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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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sichtbar, ist die Gemeindeselbstregierung, ruhend auf deu Principiell der allgemeinen
Regierungsbefähigung der Mitglieder. Das allgemeine Stinunrecht liegt in der
politischen Geschichte unseres Jahrhunderts als eine mit der Zeit unabweisbare
Forderung vor, aber die Verwirklichung desselben hat kein größeres Hinderniß,
als den Streit zwischen der national-ökonomischen Entwickelung und der Theorie, von
denen jene zu immer größerer Ungleichheit, diese zu immer eifrigerer Forderungen
zu führen scheint. -- Bis jetzt steht dem Gesetzgeber gegen den Kampf dieser
auseinanderlanfenden Richtungen kein anderes Mittel zu Gebote, als möglichste
Vermehrung des Nationalwohlstandes; sonst gilt auch hier der Satz: "IZst- etiam
riesoisnÄi, in's ein-reclam öl. seleirtiu,."

Führen wir jetzt noch die Hauptbestimmungeu des Staatsgrnndgesetzes von
1848 vor, die entweder mit den eigenthümliche" Verhältnissen der Niederlande
zusammenhängen, oder sich von der gemeingiltigen constitutionellen Schablone
unterscheiden.

Das niederländische Staatsgrundgesetz von 18L8 ist mehr eine Erweiterung der
Rechte der Selbstverwaltung der Glieder des Staates und der Theilnahme Mehrer am
Staatsleben, als der der Nation gegenüber der Krone, zugleich aber auch eine
Beschränkung des Particularismus der Provinzen durch eine concentrirtere Ne¬
gierung; es ist ein Versuch, die Demokratie ins Staatsleben einzuführen, aber
nach den Worten Guizot's: pour couleur et re^Ihr 1a civinoeratiö, it kaut
"zu'eilf 8vit beaucou^ et-MZ et qu'elle n'^ soit pas tout.

Die Krone der Niederlande ist und bleibt dem jetzigen Könige und seinen
rechtmäßigen Nachkommen erblich übertragen -- opxsäraAöli.-- Heirathen erb¬
berechtigte Prinzen oder Prinzessinnen ohne die Genehmigung der Generalstaaten,
so verlieren sie ihre Rechte auf den Thron. Im Falle, daß kein rechtmäßiger
Erbe mehr vorhanden, geschieht die^ErnennNng eines Königs durch die General¬
staaten in vereinigter Sitzung.

Der König erklärt den Krieg, setzt aber beide Kammern sogleich davon in
Kenntniß unter Mittheilung alles dessen, was ohne Gefahr für das Reich
mitgetheilt werden kann. Ebendasselbe thut er bei dem ihm zustehenden Abschließen
und Ratificiren von Friedens- und allen andern Tractaten mit fremden Mächten.
Aber alle Verträge, durch welche Besitzungen in oder außerhalb Europa abgetreten
oder ausgetauscht werden, und alle, welche eine Festsetzung oder Veränderung
gesetzlicher Bestimmungen enthalten, bedürfen vor der Ratification durch den
König der Genehmigung der Generalstaaten.

Der König hat die Regierung der Colonien, aber die Reglements über die
Regierungsweise sind gesetzlich festzustellen; ebenso das dort anzunehmende
Münzsystem, ebenso alle anderen Colonialangelegenheiten, welche dazu geeignet
scheinen. Der König giebt einen jährlichen, genanen Rapport über die Kolonien;
der Abschluß der Colonialrechnnng erfordert ein Gesetz.


sichtbar, ist die Gemeindeselbstregierung, ruhend auf deu Principiell der allgemeinen
Regierungsbefähigung der Mitglieder. Das allgemeine Stinunrecht liegt in der
politischen Geschichte unseres Jahrhunderts als eine mit der Zeit unabweisbare
Forderung vor, aber die Verwirklichung desselben hat kein größeres Hinderniß,
als den Streit zwischen der national-ökonomischen Entwickelung und der Theorie, von
denen jene zu immer größerer Ungleichheit, diese zu immer eifrigerer Forderungen
zu führen scheint. — Bis jetzt steht dem Gesetzgeber gegen den Kampf dieser
auseinanderlanfenden Richtungen kein anderes Mittel zu Gebote, als möglichste
Vermehrung des Nationalwohlstandes; sonst gilt auch hier der Satz: „IZst- etiam
riesoisnÄi, in's ein-reclam öl. seleirtiu,."

Führen wir jetzt noch die Hauptbestimmungeu des Staatsgrnndgesetzes von
1848 vor, die entweder mit den eigenthümliche» Verhältnissen der Niederlande
zusammenhängen, oder sich von der gemeingiltigen constitutionellen Schablone
unterscheiden.

Das niederländische Staatsgrundgesetz von 18L8 ist mehr eine Erweiterung der
Rechte der Selbstverwaltung der Glieder des Staates und der Theilnahme Mehrer am
Staatsleben, als der der Nation gegenüber der Krone, zugleich aber auch eine
Beschränkung des Particularismus der Provinzen durch eine concentrirtere Ne¬
gierung; es ist ein Versuch, die Demokratie ins Staatsleben einzuführen, aber
nach den Worten Guizot's: pour couleur et re^Ihr 1a civinoeratiö, it kaut
«zu'eilf 8vit beaucou^ et-MZ et qu'elle n'^ soit pas tout.

Die Krone der Niederlande ist und bleibt dem jetzigen Könige und seinen
rechtmäßigen Nachkommen erblich übertragen — opxsäraAöli.— Heirathen erb¬
berechtigte Prinzen oder Prinzessinnen ohne die Genehmigung der Generalstaaten,
so verlieren sie ihre Rechte auf den Thron. Im Falle, daß kein rechtmäßiger
Erbe mehr vorhanden, geschieht die^ErnennNng eines Königs durch die General¬
staaten in vereinigter Sitzung.

Der König erklärt den Krieg, setzt aber beide Kammern sogleich davon in
Kenntniß unter Mittheilung alles dessen, was ohne Gefahr für das Reich
mitgetheilt werden kann. Ebendasselbe thut er bei dem ihm zustehenden Abschließen
und Ratificiren von Friedens- und allen andern Tractaten mit fremden Mächten.
Aber alle Verträge, durch welche Besitzungen in oder außerhalb Europa abgetreten
oder ausgetauscht werden, und alle, welche eine Festsetzung oder Veränderung
gesetzlicher Bestimmungen enthalten, bedürfen vor der Ratification durch den
König der Genehmigung der Generalstaaten.

Der König hat die Regierung der Colonien, aber die Reglements über die
Regierungsweise sind gesetzlich festzustellen; ebenso das dort anzunehmende
Münzsystem, ebenso alle anderen Colonialangelegenheiten, welche dazu geeignet
scheinen. Der König giebt einen jährlichen, genanen Rapport über die Kolonien;
der Abschluß der Colonialrechnnng erfordert ein Gesetz.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/54>, abgerufen am 23.07.2024.