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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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ung von derlei Nachreden und zurück zu unserm Omer. Es gibt ein alles
Sprichwort, welches sagt: "Ein Handwerk ist mehr werth als Gold" und ein
anderes: "Es ziemt nicht jedem, im Dorfe zu singen." Omer gab sich "ur we¬
nig mit seinem neu eröfsacteu Krämergeschäft ab, das er ohnehin von Anfang her
halb vernachlässigt hatte. Er meinte damals: ,,es bleiben mir noch fünfzehn Beutel,
mit diesen werde ich handeln." Nicht jeder taugt zum Krämer, auch Omer taugte
nicht dazu. Es ist wahr, sein Kramladen war voll Waare: Salz, Tabak, Kien¬
späne und Birkeubeseu konnte man jederzeit in Menge bei ihm im Laden fin¬
den. Um andere Waare kümmerte er sich niemals.

In dieser Weise führte Omer sein Geschäft vier Jahre. Die ganze Zeit war
ans seiner Stirne keine Sorge zu lesen. Es schien sogar, als käme ihm die Ver¬
abredung und Verschreibung wegen der Beutel gar nie in den Sinn. Nach fünf
Jahren konnte man es nachgrade an Omers Stirn merken, daß ih" etwas drücke.'
Im siebenten Jahre aber begann sein Gesicht mager zu werden und nicht selten
fand ihn sein Weib oder ein Freund in Thräne". Er lehnte jedoch jede Frage
seines Weibes und seiner Freunde ab wie ein Verlorener: "Mir kann niemand
helfen! Laßt mich in Riese!" -- dies war seine stete Antwort.

Die schöne Mejra hatte schon wenige Tage nach dem verhängnißvollen Ver¬
trage von dem Juden selbst alles erfahren. Inzwischen hielt sie es für ihre Schul¬
digkeit, ihren Gatten theilnehmend um die Ursache seines Schmerzes zu fragen,
für den sich freilich keine Arzuei finden ließ und um deren willen sie sich gewiß
niemals mit Omer vermählt haben würde, denn welches Weib liebt es, einen
Mann ohne Zunge zu besitzen?

"Es ist schon Zeit" -- sprach Mejra zu sich selbst -- "ein BoScalul^) unter
das Gewand zu stecken und das Knie vor dem Kadja zu beugen." Und sie be¬
schenkte den Kadja am selben Tage; und am nächsten zum zweiten Male.

"Diese Iran hat mich beschämt" -- sagte der Kadja -- "Elbetana! es kann
nicht anders sein, als daß sie die Absicht hat, mich um eine Gefälligkeit zu bitten.
Es ist mir schon fast eine Schande."

Am dritten Tage erschien Mejra wieder und diesmal mit einem noch schönern
Geschenke beim Kadja. Nachdem sie ihm das Gewand geküßt, wollte sie wie ge¬
wöhnlich fortgehen; da winkte der Kadja seinen Dienern, die Fran aufzuhalten:
"Hörst du, Frauenzimmer!" -- sprach der Kadja -- "du beschämst mich nun
schon zum dritten Male. Wie kann ich dir gefällig sein? Verlange von mir,
was du willst."

Ans dieses Anbieten hatte Mejra gewartet. 'Sie legte ihre Hand an das
Haupt, dann an die Brust°) und begann: "Theurer Kadja, dein gutes Herz
erlaubt mir zu bitten. So gestalte mir deun, eine Stunde auf deinem Richter-
stuhle zu sitzen."


ung von derlei Nachreden und zurück zu unserm Omer. Es gibt ein alles
Sprichwort, welches sagt: „Ein Handwerk ist mehr werth als Gold" und ein
anderes: „Es ziemt nicht jedem, im Dorfe zu singen." Omer gab sich »ur we¬
nig mit seinem neu eröfsacteu Krämergeschäft ab, das er ohnehin von Anfang her
halb vernachlässigt hatte. Er meinte damals: ,,es bleiben mir noch fünfzehn Beutel,
mit diesen werde ich handeln." Nicht jeder taugt zum Krämer, auch Omer taugte
nicht dazu. Es ist wahr, sein Kramladen war voll Waare: Salz, Tabak, Kien¬
späne und Birkeubeseu konnte man jederzeit in Menge bei ihm im Laden fin¬
den. Um andere Waare kümmerte er sich niemals.

In dieser Weise führte Omer sein Geschäft vier Jahre. Die ganze Zeit war
ans seiner Stirne keine Sorge zu lesen. Es schien sogar, als käme ihm die Ver¬
abredung und Verschreibung wegen der Beutel gar nie in den Sinn. Nach fünf
Jahren konnte man es nachgrade an Omers Stirn merken, daß ih» etwas drücke.'
Im siebenten Jahre aber begann sein Gesicht mager zu werden und nicht selten
fand ihn sein Weib oder ein Freund in Thräne». Er lehnte jedoch jede Frage
seines Weibes und seiner Freunde ab wie ein Verlorener: „Mir kann niemand
helfen! Laßt mich in Riese!" — dies war seine stete Antwort.

