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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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miudarsystem vor. Die ZemindarS sind größere Grundbesitzer, die zugleich die
Eintreibung der Steuern aller übrigen Grundbesitzer zu besorgen haben, die an^
einen gewissen Gesammtbetrag festgesetzt sind. Größere finanzielle Sicherheit für
die Regierung, aber oft tyrannische Bedrückung der kleiner" Grundbesitzer oder
vielmehr Pächter durch die ZemindarS, die ihren Nebenpächtern durch alle ersinn-
lichen Mittel eine übermäßige Grundrente abpressen, ist eine fast unvermeidliche
Folge dieses Systems, wo nicht ein unermüdlich wachsamer und energischer Ein¬
nehmer die Zemiudars in ihren Schranken hält. In der Präsidentschaft Madras
herrscht das Ryotwarsystem. Der Boden ist in kleine Parzellen von -1 -- 10
englischen Acres getheilt, und die Bebauer pachten es direct von der Regierung
auf die für jede Parzelle festzusetzenden Bedingungen. Es liegt auf der Hand,
daß auch hier die Einnehmer eine ungeheure Macht besitze", zumal da sie auch
die meiste" de" Grundbesitz betreffenden Streitigkeiten richterlich zu entscheiden
haben. Angegriffen wird dieses System hauptsächlich von den Manchesterleuteu,
da es die Bildung eines großen Grundbesitzes verhindert, und dadurch die
Baumwolleucultnr, welche diese Herren vorzüglich im Auge haben, wenig be¬
günstigt; aber die Versuche, das Ryotwarsystem durch das Zemindarsystem zu
ersetze", sind sehr schlecht ausgefallen. In den nordwestlichen Provinzen ist die
Einrichtung getroffen, daß nach Abzug der Bewirthschaftuugskvsteu, die der Pächter
allein zu tragen hat, die Regierung der Pächter ^/z des Nettoertrags bezieht. Was
den Richterstand betrifft, so stehen die europäische" bei den Eingebornen wegen ihrer
Unbestechlichkeit -- eine seltene Tugend in ganz Asien -- in verdient hohem Ruf; bei
weitem die meisten Fälle -- 90 unter 100 -- werden aber von den Untergerichten vor
einheimischen Richtern entschieden. Jeder Einheimische wird nach besten. Wissen des
Richters, nach dem Recht seiner Nation gerichtet, der Mohamedaner nach moha-
medanischen, der Hindu nach Hiudurecht, und die Eingebornen jedes Landestheils
nach den daselbst giltigen Gesetzen. Ein großes Hinderniß einer guten Rechts¬
pflege ist die unerhörte Bestechlichkeit und die Gewohnheit des Meineids bei den
Eingebornen. In Bengalen ist es fast zum Sprichwort geworden, daß ein Ein-
geborner eine Lüge der Wahrheit vorzieht, wenn ihm die Wahl gelassen wird,
und beide seinem Interesse gleich gut einsprechen. Einem Eingebornen vor Ge¬
richt sagen, er solle seine Klage durch Zeugen beweisen, heißt fast soviel, als ihn
auffordern, in den Bazar zu gehen, wo er Zeugen für alles, was er haben will,
für eine Anna (IV2 Sgr.) pr. Kopf bekommen kann.

Wie diese Regierungsmaschinerie in der Praxis auf Ostindien wirkt, haben
wir hiermit, was die untern Stufen betrifft, bereits vorweggenommen. Hinsichtlich des
Geistes, der sie im ganzen durchweht, führe" wir das Zeugniß eines Engländers
Mr. Kaye an, der zwar als Apologet der Compagnie anstritt, dem aber von
Unparteiischen Verschweigen einzelner Mängel, nicht Entstellung des Gesammt-
resnltats vorgeworfen wird. ^


miudarsystem vor. Die ZemindarS sind größere Grundbesitzer, die zugleich die
Eintreibung der Steuern aller übrigen Grundbesitzer zu besorgen haben, die an^
einen gewissen Gesammtbetrag festgesetzt sind. Größere finanzielle Sicherheit für
die Regierung, aber oft tyrannische Bedrückung der kleiner» Grundbesitzer oder
vielmehr Pächter durch die ZemindarS, die ihren Nebenpächtern durch alle ersinn-
lichen Mittel eine übermäßige Grundrente abpressen, ist eine fast unvermeidliche
Folge dieses Systems, wo nicht ein unermüdlich wachsamer und energischer Ein¬
nehmer die Zemiudars in ihren Schranken hält. In der Präsidentschaft Madras
herrscht das Ryotwarsystem. Der Boden ist in kleine Parzellen von -1 — 10
englischen Acres getheilt, und die Bebauer pachten es direct von der Regierung
auf die für jede Parzelle festzusetzenden Bedingungen. Es liegt auf der Hand,
daß auch hier die Einnehmer eine ungeheure Macht besitze», zumal da sie auch
die meiste» de» Grundbesitz betreffenden Streitigkeiten richterlich zu entscheiden
haben. Angegriffen wird dieses System hauptsächlich von den Manchesterleuteu,
da es die Bildung eines großen Grundbesitzes verhindert, und dadurch die
Baumwolleucultnr, welche diese Herren vorzüglich im Auge haben, wenig be¬
günstigt; aber die Versuche, das Ryotwarsystem durch das Zemindarsystem zu
ersetze«, sind sehr schlecht ausgefallen. In den nordwestlichen Provinzen ist die
Einrichtung getroffen, daß nach Abzug der Bewirthschaftuugskvsteu, die der Pächter
allein zu tragen hat, die Regierung der Pächter ^/z des Nettoertrags bezieht. Was
den Richterstand betrifft, so stehen die europäische» bei den Eingebornen wegen ihrer
Unbestechlichkeit — eine seltene Tugend in ganz Asien — in verdient hohem Ruf; bei
weitem die meisten Fälle — 90 unter 100 — werden aber von den Untergerichten vor
einheimischen Richtern entschieden. Jeder Einheimische wird nach besten. Wissen des
Richters, nach dem Recht seiner Nation gerichtet, der Mohamedaner nach moha-
medanischen, der Hindu nach Hiudurecht, und die Eingebornen jedes Landestheils
nach den daselbst giltigen Gesetzen. Ein großes Hinderniß einer guten Rechts¬
pflege ist die unerhörte Bestechlichkeit und die Gewohnheit des Meineids bei den
Eingebornen. In Bengalen ist es fast zum Sprichwort geworden, daß ein Ein-
geborner eine Lüge der Wahrheit vorzieht, wenn ihm die Wahl gelassen wird,
und beide seinem Interesse gleich gut einsprechen. Einem Eingebornen vor Ge¬
richt sagen, er solle seine Klage durch Zeugen beweisen, heißt fast soviel, als ihn
auffordern, in den Bazar zu gehen, wo er Zeugen für alles, was er haben will,
für eine Anna (IV2 Sgr.) pr. Kopf bekommen kann.

