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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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heit zu bewegen an. Kaum würde eine andere, mit neuen Befugnissen und Pflichten
ausgestattete Regierung eine staatsmännischere Ansicht ihrer neuen Stellung ge¬
faßt, oder ihre Ansichten in einem menschlichem und aufgeklärter" Geiste aus¬
gesprochen haben, als die ostindische Compagnie in dieser großen Krisis. Indem
sie einen Ueberblick über die ganze Frage der Verwaltung Ostindiens gab, inso¬
fern sie von den Bestimmungen der neuen Gesetze berührt wurde, schrieb sie an
die Regierung von Kalkutta einen, den ganzen großen Gegenstand erschöpfenden
Brief, in welchem sie die Localbehörden ermahnte, in jeder Hinsicht den neuen
Bestimmungen die freisinnigste Auslegung zu geben, und sie zu benutzen, um
dem von ihr regierten Volk die größten Wohlthaten zukommen zu lassen. "Wie
verschieden von andern Regierungen, die, wenn ihnen von einer gesetzgebenden
Gewalt ein neues, ihre Befugnisse zum Besten des Staats beschränkendes Gesetz
vorgezeichnet wird, sich ängstlich an jeden Fetzen ihrer Macht klammern, und was
sie nicht gesetzlich behaupten können, durch Hinterlist zu erschleichen suchen.

Die Gegner der ostindischen Armee fuhren die Armuth und die geringe Con-
sumtionsfähigkeit ihrer Unterthanen als Beweis eines sorglosen oder gar auf-
saugenden Regiments an. Es ist wahr, der Ryve geht nackt, und trägt nur
einen Streifen Baumwollenzeug um die Lenden; er ißt nnr ein paar Hände voll
Reis und sein ganzer Hausrath besteht aus ein paar metallenen Töpfen. Aber
daS ist mehr die Folge seiner Indolenz und seiner Bedürfnißlosigkeit, als der
Bedrückung oder der schlechten Regierung von oben. Außerdem muß mau wohl
ins Auge fassen, wie es vor der Herrschaft der Compagnie in Ostindien aussah.
Wir wählen hier Herrn Björnstjerna, ein Nichtcngläuder, dem man also wenigstens
nicht aus diesem Grunde Parteilichkeit vorwerfen kann, als Gewährsmann:

"Zu Anfang des 18. Jahrhunderts wurden alle Kriegsgefangenen nieder¬
gemetzelt -- alle Verdächtige auf die Folter gespannt; die Strafen waren Pfählen,
Kunden u. f. w. In manchen Provinzen jagte man die Einwohner wie wilde
Thiere mit Hunden, und schoß sie zum Vergnügen nieder. Wer etwas besaß,
dem wurde sein Eigenthum genommen, und er selbst erdrosselt. Niemand durste
einen andern in sein Haus einladen, ohne vorherige Erlaubniß des Wessirs oder
des Paschas seines Wohnortes, und das Volk hatte beständig unter den schreck¬
lichen Plünderungen und Gewaltthaten zu leiden. So waren die Zustände Hin-
dostans während der letzten Zeit des Großmoguls. Noch schlimmer wurde es,
als Nadir Schah, wie ein Strom verheerenden Feuers das Land überwältigte,
und vielleicht am allerschlimmsten, als Nadir Schah Ostindien geräumt hatte und
es in die Gewalt der Mcchrattm fiel, deren einziger Zweck Plünderung und Ver¬
heerung war. Damals bot Hindostan ein Bild so unerhörter Bedrückung dar,
daß man es nur mit Schrecken betrachten kann. In der Geschichte jener Zeit
lassen sich tausend Beispiele finden, wo die ganze Bevölkerung eroberter Städte
vou dem Sieger niedergemetzelt worden ist. Delhi, das damals mehr als 1 Mill.


Grenzboten. III. 18L3. 67

heit zu bewegen an. Kaum würde eine andere, mit neuen Befugnissen und Pflichten
ausgestattete Regierung eine staatsmännischere Ansicht ihrer neuen Stellung ge¬
faßt, oder ihre Ansichten in einem menschlichem und aufgeklärter» Geiste aus¬
gesprochen haben, als die ostindische Compagnie in dieser großen Krisis. Indem
sie einen Ueberblick über die ganze Frage der Verwaltung Ostindiens gab, inso¬
fern sie von den Bestimmungen der neuen Gesetze berührt wurde, schrieb sie an
die Regierung von Kalkutta einen, den ganzen großen Gegenstand erschöpfenden
Brief, in welchem sie die Localbehörden ermahnte, in jeder Hinsicht den neuen
Bestimmungen die freisinnigste Auslegung zu geben, und sie zu benutzen, um
dem von ihr regierten Volk die größten Wohlthaten zukommen zu lassen. „Wie
verschieden von andern Regierungen, die, wenn ihnen von einer gesetzgebenden
Gewalt ein neues, ihre Befugnisse zum Besten des Staats beschränkendes Gesetz
vorgezeichnet wird, sich ängstlich an jeden Fetzen ihrer Macht klammern, und was
sie nicht gesetzlich behaupten können, durch Hinterlist zu erschleichen suchen.

Die Gegner der ostindischen Armee fuhren die Armuth und die geringe Con-
sumtionsfähigkeit ihrer Unterthanen als Beweis eines sorglosen oder gar auf-
saugenden Regiments an. Es ist wahr, der Ryve geht nackt, und trägt nur
einen Streifen Baumwollenzeug um die Lenden; er ißt nnr ein paar Hände voll
Reis und sein ganzer Hausrath besteht aus ein paar metallenen Töpfen. Aber
daS ist mehr die Folge seiner Indolenz und seiner Bedürfnißlosigkeit, als der
Bedrückung oder der schlechten Regierung von oben. Außerdem muß mau wohl
ins Auge fassen, wie es vor der Herrschaft der Compagnie in Ostindien aussah.
Wir wählen hier Herrn Björnstjerna, ein Nichtcngläuder, dem man also wenigstens
nicht aus diesem Grunde Parteilichkeit vorwerfen kann, als Gewährsmann:

„Zu Anfang des 18. Jahrhunderts wurden alle Kriegsgefangenen nieder¬
gemetzelt — alle Verdächtige auf die Folter gespannt; die Strafen waren Pfählen,
Kunden u. f. w. In manchen Provinzen jagte man die Einwohner wie wilde
Thiere mit Hunden, und schoß sie zum Vergnügen nieder. Wer etwas besaß,
dem wurde sein Eigenthum genommen, und er selbst erdrosselt. Niemand durste
einen andern in sein Haus einladen, ohne vorherige Erlaubniß des Wessirs oder
des Paschas seines Wohnortes, und das Volk hatte beständig unter den schreck¬
lichen Plünderungen und Gewaltthaten zu leiden. So waren die Zustände Hin-
dostans während der letzten Zeit des Großmoguls. Noch schlimmer wurde es,
als Nadir Schah, wie ein Strom verheerenden Feuers das Land überwältigte,
und vielleicht am allerschlimmsten, als Nadir Schah Ostindien geräumt hatte und
es in die Gewalt der Mcchrattm fiel, deren einziger Zweck Plünderung und Ver¬
heerung war. Damals bot Hindostan ein Bild so unerhörter Bedrückung dar,
daß man es nur mit Schrecken betrachten kann. In der Geschichte jener Zeit
lassen sich tausend Beispiele finden, wo die ganze Bevölkerung eroberter Städte
vou dem Sieger niedergemetzelt worden ist. Delhi, das damals mehr als 1 Mill.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/455>, abgerufen am 23.07.2024.