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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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"Bei meinem türkischen Glauben, Frauenzimmer, ich gestatte es; sitze dn
meinetwegen den ganzen Tag. Es ist dir erlaubt."

Sie küßte den Fuß und den Fußteppich des Kadja und empfahl sich. Dann
erwartete sie guten Muthes den kommenden Freitag.

Der Freitag erschien, eben der Tag, welcher zur Zurückzahlung jener Schuld
bestimmt war. Omer hatte nicht einen baren BeSlut'6) in seinem Vermögen,
geschweige denn dreißig volle Beutel. Es war demnach daran, daß der zweite
Punkt des Vertrages erfüllt werde" und der Jude dem Omer vor Gericht eine
Drachme von dessen Zunge abschneiden sollte. Mejra hatte sich früh aufgemacht.
Der Kadja erwartete sie schou; er warf ihr sein Oberkleid um und schlang ihr
bereitwillig seinen Turban in kunstreicher Faltung um das Haupt. Der Kadja
war sehr begierig, wie das Weib Recht sprechen werde. Er begab sich in das
Nebengemach und überblickte von da durch eine Thürspalte die ganze Gerichts¬
stube.

Unser unbärtiger Kadja hatte sich indeß eine Pfeife starken Tabak angezündet,
als bald der Jude und mit ihm Omer eintrat. Omer hatte Thränen in den
Ange". Nach den üblichen Verbeugungen sammelten sich die Parteien ein wenig.
Es vergingen zwei bis drei Minuten, bis der neue Kadja fünf oder sechs Züge
ans seiner Pfeife gethan.

Kadja. Warum seid ihr hierher gekommen, liebe Leute?

Der Jude. Wir sind gekommen, deinen Richterspruch zu hören, theurer
Effendi.

Kadja. Was gibts gutes?

Der Jude. Gutes! Gott sei Dank! -- Und der Jude Jscckar erzählte
dem Kadja haarklein, wie er dem Omer vor sieben Jahren dreißig Beutel ge¬
liehen und wie zwischen ihnen der Vertrag geschehen, daß er dem Omer, wenn
derselbe die dreißig Beutel in der gegebenen Frist nicht zurückgestellt haben würde,
eine Drachme von der Zunge abschneiden solle; und deshalb seien sie nun da.

Kadja. Verhält es sich so? -- He dn, wie heißest du doch? -- Jsts
wahr, was dieser gesagt hat?

Omer (schluchzend). Effendi, die reine Wahrheit.

Der Kadja schlägt das Gesetzbuch ans und beginnt Blatt für Blatt umzu¬
wenden. Bei einer Stelle hält er inne, schmatzt einige Male mit den Lippen.
"'S ist alles in Ordnung" -- sprach der Kadja "So steht es im..Gesetze.
Hast Dn ein Rasirmesser mitgebracht, Jude?"

"El freilich, habe ich" -- entgegnete der Jude.

"Frisch zu denn" -- sprach der Kadja mit Nachdruck. "Nimm dich aber
wohl zusammen, daß dn grade eine Drachme abschneidest, denn wisse, wenn du
mehr oder weniger abschneiden solltest, als im Contracte steht, dann siehe zu, wie
es dir ergehen wird."


ö8*

„Bei meinem türkischen Glauben, Frauenzimmer, ich gestatte es; sitze dn
meinetwegen den ganzen Tag. Es ist dir erlaubt."

Sie küßte den Fuß und den Fußteppich des Kadja und empfahl sich. Dann
erwartete sie guten Muthes den kommenden Freitag.

Der Freitag erschien, eben der Tag, welcher zur Zurückzahlung jener Schuld
bestimmt war. Omer hatte nicht einen baren BeSlut'6) in seinem Vermögen,
geschweige denn dreißig volle Beutel. Es war demnach daran, daß der zweite
Punkt des Vertrages erfüllt werde» und der Jude dem Omer vor Gericht eine
Drachme von dessen Zunge abschneiden sollte. Mejra hatte sich früh aufgemacht.
Der Kadja erwartete sie schou; er warf ihr sein Oberkleid um und schlang ihr
bereitwillig seinen Turban in kunstreicher Faltung um das Haupt. Der Kadja
war sehr begierig, wie das Weib Recht sprechen werde. Er begab sich in das
Nebengemach und überblickte von da durch eine Thürspalte die ganze Gerichts¬
stube.

Unser unbärtiger Kadja hatte sich indeß eine Pfeife starken Tabak angezündet,
als bald der Jude und mit ihm Omer eintrat. Omer hatte Thränen in den
Ange». Nach den üblichen Verbeugungen sammelten sich die Parteien ein wenig.
Es vergingen zwei bis drei Minuten, bis der neue Kadja fünf oder sechs Züge
ans seiner Pfeife gethan.

