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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Das Begnadigungsrecht übt der König bei Verurtheilungen bis zu drei
Jahren und darunter, sowie bei Geldbußen nur nach Zuratheziehung des Richters,
der das Urtheil gefällt; in allen übrigen Fällen nur nach Zuratheziehung des hohen
Rathes. Amnestie und Abolition erfordern jedesmal ein Gesetz; ebenso die Dis-
pensation.

Die Justiz ist öffentlich und collegialisch, aber ohne Geschworne. Der hohe
Rath, dessen Mitglieder der König aus 3 ihm jedesmal von den vereinigten
Generalstaaten vorgeschlagenen Kandidaten ernennt, wacht für die Befolgung der
Gesetze, und ist das Criminalfornm für alle höheren Beamte und die Mitglieder
der Generalstaaten. -- Alle Konfessionen genießen gleiche politische und religiöse
Rechte; ihre Kirchen sind ganz vom Staate getrennt, der nur für die Nichtstörung
der öffentlichen Ruhe und Ordnung wacht und dafür sorgt, daß keine religiöse
Gemeinschaft die Gesetze des Staates übertritt. Der Unterricht ist frei, wird
aber mit Achtung vor den Ansichten jeder Confession vom Staate geregelt.

Die Volksvertretung der Niederlande führt bekanntlich den Namen der
Generalstaaten, im Gegensatze zu den Provinzialstaateu; es ist dieses nicht blos
eine historische Erinnerung an die ehemaligen souveränen Staaten der vereinigten
Niederlande, sondern zugleich auch ein äußeres Zeichen des großen Antheils an
der Regierung, welchen sich das niederländische Volk bei der Einführung der
Monarchie vorbehalten hat. --

Die Generalstaaten bestehen aus einer ersten und zweiten Kammer. Wahl¬
berechtigt zur zweiten Kammer sind alle Niederländer, welche volljährig, im vollen
Besitze der bürgerlichen- und Bürgerschaftsrechte sind, und eine directe Steuer
zahlen, welche je nach den Gegenden differirt, aber nie unter 20 si., noch über
160 si. betragen darf.

Jede Provinz wird in so viele Wahldistricte abgetheilt, als die Bevölkerung
die Zahl von ungefähr 43,000 Köpfen errreicht. Darnach besteht die zweite
Kammer jetzt aus 68 Mitglieder". Die Wahl ist direct, und geschieht durch
Stimmzettel nnter Aufsicht der Gemeindebeamten, unter Leitung des permanenten
Ausschusses der Provinzialstaateu, und nach der absoluten Stimmenmehrheit.

Die erste Kammer besteht aus 39 Mitgliedern, welche zu den in den directen
Staatssteuer" am höchsten Angeschlagenen gehören müssen. Sie werden von den
Provinzialstaateu erwählt. Die Mitglieder der erste" Kammer sind ans 9 Jahre
gewählt, ein Drittel scheidet um die drei Jahre aus, nach einer bestimmten
Reihenfolge, und die Ausgeschiedenen sind sofort wieder wählbar. Die Mitglieder
der zweiten Kammer sind aus i Jahre gewählt; die Hälfte derselben scheidet alle
zwei Jahre nach einer bestimmten Reihenfolge ans.

Die Chefs der Ministerien haben zwar Sitz in beiden Kammern , aber keine
Stimme, sie seien denn zu Mitglieder" erwählt; die Kammern können sie zu ihren
Sitzungen bescheiden. Mitglieder der Generalstaaten können nicht Mitglieder


Das Begnadigungsrecht übt der König bei Verurtheilungen bis zu drei
Jahren und darunter, sowie bei Geldbußen nur nach Zuratheziehung des Richters,
der das Urtheil gefällt; in allen übrigen Fällen nur nach Zuratheziehung des hohen
Rathes. Amnestie und Abolition erfordern jedesmal ein Gesetz; ebenso die Dis-
pensation.

Die Justiz ist öffentlich und collegialisch, aber ohne Geschworne. Der hohe
Rath, dessen Mitglieder der König aus 3 ihm jedesmal von den vereinigten
Generalstaaten vorgeschlagenen Kandidaten ernennt, wacht für die Befolgung der
Gesetze, und ist das Criminalfornm für alle höheren Beamte und die Mitglieder
der Generalstaaten. — Alle Konfessionen genießen gleiche politische und religiöse
Rechte; ihre Kirchen sind ganz vom Staate getrennt, der nur für die Nichtstörung
der öffentlichen Ruhe und Ordnung wacht und dafür sorgt, daß keine religiöse
Gemeinschaft die Gesetze des Staates übertritt. Der Unterricht ist frei, wird
aber mit Achtung vor den Ansichten jeder Confession vom Staate geregelt.

Die Volksvertretung der Niederlande führt bekanntlich den Namen der
Generalstaaten, im Gegensatze zu den Provinzialstaateu; es ist dieses nicht blos
eine historische Erinnerung an die ehemaligen souveränen Staaten der vereinigten
Niederlande, sondern zugleich auch ein äußeres Zeichen des großen Antheils an
der Regierung, welchen sich das niederländische Volk bei der Einführung der
Monarchie vorbehalten hat. —

Die Generalstaaten bestehen aus einer ersten und zweiten Kammer. Wahl¬
berechtigt zur zweiten Kammer sind alle Niederländer, welche volljährig, im vollen
Besitze der bürgerlichen- und Bürgerschaftsrechte sind, und eine directe Steuer
zahlen, welche je nach den Gegenden differirt, aber nie unter 20 si., noch über
160 si. betragen darf.

