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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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interessante Seite der Maurelscheu Schrift ist die Nachweisung der systematischen
Verfälschung der Geschichte, die ins zu diesem Augenblick in Frankreich in Betreff
der Feldzüge Wellingtons stattfindet und die ihren Ursprung in der geflissentlicher
Verhehlung der Wahrheit und der unverschämten Verbreitung grober Lügen hat,
die während des ersten Kaiserreichs über alle Vorfälle stattfanden, welche den
französischen Waffe" ungünstig waren. Da nun die ganze Laufbahn Wellingtons
nur eine lange Reihe von den Franzosen abgewonnenen Vortheilen ist, so nahm
der Moniteur davon entweder keine Notiz oder entstellte sie ans eine nicht mehr
erkenntliche Weise. Hatte er doch den General Wellesley als einen "unfähigen,
verwegenen, hochmüthigen und unwissenden Offizier" bezeichnet, ja sogar folgende
Prophezeihung beigefügt: "Wir müssen wünschen, daß der General Wellesley
immer die englischen Armeen commandirt; seinem Charakter nach wird er sich
große Unfälle zuziehen."

Herr Maurel sagt mit Recht von Napoleon I., daß er es übernommen hatte,
für seine Unterthanen zu denken, zu sprechen und nöthigenfalls zu lügen.
"Die kaiserliche Regierung kleidete und schminkte die Wahrheit, wenn diese darnach
beschaffen war, sie unterdrückte sie, wenn sie nicht im Stande war, eine Lüge
daraus zu Schmiede"." Ueber die Schlachte" von Trafalgar und Vittoria z. B.
gestattete Napoleon nicht die geringste Mittheilung! Der Bonapartismus unserer
Tage hat die gute Folge gehabt, deu Gestürzten des lügnerischen Schimmers zu ent¬
kleiden, welchen ihm die nationale Eitelkeit der Franzosen, und die einfältige, sen¬
timentale Bewunderung anderer Völker, namentlich des deutsche", verliehen haben.
In dieser Beziehung ist das Buch des Herrn Maurel als ein sehr schätzeus-
werther Beitrag zu begrüßen. Wir entnehmen daraus deu Abschnitt, welcher das
von Napoleon selbst verfaßte Bulletin des Moniteur über die Schlacht von
Waterloo und die Kritik, welche der Verfasser hinzufügt, enthält. Die letztere
führt die Behauptung des französischen Kaisers, die noch heute in Frankreich mit
wenigen Ausnahmen wie ein Evangelium gilt, daß er die bereits gewonnene
Schlacht nur durch Verrath und die uuvorhergeseheusteu Unfälle wieder verloren
habe, auf ihren wahren Werth zurück. Das Bulletin sowol, als die Manrelsche
Kritik find aber besonders werthvoll sür die Charakteristik Napoleons. Man hat
in Prosa und Versen die Tragik seines Falles bei Waterloo bis zum Ueberdruß
gefeiert; man sehe, wie tragisch er dann eigentlich im Moment, als der Sieg
ihm entrissen wurde, sich verhielt, mit welcher Seelengröße er zwei Tage darauf
inmitten der Trümmer des Kaiserreichs und angesichts des Abgrundes, in den
er Frankreich gestürzt, sein tapferes Heer zu Gunsten seines eignen Rufes ver¬
leumdete.

Moniteur vom 2-1. Juni Außerordentliche Beilage.

Schlacht von Mon t-Saint-Jean.

Da um 9 Uhr Morgens der Regen etwas nachgelassen hatte, so setzte das


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interessante Seite der Maurelscheu Schrift ist die Nachweisung der systematischen
Verfälschung der Geschichte, die ins zu diesem Augenblick in Frankreich in Betreff
der Feldzüge Wellingtons stattfindet und die ihren Ursprung in der geflissentlicher
Verhehlung der Wahrheit und der unverschämten Verbreitung grober Lügen hat,
die während des ersten Kaiserreichs über alle Vorfälle stattfanden, welche den
französischen Waffe» ungünstig waren. Da nun die ganze Laufbahn Wellingtons
nur eine lange Reihe von den Franzosen abgewonnenen Vortheilen ist, so nahm
der Moniteur davon entweder keine Notiz oder entstellte sie ans eine nicht mehr
erkenntliche Weise. Hatte er doch den General Wellesley als einen „unfähigen,
verwegenen, hochmüthigen und unwissenden Offizier" bezeichnet, ja sogar folgende
Prophezeihung beigefügt: „Wir müssen wünschen, daß der General Wellesley
immer die englischen Armeen commandirt; seinem Charakter nach wird er sich
große Unfälle zuziehen."

Herr Maurel sagt mit Recht von Napoleon I., daß er es übernommen hatte,
für seine Unterthanen zu denken, zu sprechen und nöthigenfalls zu lügen.
„Die kaiserliche Regierung kleidete und schminkte die Wahrheit, wenn diese darnach
beschaffen war, sie unterdrückte sie, wenn sie nicht im Stande war, eine Lüge
daraus zu Schmiede»." Ueber die Schlachte» von Trafalgar und Vittoria z. B.
gestattete Napoleon nicht die geringste Mittheilung! Der Bonapartismus unserer
Tage hat die gute Folge gehabt, deu Gestürzten des lügnerischen Schimmers zu ent¬
kleiden, welchen ihm die nationale Eitelkeit der Franzosen, und die einfältige, sen¬
timentale Bewunderung anderer Völker, namentlich des deutsche», verliehen haben.
In dieser Beziehung ist das Buch des Herrn Maurel als ein sehr schätzeus-
werther Beitrag zu begrüßen. Wir entnehmen daraus deu Abschnitt, welcher das
von Napoleon selbst verfaßte Bulletin des Moniteur über die Schlacht von
Waterloo und die Kritik, welche der Verfasser hinzufügt, enthält. Die letztere
führt die Behauptung des französischen Kaisers, die noch heute in Frankreich mit
wenigen Ausnahmen wie ein Evangelium gilt, daß er die bereits gewonnene
Schlacht nur durch Verrath und die uuvorhergeseheusteu Unfälle wieder verloren
habe, auf ihren wahren Werth zurück. Das Bulletin sowol, als die Manrelsche
Kritik find aber besonders werthvoll sür die Charakteristik Napoleons. Man hat
in Prosa und Versen die Tragik seines Falles bei Waterloo bis zum Ueberdruß
gefeiert; man sehe, wie tragisch er dann eigentlich im Moment, als der Sieg
ihm entrissen wurde, sich verhielt, mit welcher Seelengröße er zwei Tage darauf
inmitten der Trümmer des Kaiserreichs und angesichts des Abgrundes, in den
er Frankreich gestürzt, sein tapferes Heer zu Gunsten seines eignen Rufes ver¬
leumdete.

Moniteur vom 2-1. Juni Außerordentliche Beilage.

Schlacht von Mon t-Saint-Jean.

Da um 9 Uhr Morgens der Regen etwas nachgelassen hatte, so setzte das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/433>, abgerufen am 23.07.2024.