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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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keit und übertönt das Meer. Es ist Markttag; die Banerwciber der Nachbar¬
schaft kommen ans Eseln und Maulthieren langsam gezogen. Den geduldigen
Lastträgern sind mit einem breiten Gurt zwei zu beiden Seiten herabhängende
Korbe über den Rücken gelegt. Der eine enthält die Waaren, der andere die
Besitzerin. Mit großer Geschicklichkeit wissen die Landestöchter diese sonderbare
Equipage, Carcolet genannt, im Gleichgewicht zu erhalten und beim Absteigen
einen Eckstein, eine niedrige Mauer als Stütze des beladenen Korbes zu benutzen.
Die erste Sorge gilt dann der Toilette: die Falten der braunen oder violetten
Röcke, der langen bunten Schürzen werde" geordnet, das weiße oder dunkelrothe,
kapuzenartige Manlelet von Flanell wird abgestäubt, die Schleifen des bunten
Kopftuches oder die Garnirung der saubern Haube mit vorsichtiger Hand ge¬
glättet. Dann wird dem grauen oder braunen Thiere ein Futterbeutel umgehängt
und zum Schutze der Waaren das Skapulier in den Korb gelegt -- und nun
kauu die Verkäuferin ohne Sorgen zu den Kunden gehen. Andere Frauen richten
sich ans dem Marktplatze ihre" Stand ein, suchen die Gemüse und Früchte, die
Eier und das Geflügel, deu Flachs und den Schinken in möglichst gutes Licht
zu stellen und preisen die Güte und Wohlfeilheit ihrer Waaren in allen Ton¬
arten und Dialekten. Die Fischermädchc" von Se. Jean-de-Luz, Bidaritz und
A'ülva tragen ihren frischen Fang in runden Körben aus dem Kopfe und rufen
auf allen Straßen ihr kreischendes: "Msson! poisson!" Ebenso laut erschallt
der Ruf: "Wut can! Wut cerni" womit die Kastanienverkäuferiunen die Wärme
ihrer gekochten und gerösteten Früchte preisen. Und der Tabnletkrämer, der
Taschenspieler, der Schuhwichse- und Fleckseifenfabrikaut, der Decrotteur und der
Marchand d'alumettes chimiques behaupten ihr Recht mit großem Geschrei und
kräftigen Ellenbogcnstößen. Lärm und Gedränge wachsen mit jeder Viertelstunde.
Ernst und würdevoll schreite" die Männer von Aspe und Ossou einher; gewöhnlich
zu drei oder vier in einer Reihe, schlagen sie tactmäßig mit den Eisenspitzen ihrer
Stöcke auf das Pflaster, als gings zum Gerichtshof der Cour majour. Sie
wollen ein Pferd kaufen von der muntern Race, die aus den Thälern des Bi-
gorre hierhergebracht werden, oder mit den Kaufherren wegen der Schinken der
nächsten Mast unterhandeln. Mit lebhaften Bewegungen und singendem Dialekt
eilt der Gascogner durch die Menge. Mit schlauen Blicken gehen die Juden,
welche die Vorstadt Se. Esprit bevölkern, hin und wieder. Der Spanier
schreitet langsam und hochmüthig einher, den Cigaretto rauchend, in seine bunte
Decke gehüllt, und schleudert mit wüthenden " Dvmonios!" die Straßenjungen
zurück, die sich neckend an seine Lumpen hänge". Jetzt nimmt ein Maulthier-
treiber Platz und Aufmerksamkeit in Anspruch. Es muß ein Andalusier sein: an
der blauseidnen Jacke hängen unzählige Knöpfe von klingendem Metall und auf
dem Kopfe trägt er die rothe Ncsilla, ein langes seidnes Netz. Geputzt und
kokett wie er, schütteln die Thiere de" mit Quasten und Glöckchen behangenen


keit und übertönt das Meer. Es ist Markttag; die Banerwciber der Nachbar¬
schaft kommen ans Eseln und Maulthieren langsam gezogen. Den geduldigen
Lastträgern sind mit einem breiten Gurt zwei zu beiden Seiten herabhängende
Korbe über den Rücken gelegt. Der eine enthält die Waaren, der andere die
Besitzerin. Mit großer Geschicklichkeit wissen die Landestöchter diese sonderbare
Equipage, Carcolet genannt, im Gleichgewicht zu erhalten und beim Absteigen
einen Eckstein, eine niedrige Mauer als Stütze des beladenen Korbes zu benutzen.
Die erste Sorge gilt dann der Toilette: die Falten der braunen oder violetten
Röcke, der langen bunten Schürzen werde» geordnet, das weiße oder dunkelrothe,
kapuzenartige Manlelet von Flanell wird abgestäubt, die Schleifen des bunten
Kopftuches oder die Garnirung der saubern Haube mit vorsichtiger Hand ge¬
glättet. Dann wird dem grauen oder braunen Thiere ein Futterbeutel umgehängt
und zum Schutze der Waaren das Skapulier in den Korb gelegt — und nun
kauu die Verkäuferin ohne Sorgen zu den Kunden gehen. Andere Frauen richten
sich ans dem Marktplatze ihre« Stand ein, suchen die Gemüse und Früchte, die
Eier und das Geflügel, deu Flachs und den Schinken in möglichst gutes Licht
zu stellen und preisen die Güte und Wohlfeilheit ihrer Waaren in allen Ton¬
arten und Dialekten. Die Fischermädchc» von Se. Jean-de-Luz, Bidaritz und
A'ülva tragen ihren frischen Fang in runden Körben aus dem Kopfe und rufen
auf allen Straßen ihr kreischendes: „Msson! poisson!" Ebenso laut erschallt
der Ruf: „Wut can! Wut cerni" womit die Kastanienverkäuferiunen die Wärme
ihrer gekochten und gerösteten Früchte preisen. Und der Tabnletkrämer, der
Taschenspieler, der Schuhwichse- und Fleckseifenfabrikaut, der Decrotteur und der
Marchand d'alumettes chimiques behaupten ihr Recht mit großem Geschrei und
kräftigen Ellenbogcnstößen. Lärm und Gedränge wachsen mit jeder Viertelstunde.