Jede Provinz wird in so viele Wahldistricte abgetheilt, als die Bevölkerung
die Zahl von ungefähr 43,000 Köpfen errreicht. Darnach besteht die zweite
Kammer jetzt aus 68 Mitglieder». Die Wahl ist direct, und geschieht durch
Stimmzettel nnter Aufsicht der Gemeindebeamten, unter Leitung des permanenten
Ausschusses der Provinzialstaateu, und nach der absoluten Stimmenmehrheit.

Die erste Kammer besteht aus 39 Mitgliedern, welche zu den in den directen
Staatssteuer» am höchsten Angeschlagenen gehören müssen. Sie werden von den
Provinzialstaateu erwählt. Die Mitglieder der erste» Kammer sind ans 9 Jahre
gewählt, ein Drittel scheidet um die drei Jahre aus, nach einer bestimmten
Reihenfolge, und die Ausgeschiedenen sind sofort wieder wählbar. Die Mitglieder
der zweiten Kammer sind aus i Jahre gewählt; die Hälfte derselben scheidet alle
zwei Jahre nach einer bestimmten Reihenfolge ans.

Die Chefs der Ministerien haben zwar Sitz in beiden Kammern , aber keine
Stimme, sie seien denn zu Mitglieder» erwählt; die Kammern können sie zu ihren
Sitzungen bescheiden. Mitglieder der Generalstaaten können nicht Mitglieder


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[0055] Das Begnadigungsrecht übt der König bei Verurtheilungen bis zu drei Jahren und darunter, sowie bei Geldbußen nur nach Zuratheziehung des Richters, der das Urtheil gefällt; in allen übrigen Fällen nur nach Zuratheziehung des hohen Rathes. Amnestie und Abolition erfordern jedesmal ein Gesetz; ebenso die Dis- pensation. Die Justiz ist öffentlich und collegialisch, aber ohne Geschworne. Der hohe Rath, dessen Mitglieder der König aus 3 ihm jedesmal von den vereinigten Generalstaaten vorgeschlagenen Kandidaten ernennt, wacht für die Befolgung der Gesetze, und ist das Criminalfornm für alle höheren Beamte und die Mitglieder der Generalstaaten. — Alle Konfessionen genießen gleiche politische und religiöse Rechte; ihre Kirchen sind ganz vom Staate getrennt, der nur für die Nichtstörung der öffentlichen Ruhe und Ordnung wacht und dafür sorgt, daß keine religiöse Gemeinschaft die Gesetze des Staates übertritt. Der Unterricht ist frei, wird aber mit Achtung vor den Ansichten jeder Confession vom Staate geregelt. Die Volksvertretung der Niederlande führt bekanntlich den Namen der Generalstaaten, im Gegensatze zu den Provinzialstaateu; es ist dieses nicht blos eine historische Erinnerung an die ehemaligen souveränen Staaten der vereinigten Niederlande, sondern zugleich auch ein äußeres Zeichen des großen Antheils an der Regierung, welchen sich das niederländische Volk bei der Einführung der Monarchie vorbehalten hat. — Die Generalstaaten bestehen aus einer ersten und zweiten Kammer. Wahl¬ berechtigt zur zweiten Kammer sind alle Niederländer, welche volljährig, im vollen Besitze der bürgerlichen- und Bürgerschaftsrechte sind, und eine directe Steuer zahlen, welche je nach den Gegenden differirt, aber nie unter 20 si., noch über 160 si. betragen darf. Jede Provinz wird in so viele Wahldistricte abgetheilt, als die Bevölkerung die Zahl von ungefähr 43,000 Köpfen errreicht. Darnach besteht die zweite Kammer jetzt aus 68 Mitglieder». Die Wahl ist direct, und geschieht durch Stimmzettel nnter Aufsicht der Gemeindebeamten, unter Leitung des permanenten Ausschusses der Provinzialstaateu, und nach der absoluten Stimmenmehrheit. Die erste Kammer besteht aus 39 Mitgliedern, welche zu den in den directen Staatssteuer» am höchsten Angeschlagenen gehören müssen. Sie werden von den Provinzialstaateu erwählt. Die Mitglieder der erste» Kammer sind ans 9 Jahre gewählt, ein Drittel scheidet um die drei Jahre aus, nach einer bestimmten Reihenfolge, und die Ausgeschiedenen sind sofort wieder wählbar. Die Mitglieder der zweiten Kammer sind aus i Jahre gewählt; die Hälfte derselben scheidet alle zwei Jahre nach einer bestimmten Reihenfolge ans. Die Chefs der Ministerien haben zwar Sitz in beiden Kammern , aber keine Stimme, sie seien denn zu Mitglieder» erwählt; die Kammern können sie zu ihren Sitzungen bescheiden. Mitglieder der Generalstaaten können nicht Mitglieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/55>, abgerufen am 23.07.2024.