Kadja. Warum seid ihr hierher gekommen, liebe Leute?

Der Jude. Wir sind gekommen, deinen Richterspruch zu hören, theurer
Effendi.

Kadja. Was gibts gutes?

Der Jude. Gutes! Gott sei Dank! — Und der Jude Jscckar erzählte
dem Kadja haarklein, wie er dem Omer vor sieben Jahren dreißig Beutel ge¬
liehen und wie zwischen ihnen der Vertrag geschehen, daß er dem Omer, wenn
derselbe die dreißig Beutel in der gegebenen Frist nicht zurückgestellt haben würde,
eine Drachme von der Zunge abschneiden solle; und deshalb seien sie nun da.

Kadja. Verhält es sich so? — He dn, wie heißest du doch? — Jsts
wahr, was dieser gesagt hat?

Omer (schluchzend). Effendi, die reine Wahrheit.

Der Kadja schlägt das Gesetzbuch ans und beginnt Blatt für Blatt umzu¬
wenden. Bei einer Stelle hält er inne, schmatzt einige Male mit den Lippen.
„'S ist alles in Ordnung" — sprach der Kadja „So steht es im..Gesetze.
Hast Dn ein Rasirmesser mitgebracht, Jude?"

„El freilich, habe ich" — entgegnete der Jude.

„Frisch zu denn" — sprach der Kadja mit Nachdruck. „Nimm dich aber
wohl zusammen, daß dn grade eine Drachme abschneidest, denn wisse, wenn du
mehr oder weniger abschneiden solltest, als im Contracte steht, dann siehe zu, wie
es dir ergehen wird."


ö8*
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[0465] „Bei meinem türkischen Glauben, Frauenzimmer, ich gestatte es; sitze dn meinetwegen den ganzen Tag. Es ist dir erlaubt." Sie küßte den Fuß und den Fußteppich des Kadja und empfahl sich. Dann erwartete sie guten Muthes den kommenden Freitag. Der Freitag erschien, eben der Tag, welcher zur Zurückzahlung jener Schuld bestimmt war. Omer hatte nicht einen baren BeSlut'6) in seinem Vermögen, geschweige denn dreißig volle Beutel. Es war demnach daran, daß der zweite Punkt des Vertrages erfüllt werde» und der Jude dem Omer vor Gericht eine Drachme von dessen Zunge abschneiden sollte. Mejra hatte sich früh aufgemacht. Der Kadja erwartete sie schou; er warf ihr sein Oberkleid um und schlang ihr bereitwillig seinen Turban in kunstreicher Faltung um das Haupt. Der Kadja war sehr begierig, wie das Weib Recht sprechen werde. Er begab sich in das Nebengemach und überblickte von da durch eine Thürspalte die ganze Gerichts¬ stube. Unser unbärtiger Kadja hatte sich indeß eine Pfeife starken Tabak angezündet, als bald der Jude und mit ihm Omer eintrat. Omer hatte Thränen in den Ange». Nach den üblichen Verbeugungen sammelten sich die Parteien ein wenig. Es vergingen zwei bis drei Minuten, bis der neue Kadja fünf oder sechs Züge ans seiner Pfeife gethan. Kadja. Warum seid ihr hierher gekommen, liebe Leute? Der Jude. Wir sind gekommen, deinen Richterspruch zu hören, theurer Effendi. Kadja. Was gibts gutes? Der Jude. Gutes! Gott sei Dank! — Und der Jude Jscckar erzählte dem Kadja haarklein, wie er dem Omer vor sieben Jahren dreißig Beutel ge¬ liehen und wie zwischen ihnen der Vertrag geschehen, daß er dem Omer, wenn derselbe die dreißig Beutel in der gegebenen Frist nicht zurückgestellt haben würde, eine Drachme von der Zunge abschneiden solle; und deshalb seien sie nun da. Kadja. Verhält es sich so? — He dn, wie heißest du doch? — Jsts wahr, was dieser gesagt hat? Omer (schluchzend). Effendi, die reine Wahrheit. Der Kadja schlägt das Gesetzbuch ans und beginnt Blatt für Blatt umzu¬ wenden. Bei einer Stelle hält er inne, schmatzt einige Male mit den Lippen. „'S ist alles in Ordnung" — sprach der Kadja „So steht es im..Gesetze. Hast Dn ein Rasirmesser mitgebracht, Jude?" „El freilich, habe ich" — entgegnete der Jude. „Frisch zu denn" — sprach der Kadja mit Nachdruck. „Nimm dich aber wohl zusammen, daß dn grade eine Drachme abschneidest, denn wisse, wenn du mehr oder weniger abschneiden solltest, als im Contracte steht, dann siehe zu, wie es dir ergehen wird." ö8*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/465>, abgerufen am 23.07.2024.