt in die Arme seiner Mutter, diese verzeiht und geht augenblicklich schla¬
fen, weil sie seit sechs Wochen kein Auge geschlossen. Raphael will sich wieder an
die Arbeit machen und das begonnene Bildniß seiner Adoptivschwefter vollenden.
Seine Kraft ist entschwunden. Der Künstlergeist ist von ihm geschwunden, sein Herz
gebrochen, weder die Liebe der unschuldigen Kinder noch der wiederkehrende Freund
Diogenes vermögen ihn zu trösten, er stirbt an Mario. Dieser tritt grade herein,
als er die Seele ausgehaucht und der Vorhang fällt gerührt nieder.

Wenn Sie mich fragen, was mich mehr empört hat, die Schlechtigkeit dieses
Machwerks, oder die Gemeinheit des Publicums, das an einem solchen Stücke
Gefallen finden kann, so wäre ich in Verlegenheit es zu sagen. Publicum und
Künstler sind einander werth.


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[0073] Gorgias, der dieses Kunstwerk bestellt und bezahlt hat. Phidias soll es abliefern, aber er ist, so wie Pygmalion in seine Galathea, in seine drei käuflichen Grazien verliebt und mag sich nicht von ihnen trennen. Gorgias pocht ans sein Recht und besteht aus der Ablieferung. Diogenes, dem Gorgias sein Faß wegnehmen ließ, und der bei Phidias sich zu Nacht gebeten, bietet sich als Schiedsrichter an, und verlangt, daß man es den Statuen freistelle, wem sie folgen wollen. Beide Parteien gehen auf diese» Vorschlag ein und die drei griechischen Bredaerinncn erklären sich ein¬ stimmig für den reichen Gorgias. Phidias steht zerschmettert da und der Ver¬ blendete steht das schone häusliche Glück nicht, das er verschmäht, in der Liebe sei¬ ner Sclavin eines lieblichen, unschuldigen Geschöpfes, das ihm sein Herz anbietet. „Gesellschaft könnte er die beste haben und doch stürzt er diesen Mädchen nach." Dieses ist auch der Inhalt des eigentlichen Stückes. Wir begegnen denselben Personen im modernen Gewände. Aus Phidias ist der Bildhauer Raphael ge¬ worden, aus Gorgias ein reicher Graf, der Breda nimmt, wofür es ist, und statt sentimental zu sein, in die Tasche greift. Alcibiades, der im Prolog ein Wcinlied singt, ist jetzt ein Bruder Liederlich, der mit Geist bezahlt, wo die Börse nicht ausreicht. Diogenes ist Redacteur der unabhängigen Laterne, Aspasia eine Primadonna vom italienischen Theater, welche ihren Ruhm nicht ihrer schönen Stimme verdankt, und Thea, die Sclavin, begegnet uns als angenommene Toch¬ ter von Raphaels Mutter wieder. Raphael macht die Bekanntschaft von Mario im Bois de Boulogne, wo er von Diogenes ihr vorgestellt wird — er verliebt sich in sie, zieht mit ihr aufs Land, ganz wie der Camelienritter — langweilt sie zu Tode, bis sie sich vom wohlberechnenden und wohlzahleuden Grasen wieder nach Paris bringen läßt. Sie sagt Raphael ins Gesicht, daß sie ihn nie geliebt — was dieser erst glaubt, nach¬ dem ihm Mario noch weitere Demüthigungen zufügt und das Liebespaar zieht auseinander. Mario kehrt zu den Napoleons des Grafen zurück und Raphael in sein Atelier. Er findet seine Mutter und Adoptivschwefter aus den Knien, Gott um seine baldige Rückkehr auflesend. Das inbrünstige Gebet wird erhört, Raphael fliegt in die Arme seiner Mutter, diese verzeiht und geht augenblicklich schla¬ fen, weil sie seit sechs Wochen kein Auge geschlossen. Raphael will sich wieder an die Arbeit machen und das begonnene Bildniß seiner Adoptivschwefter vollenden. Seine Kraft ist entschwunden. Der Künstlergeist ist von ihm geschwunden, sein Herz gebrochen, weder die Liebe der unschuldigen Kinder noch der wiederkehrende Freund Diogenes vermögen ihn zu trösten, er stirbt an Mario. Dieser tritt grade herein, als er die Seele ausgehaucht und der Vorhang fällt gerührt nieder. Wenn Sie mich fragen, was mich mehr empört hat, die Schlechtigkeit dieses Machwerks, oder die Gemeinheit des Publicums, das an einem solchen Stücke Gefallen finden kann, so wäre ich in Verlegenheit es zu sagen. Publicum und Künstler sind einander werth. Grenzboten, III. 18L3, 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/73>, abgerufen am 01.10.2024.