Die schöne Mejra hatte schon wenige Tage nach dem verhängnißvollen Ver¬
trage von dem Juden selbst alles erfahren. Inzwischen hielt sie es für ihre Schul¬
digkeit, ihren Gatten theilnehmend um die Ursache seines Schmerzes zu fragen,
für den sich freilich keine Arzuei finden ließ und um deren willen sie sich gewiß
niemals mit Omer vermählt haben würde, denn welches Weib liebt es, einen
Mann ohne Zunge zu besitzen?

„Es ist schon Zeit" — sprach Mejra zu sich selbst — „ein BoScalul^) unter
das Gewand zu stecken und das Knie vor dem Kadja zu beugen." Und sie be¬
schenkte den Kadja am selben Tage; und am nächsten zum zweiten Male.

„Diese Iran hat mich beschämt" — sagte der Kadja — „Elbetana! es kann
nicht anders sein, als daß sie die Absicht hat, mich um eine Gefälligkeit zu bitten.
Es ist mir schon fast eine Schande."

Am dritten Tage erschien Mejra wieder und diesmal mit einem noch schönern
Geschenke beim Kadja. Nachdem sie ihm das Gewand geküßt, wollte sie wie ge¬
wöhnlich fortgehen; da winkte der Kadja seinen Dienern, die Fran aufzuhalten:
„Hörst du, Frauenzimmer!" — sprach der Kadja — „du beschämst mich nun
schon zum dritten Male. Wie kann ich dir gefällig sein? Verlange von mir,
was du willst."

Ans dieses Anbieten hatte Mejra gewartet. 'Sie legte ihre Hand an das
Haupt, dann an die Brust°) und begann: „Theurer Kadja, dein gutes Herz
erlaubt mir zu bitten. So gestalte mir deun, eine Stunde auf deinem Richter-
stuhle zu sitzen."


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[0464] ung von derlei Nachreden und zurück zu unserm Omer. Es gibt ein alles Sprichwort, welches sagt: „Ein Handwerk ist mehr werth als Gold" und ein anderes: „Es ziemt nicht jedem, im Dorfe zu singen." Omer gab sich »ur we¬ nig mit seinem neu eröfsacteu Krämergeschäft ab, das er ohnehin von Anfang her halb vernachlässigt hatte. Er meinte damals: ,,es bleiben mir noch fünfzehn Beutel, mit diesen werde ich handeln." Nicht jeder taugt zum Krämer, auch Omer taugte nicht dazu. Es ist wahr, sein Kramladen war voll Waare: Salz, Tabak, Kien¬ späne und Birkeubeseu konnte man jederzeit in Menge bei ihm im Laden fin¬ den. Um andere Waare kümmerte er sich niemals. In dieser Weise führte Omer sein Geschäft vier Jahre. Die ganze Zeit war ans seiner Stirne keine Sorge zu lesen. Es schien sogar, als käme ihm die Ver¬ abredung und Verschreibung wegen der Beutel gar nie in den Sinn. Nach fünf Jahren konnte man es nachgrade an Omers Stirn merken, daß ih» etwas drücke.' Im siebenten Jahre aber begann sein Gesicht mager zu werden und nicht selten fand ihn sein Weib oder ein Freund in Thräne». Er lehnte jedoch jede Frage seines Weibes und seiner Freunde ab wie ein Verlorener: „Mir kann niemand helfen! Laßt mich in Riese!" — dies war seine stete Antwort. Die schöne Mejra hatte schon wenige Tage nach dem verhängnißvollen Ver¬ trage von dem Juden selbst alles erfahren. Inzwischen hielt sie es für ihre Schul¬ digkeit, ihren Gatten theilnehmend um die Ursache seines Schmerzes zu fragen, für den sich freilich keine Arzuei finden ließ und um deren willen sie sich gewiß niemals mit Omer vermählt haben würde, denn welches Weib liebt es, einen Mann ohne Zunge zu besitzen? „Es ist schon Zeit" — sprach Mejra zu sich selbst — „ein BoScalul^) unter das Gewand zu stecken und das Knie vor dem Kadja zu beugen." Und sie be¬ schenkte den Kadja am selben Tage; und am nächsten zum zweiten Male. „Diese Iran hat mich beschämt" — sagte der Kadja — „Elbetana! es kann nicht anders sein, als daß sie die Absicht hat, mich um eine Gefälligkeit zu bitten. Es ist mir schon fast eine Schande." Am dritten Tage erschien Mejra wieder und diesmal mit einem noch schönern Geschenke beim Kadja. Nachdem sie ihm das Gewand geküßt, wollte sie wie ge¬ wöhnlich fortgehen; da winkte der Kadja seinen Dienern, die Fran aufzuhalten: „Hörst du, Frauenzimmer!" — sprach der Kadja — „du beschämst mich nun schon zum dritten Male. Wie kann ich dir gefällig sein? Verlange von mir, was du willst." Ans dieses Anbieten hatte Mejra gewartet. 'Sie legte ihre Hand an das Haupt, dann an die Brust°) und begann: „Theurer Kadja, dein gutes Herz erlaubt mir zu bitten. So gestalte mir deun, eine Stunde auf deinem Richter- stuhle zu sitzen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/464>, abgerufen am 23.07.2024.