Wie diese Regierungsmaschinerie in der Praxis auf Ostindien wirkt, haben
wir hiermit, was die untern Stufen betrifft, bereits vorweggenommen. Hinsichtlich des
Geistes, der sie im ganzen durchweht, führe» wir das Zeugniß eines Engländers
Mr. Kaye an, der zwar als Apologet der Compagnie anstritt, dem aber von
Unparteiischen Verschweigen einzelner Mängel, nicht Entstellung des Gesammt-
resnltats vorgeworfen wird. ^


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[0453] miudarsystem vor. Die ZemindarS sind größere Grundbesitzer, die zugleich die Eintreibung der Steuern aller übrigen Grundbesitzer zu besorgen haben, die an^ einen gewissen Gesammtbetrag festgesetzt sind. Größere finanzielle Sicherheit für die Regierung, aber oft tyrannische Bedrückung der kleiner» Grundbesitzer oder vielmehr Pächter durch die ZemindarS, die ihren Nebenpächtern durch alle ersinn- lichen Mittel eine übermäßige Grundrente abpressen, ist eine fast unvermeidliche Folge dieses Systems, wo nicht ein unermüdlich wachsamer und energischer Ein¬ nehmer die Zemiudars in ihren Schranken hält. In der Präsidentschaft Madras herrscht das Ryotwarsystem. Der Boden ist in kleine Parzellen von -1 — 10 englischen Acres getheilt, und die Bebauer pachten es direct von der Regierung auf die für jede Parzelle festzusetzenden Bedingungen. Es liegt auf der Hand, daß auch hier die Einnehmer eine ungeheure Macht besitze», zumal da sie auch die meiste» de» Grundbesitz betreffenden Streitigkeiten richterlich zu entscheiden haben. Angegriffen wird dieses System hauptsächlich von den Manchesterleuteu, da es die Bildung eines großen Grundbesitzes verhindert, und dadurch die Baumwolleucultnr, welche diese Herren vorzüglich im Auge haben, wenig be¬ günstigt; aber die Versuche, das Ryotwarsystem durch das Zemindarsystem zu ersetze«, sind sehr schlecht ausgefallen. In den nordwestlichen Provinzen ist die Einrichtung getroffen, daß nach Abzug der Bewirthschaftuugskvsteu, die der Pächter allein zu tragen hat, die Regierung der Pächter ^/z des Nettoertrags bezieht. Was den Richterstand betrifft, so stehen die europäische» bei den Eingebornen wegen ihrer Unbestechlichkeit — eine seltene Tugend in ganz Asien — in verdient hohem Ruf; bei weitem die meisten Fälle — 90 unter 100 — werden aber von den Untergerichten vor einheimischen Richtern entschieden. Jeder Einheimische wird nach besten. Wissen des Richters, nach dem Recht seiner Nation gerichtet, der Mohamedaner nach moha- medanischen, der Hindu nach Hiudurecht, und die Eingebornen jedes Landestheils nach den daselbst giltigen Gesetzen. Ein großes Hinderniß einer guten Rechts¬ pflege ist die unerhörte Bestechlichkeit und die Gewohnheit des Meineids bei den Eingebornen. In Bengalen ist es fast zum Sprichwort geworden, daß ein Ein- geborner eine Lüge der Wahrheit vorzieht, wenn ihm die Wahl gelassen wird, und beide seinem Interesse gleich gut einsprechen. Einem Eingebornen vor Ge¬ richt sagen, er solle seine Klage durch Zeugen beweisen, heißt fast soviel, als ihn auffordern, in den Bazar zu gehen, wo er Zeugen für alles, was er haben will, für eine Anna (IV2 Sgr.) pr. Kopf bekommen kann. Wie diese Regierungsmaschinerie in der Praxis auf Ostindien wirkt, haben wir hiermit, was die untern Stufen betrifft, bereits vorweggenommen. Hinsichtlich des Geistes, der sie im ganzen durchweht, führe» wir das Zeugniß eines Engländers Mr. Kaye an, der zwar als Apologet der Compagnie anstritt, dem aber von Unparteiischen Verschweigen einzelner Mängel, nicht Entstellung des Gesammt- resnltats vorgeworfen wird. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/453>, abgerufen am 23.07.2024.