Ernst und würdevoll schreite» die Männer von Aspe und Ossou einher; gewöhnlich
zu drei oder vier in einer Reihe, schlagen sie tactmäßig mit den Eisenspitzen ihrer
Stöcke auf das Pflaster, als gings zum Gerichtshof der Cour majour. Sie
wollen ein Pferd kaufen von der muntern Race, die aus den Thälern des Bi-
gorre hierhergebracht werden, oder mit den Kaufherren wegen der Schinken der
nächsten Mast unterhandeln. Mit lebhaften Bewegungen und singendem Dialekt
eilt der Gascogner durch die Menge. Mit schlauen Blicken gehen die Juden,
welche die Vorstadt Se. Esprit bevölkern, hin und wieder. Der Spanier
schreitet langsam und hochmüthig einher, den Cigaretto rauchend, in seine bunte
Decke gehüllt, und schleudert mit wüthenden „ Dvmonios!" die Straßenjungen
zurück, die sich neckend an seine Lumpen hänge». Jetzt nimmt ein Maulthier-
treiber Platz und Aufmerksamkeit in Anspruch. Es muß ein Andalusier sein: an
der blauseidnen Jacke hängen unzählige Knöpfe von klingendem Metall und auf
dem Kopfe trägt er die rothe Ncsilla, ein langes seidnes Netz. Geputzt und
kokett wie er, schütteln die Thiere de» mit Quasten und Glöckchen behangenen


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[0058] keit und übertönt das Meer. Es ist Markttag; die Banerwciber der Nachbar¬ schaft kommen ans Eseln und Maulthieren langsam gezogen. Den geduldigen Lastträgern sind mit einem breiten Gurt zwei zu beiden Seiten herabhängende Korbe über den Rücken gelegt. Der eine enthält die Waaren, der andere die Besitzerin. Mit großer Geschicklichkeit wissen die Landestöchter diese sonderbare Equipage, Carcolet genannt, im Gleichgewicht zu erhalten und beim Absteigen einen Eckstein, eine niedrige Mauer als Stütze des beladenen Korbes zu benutzen. Die erste Sorge gilt dann der Toilette: die Falten der braunen oder violetten Röcke, der langen bunten Schürzen werde» geordnet, das weiße oder dunkelrothe, kapuzenartige Manlelet von Flanell wird abgestäubt, die Schleifen des bunten Kopftuches oder die Garnirung der saubern Haube mit vorsichtiger Hand ge¬ glättet. Dann wird dem grauen oder braunen Thiere ein Futterbeutel umgehängt und zum Schutze der Waaren das Skapulier in den Korb gelegt — und nun kauu die Verkäuferin ohne Sorgen zu den Kunden gehen. Andere Frauen richten sich ans dem Marktplatze ihre« Stand ein, suchen die Gemüse und Früchte, die Eier und das Geflügel, deu Flachs und den Schinken in möglichst gutes Licht zu stellen und preisen die Güte und Wohlfeilheit ihrer Waaren in allen Ton¬ arten und Dialekten. Die Fischermädchc» von Se. Jean-de-Luz, Bidaritz und A'ülva tragen ihren frischen Fang in runden Körben aus dem Kopfe und rufen auf allen Straßen ihr kreischendes: „Msson! poisson!" Ebenso laut erschallt der Ruf: „Wut can! Wut cerni" womit die Kastanienverkäuferiunen die Wärme ihrer gekochten und gerösteten Früchte preisen. Und der Tabnletkrämer, der Taschenspieler, der Schuhwichse- und Fleckseifenfabrikaut, der Decrotteur und der Marchand d'alumettes chimiques behaupten ihr Recht mit großem Geschrei und kräftigen Ellenbogcnstößen. Lärm und Gedränge wachsen mit jeder Viertelstunde. Ernst und würdevoll schreite» die Männer von Aspe und Ossou einher; gewöhnlich zu drei oder vier in einer Reihe, schlagen sie tactmäßig mit den Eisenspitzen ihrer Stöcke auf das Pflaster, als gings zum Gerichtshof der Cour majour. Sie wollen ein Pferd kaufen von der muntern Race, die aus den Thälern des Bi- gorre hierhergebracht werden, oder mit den Kaufherren wegen der Schinken der nächsten Mast unterhandeln. Mit lebhaften Bewegungen und singendem Dialekt eilt der Gascogner durch die Menge. Mit schlauen Blicken gehen die Juden, welche die Vorstadt Se. Esprit bevölkern, hin und wieder. Der Spanier schreitet langsam und hochmüthig einher, den Cigaretto rauchend, in seine bunte Decke gehüllt, und schleudert mit wüthenden „ Dvmonios!" die Straßenjungen zurück, die sich neckend an seine Lumpen hänge». Jetzt nimmt ein Maulthier- treiber Platz und Aufmerksamkeit in Anspruch. Es muß ein Andalusier sein: an der blauseidnen Jacke hängen unzählige Knöpfe von klingendem Metall und auf dem Kopfe trägt er die rothe Ncsilla, ein langes seidnes Netz. Geputzt und kokett wie er, schütteln die Thiere de» mit Quasten und Glöckchen behangenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/58>, abgerufen am 23.07.2024.