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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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welcher sogleich ein sehr zweckmäßiges, liberales Jagdgesetz folgte. Die Gelehrsam¬
keit ehrte man dnrch die Ernennung des Professors der schönen Wissenschaften,
des Herrn von Lennep, zum Commandeur des Ordens'des niederländischen Lö¬
wen, und erwies ihr durch die Umwandelung des überlebten Instituts in eine, vor¬
züglich für die Befriedigung der wissenschaftlichen Bedürfnisse der Staatsregierung
sorgende Akademie der Wissenschaften, einen großen Dienst; eine geologische Com¬
mission sammelte die Materialien zu einer geologischen Karte, eine linguistische
besorgte die Herausgabe eines niederländischen Wörterbuchs, eine belletristische
forschte nach den Mitteln zur Hebung des National-Schauspiels. Vor allem aber
war es die Sorge für die materiellen Interessen, welche das Ministerium Thor-
becke zu eiuer Glanzperiode der niederländischen Geschichte machte, den vielfach
eingeschlafenen, altniederländischen Unternehmungsgeist auf wunderbar schnelle
Weise weckte, und die Finanzen in kurzer Zeit zu einer in diesem Jahrhundert
ungekannten Blüte erhob. Wir machen unter den vielen hierher gehörigen Ma߬
regeln folgende namhaft:

Den Anschluß der Eisenbahnen an die belgischen und deutschen und die der
Realisirung nahe gebrachte Projectirnng mehrer neuer; die Errichtung telegra¬
phischer Linien und ihren Anschluß an die continentalen Linien und vermittelst
einer in nächster Zeit vollendeten, unterseeischen an England, die Befreiung Nord-
brabants von den verderblichen, alljährlichen Ueberströmungen durch wahrhaft
großartige Wasserwerke, die Ausführung der solange vergeblich gewünschten Ka¬
nalisation Drenthe's, das Vollenden der Trockenlegung des Haarlemer Meeres,
und vor allem die Abschaffung der hemmenden Schutzschifffahrtsgesetze, welche, unter
heftiger Opposition und bösen Prophezeiungen durchgesetzt, bald selbst die Gegner
zu Lobrednern gewann. Alle diese Verbesserungen nebst vielen anderen geringeren
Umfangs und localer Bedeutung, machen das Ministerium Thorbecke's in der That
zu dem, wofür er es selbst augesehen wünscht, nämlich zu einem Werkzeug des
vorzugsweise nationalökonomischen, rein weltlichen Staates, dessen Rea-
lisirung er für die Aufgabe der Politik der Gegenwart hält, deshalb vor allem
die Kirche völlig vom Staate trennen will, wobei ihm die eigenthümlichen nieder¬
ländischen Verhältnisse und die Wünsche der Katholiken zu Hilfe kommen.

Wir beendigen diese flüchtige Skizze der Thorbecke'schen Wirksamkeit bis zum
Jahre 1832 mit folgendem Citat aus seinem Werke über die Veränderung des
allgemeinen Staatensystems von Europa: "Der Revolutionsgeist kämpfte vor der
ersten französischen Revolution gegen das, was bestand, jetzt gegen die Ausführung
seiner eigenen Theorien; er will eine Zukunft, die er in der Geburt zurückhält.
Er ist der unversöhnliche Feind des Bürger- und Volksstaates, der, um mich
Burke's Worte zu bedienen, ein Rechtscontract ist nicht blos zwischen den Lebenden,
sondern zwischen den Lebenden, den Gestorbenen und denen, die noch werden
geboren werden. Das Ziel dieses Staates, wenn auch erst unten am Horizonte


welcher sogleich ein sehr zweckmäßiges, liberales Jagdgesetz folgte. Die Gelehrsam¬
keit ehrte man dnrch die Ernennung des Professors der schönen Wissenschaften,
des Herrn von Lennep, zum Commandeur des Ordens'des niederländischen Lö¬
wen, und erwies ihr durch die Umwandelung des überlebten Instituts in eine, vor¬
züglich für die Befriedigung der wissenschaftlichen Bedürfnisse der Staatsregierung
sorgende Akademie der Wissenschaften, einen großen Dienst; eine geologische Com¬
mission sammelte die Materialien zu einer geologischen Karte, eine linguistische
besorgte die Herausgabe eines niederländischen Wörterbuchs, eine belletristische
forschte nach den Mitteln zur Hebung des National-Schauspiels. Vor allem aber
war es die Sorge für die materiellen Interessen, welche das Ministerium Thor-
becke zu eiuer Glanzperiode der niederländischen Geschichte machte, den vielfach
eingeschlafenen, altniederländischen Unternehmungsgeist auf wunderbar schnelle
Weise weckte, und die Finanzen in kurzer Zeit zu einer in diesem Jahrhundert
ungekannten Blüte erhob. Wir machen unter den vielen hierher gehörigen Ma߬
regeln folgende namhaft:

Den Anschluß der Eisenbahnen an die belgischen und deutschen und die der
Realisirung nahe gebrachte Projectirnng mehrer neuer; die Errichtung telegra¬
phischer Linien und ihren Anschluß an die continentalen Linien und vermittelst
einer in nächster Zeit vollendeten, unterseeischen an England, die Befreiung Nord-
brabants von den verderblichen, alljährlichen Ueberströmungen durch wahrhaft
großartige Wasserwerke, die Ausführung der solange vergeblich gewünschten Ka¬
nalisation Drenthe's, das Vollenden der Trockenlegung des Haarlemer Meeres,
und vor allem die Abschaffung der hemmenden Schutzschifffahrtsgesetze, welche, unter
heftiger Opposition und bösen Prophezeiungen durchgesetzt, bald selbst die Gegner
zu Lobrednern gewann. Alle diese Verbesserungen nebst vielen anderen geringeren
Umfangs und localer Bedeutung, machen das Ministerium Thorbecke's in der That
zu dem, wofür er es selbst augesehen wünscht, nämlich zu einem Werkzeug des
vorzugsweise nationalökonomischen, rein weltlichen Staates, dessen Rea-
lisirung er für die Aufgabe der Politik der Gegenwart hält, deshalb vor allem
die Kirche völlig vom Staate trennen will, wobei ihm die eigenthümlichen nieder¬
ländischen Verhältnisse und die Wünsche der Katholiken zu Hilfe kommen.

Wir beendigen diese flüchtige Skizze der Thorbecke'schen Wirksamkeit bis zum
Jahre 1832 mit folgendem Citat aus seinem Werke über die Veränderung des
allgemeinen Staatensystems von Europa: „Der Revolutionsgeist kämpfte vor der
ersten französischen Revolution gegen das, was bestand, jetzt gegen die Ausführung
seiner eigenen Theorien; er will eine Zukunft, die er in der Geburt zurückhält.
Er ist der unversöhnliche Feind des Bürger- und Volksstaates, der, um mich
Burke's Worte zu bedienen, ein Rechtscontract ist nicht blos zwischen den Lebenden,
sondern zwischen den Lebenden, den Gestorbenen und denen, die noch werden
geboren werden. Das Ziel dieses Staates, wenn auch erst unten am Horizonte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/53>, abgerufen am 23.07.2024.