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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Gesetzgebung, das Verwaltungsrecht, und vorzüglich durch die Interpretationen
des Statsgrundgesetzes von 1816, deren gewaltigen Eindruck er durch zwei in
den Niederlanden sehr verbreitete Werke: "Anmerkungen zu dem Staats¬
grundgesetze" und "Probe einer Revision des Staatsgruudgesetzes" erhöhte
und nachhaltig machte. Als nun die dadurch sehr verstärkte und infolge der
mit Staatsbautrvtt drohenden Schuldenlast zum Handeln übergehende Reform¬
partei 1840 eine vollständigere, als die damals erlangte unbedeutende Revision
der Verfassung forderte, ward Thorbecke, Abgeordneter der zweiten Kammer, der
Führer dieser damals noch kleinen Partei, welche in den folgenden Jahren so
rasch an Zahl und Einfluß wuchs, daß schon am 9. Decbr. 1844 nenn Mitglieder
der zweiten Kammer den Antrag stellten: auf Veränderung und Ergänzung der
Verfassung. -- Für die Energie und das Talent, welches der Abgeordnete Thor¬
becke bei der Vertheidigung des jedoch verworfenen Antrages entfaltete, erfuhr er
die Strafe, daß seine Committenten, die Staaten von Südholland, Anhänger der
altliberalen Familienpartei 1846, ihn nicht wieder erwählten, freilich unter lauter
Mißbilligung der Nation, welche sich jetzt gewiß in kurzer Zeit auch ohne einen
äußeren Anstoß die nöthige Reform verschafft hätte. Aber das Sturmjahr kam,
und am 17. März 1848 ward Thorbecke Mitglied der vom Könige zur Revision
der Verfassung niedergesetzten Commission, und das neue Staatsgrundgesetz ganz
eigentlich sein Werk. Die ersten Wahlen nach der neuen Verfassung machten ihn
zum Mitglied der zweiten Kammer, und sofort Mittelpunkt der großen Majorität
der neuen Versammlung, stürzte seine Opposition alsbald das altliberale Ministe¬
rium Kempenaar, und Thorbecke ward am 31. October 1849 Minister des Innern
in dem Ministerium Nedermeyer-Rosenthal; in der That das Haupt und die Seele
desselben. Er erklärte den am 13. December zusammengetretenen Kammern, daß
das Ministerium kein Programm aufstelle, sondern bäte, seine Thaten abzuwarten,
welches stolze Wort in Thorbecke's Munde keine Phrase war, wie eine kurze Auf¬
zählung des von dem Ministerium in den Jahren 1830 und 1831 Geleisteten
zeigen wird.

Die neue Verfassung erwartete in ihren wichtigsten Theilen die Ausführung
durch organische Gesetze, und von diesen wurden in sehr kurzer Zeit die drei wich¬
tigsten vollendet, nämlich das Wahl-, das Gemeinde- und Provincial-Gesetz, in
welchem der Kern der Thorbecke'schen Regelung der Demokratie enthalten, deren
Beurtheilung aber eine eigene Abhandlung erfordert, vor allem um zu erklären,
wie das Gemeindegesetz für die größten und kleinsten Gemeinden des Landes, für
Amsterdam wie Hindelopen dasselbe sein kann, ohne den Vorwurf eines idealistischen,
logischen Schematismus zu verdienen. Der letzte Rest der Feudalregieruug fiel
mit der Aufhebung der bisherigen besonderen Verwaltung des Jagd- und Forst¬
wesens durch eine direct unter dem Könige stehende, meistens aus Altadeligcn
bestehende Behörde, und Verbindung derselben mit dem Ministerium des Innern,


Gesetzgebung, das Verwaltungsrecht, und vorzüglich durch die Interpretationen
des Statsgrundgesetzes von 1816, deren gewaltigen Eindruck er durch zwei in
den Niederlanden sehr verbreitete Werke: „Anmerkungen zu dem Staats¬
grundgesetze" und „Probe einer Revision des Staatsgruudgesetzes" erhöhte
und nachhaltig machte. Als nun die dadurch sehr verstärkte und infolge der
mit Staatsbautrvtt drohenden Schuldenlast zum Handeln übergehende Reform¬
partei 1840 eine vollständigere, als die damals erlangte unbedeutende Revision
der Verfassung forderte, ward Thorbecke, Abgeordneter der zweiten Kammer, der
Führer dieser damals noch kleinen Partei, welche in den folgenden Jahren so
rasch an Zahl und Einfluß wuchs, daß schon am 9. Decbr. 1844 nenn Mitglieder
der zweiten Kammer den Antrag stellten: auf Veränderung und Ergänzung der
Verfassung. — Für die Energie und das Talent, welches der Abgeordnete Thor¬
becke bei der Vertheidigung des jedoch verworfenen Antrages entfaltete, erfuhr er
die Strafe, daß seine Committenten, die Staaten von Südholland, Anhänger der
altliberalen Familienpartei 1846, ihn nicht wieder erwählten, freilich unter lauter
Mißbilligung der Nation, welche sich jetzt gewiß in kurzer Zeit auch ohne einen
äußeren Anstoß die nöthige Reform verschafft hätte. Aber das Sturmjahr kam,
und am 17. März 1848 ward Thorbecke Mitglied der vom Könige zur Revision
der Verfassung niedergesetzten Commission, und das neue Staatsgrundgesetz ganz
eigentlich sein Werk. Die ersten Wahlen nach der neuen Verfassung machten ihn
zum Mitglied der zweiten Kammer, und sofort Mittelpunkt der großen Majorität
der neuen Versammlung, stürzte seine Opposition alsbald das altliberale Ministe¬
rium Kempenaar, und Thorbecke ward am 31. October 1849 Minister des Innern
in dem Ministerium Nedermeyer-Rosenthal; in der That das Haupt und die Seele
desselben. Er erklärte den am 13. December zusammengetretenen Kammern, daß
das Ministerium kein Programm aufstelle, sondern bäte, seine Thaten abzuwarten,
welches stolze Wort in Thorbecke's Munde keine Phrase war, wie eine kurze Auf¬
zählung des von dem Ministerium in den Jahren 1830 und 1831 Geleisteten
zeigen wird.

Die neue Verfassung erwartete in ihren wichtigsten Theilen die Ausführung
durch organische Gesetze, und von diesen wurden in sehr kurzer Zeit die drei wich¬
tigsten vollendet, nämlich das Wahl-, das Gemeinde- und Provincial-Gesetz, in
welchem der Kern der Thorbecke'schen Regelung der Demokratie enthalten, deren
Beurtheilung aber eine eigene Abhandlung erfordert, vor allem um zu erklären,
wie das Gemeindegesetz für die größten und kleinsten Gemeinden des Landes, für
Amsterdam wie Hindelopen dasselbe sein kann, ohne den Vorwurf eines idealistischen,
logischen Schematismus zu verdienen. Der letzte Rest der Feudalregieruug fiel
mit der Aufhebung der bisherigen besonderen Verwaltung des Jagd- und Forst¬
wesens durch eine direct unter dem Könige stehende, meistens aus Altadeligcn
bestehende Behörde, und Verbindung derselben mit dem Ministerium des Innern,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/52>, abgerufen am 23.07.2024.