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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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bleibt sich gleich, wenn wir uns in beiden Fällen mit einem Referat begnügen
müssen. --- Wenn aber in der Ausbreitung der Handlung und in der Verständ-
lichung ihrer Motive Herr Nenmeister offenbar einen verständigem Plan verfolgt
hat, als Hebbel, so ist das Interesse, das sei" Stück einflößt, doch viel geringer.
Zwar ist auch in Hebbels Tragödie der steife, gekniffene, pretiöse Ton keineswegs
poetisch, aber er spannt uns wenigstens und regt sehr stark unsere Phantasie zu
eigener Thätigkeit an. Herr Nenmeister bewegt sich in dem gewöhnlichsten dekla¬
matorischen Stil, der fast überall in Sentimentalität verfällt und sich daher am
wenigsten für die Natur der Handlung eignet. Die beiden Hauptpersonen sind
zu weich und zu gewöhnlich, als daß wir ihnen ein tragisches Interesse schenken
könnten, und das von der Sage überlieferte Motiv der Handlung ist so seltsam
und ungewöhnlich, daß wir uns nur ganz eigenthümliche, seltsame und forcirte
Charaktere als Träger desselben denken können. Die weitere Entwickelung ist
ungefähr so ausgeführt, wie bei Hebbel, nnr mit weniger Energie und Ent¬
schlossenheit, und zuletzt wird die Spitze vollständig abgebrochen. Zwar ist bei
Hebbel der Entschluß Mariannens, den Tod ihres Gemahls durch ein glänzendes
Fest zu feiern, um dadurch ihren Gemahl, an dessen Tod sie nicht glaubt, zu
veranlassen, sie ungerecht zu tödten, so abenteuerlich und widersinnig, daß der
Eindruck fast ans komische streift; aber Hebbel hat uns diese Scene mit soviel
Aufwand der Phantasie ausgemalt, daß wir wenigstens für den Augenblick mit
fortgerissen werden, und daß uns die Widersiniiigkeit gar nicht einfällt. Was
aber Herr Nenmeister an die Stelle desselben setzt, ist ganz schwach und ungenügend.
Marianne zieht sich in ein friedliches Thal zu armen Hirten zurück, wo die Essener
wohnen (durch welchen Umstand wahrscheinlich auf die moderne Theorie von der
Bildung des Christenthums hingedeutet werden soll), und Herodes, der in einem
Monolog sehr irreligiöse Ansichten ausspncht, wird vom Blitz erschlagen, worauf
hinten ein transparentes Bild sich eröffnet, eine Hirteuflur mit dem Stern und
dem Chor der Engel, der eine ziemlich unbedeutende Cantate abhinge. Das ist
ein Opernschluß, der sich für eine Tragödie nicht ziemt. --

Das Drama: Galiana von Viterbo gehört nnr uneigentlich in die Reihe
der historischen Tragödien. Es spielt in der Mitte des 12. Jahrhunderts, in
jener Zeit, wo die italienischen Städte ihre Souveränetät dazu anwendeten, sich
einander auf das wildeste zu befehden. Die Fehde zwischen Rom und Viterbo
wird hier hergeleitet durch ein schönes Mädchen, das die Römer für einen der
ihrigen gewaltsam werben wollen. Diese Schönheit ist so gewaltig und so fas-
cinirend, daß jeder, der sie fleht, im vollsten Sinne des Worts geblendet wird
und den Verstand verliert. So etwas ans dem Theater darzustellen, ist sehr
mißlich, wenn es als fortlaufendes Motiv des Stücks angewendet wird. I" einer
Reihe von Scenen sollen wir fortwährend daran glauben, daß Galianas Schön¬
heit Wunder thut, und da liegt es zu nahe, daß wir mit eigenen Augen prüfen.


bleibt sich gleich, wenn wir uns in beiden Fällen mit einem Referat begnügen
müssen. —- Wenn aber in der Ausbreitung der Handlung und in der Verständ-
lichung ihrer Motive Herr Nenmeister offenbar einen verständigem Plan verfolgt
hat, als Hebbel, so ist das Interesse, das sei» Stück einflößt, doch viel geringer.
Zwar ist auch in Hebbels Tragödie der steife, gekniffene, pretiöse Ton keineswegs
poetisch, aber er spannt uns wenigstens und regt sehr stark unsere Phantasie zu
eigener Thätigkeit an. Herr Nenmeister bewegt sich in dem gewöhnlichsten dekla¬
matorischen Stil, der fast überall in Sentimentalität verfällt und sich daher am
wenigsten für die Natur der Handlung eignet. Die beiden Hauptpersonen sind
zu weich und zu gewöhnlich, als daß wir ihnen ein tragisches Interesse schenken
könnten, und das von der Sage überlieferte Motiv der Handlung ist so seltsam
und ungewöhnlich, daß wir uns nur ganz eigenthümliche, seltsame und forcirte
Charaktere als Träger desselben denken können. Die weitere Entwickelung ist
ungefähr so ausgeführt, wie bei Hebbel, nnr mit weniger Energie und Ent¬
schlossenheit, und zuletzt wird die Spitze vollständig abgebrochen. Zwar ist bei
Hebbel der Entschluß Mariannens, den Tod ihres Gemahls durch ein glänzendes
Fest zu feiern, um dadurch ihren Gemahl, an dessen Tod sie nicht glaubt, zu
veranlassen, sie ungerecht zu tödten, so abenteuerlich und widersinnig, daß der
Eindruck fast ans komische streift; aber Hebbel hat uns diese Scene mit soviel
Aufwand der Phantasie ausgemalt, daß wir wenigstens für den Augenblick mit
fortgerissen werden, und daß uns die Widersiniiigkeit gar nicht einfällt. Was
aber Herr Nenmeister an die Stelle desselben setzt, ist ganz schwach und ungenügend.
Marianne zieht sich in ein friedliches Thal zu armen Hirten zurück, wo die Essener
wohnen (durch welchen Umstand wahrscheinlich auf die moderne Theorie von der
Bildung des Christenthums hingedeutet werden soll), und Herodes, der in einem
Monolog sehr irreligiöse Ansichten ausspncht, wird vom Blitz erschlagen, worauf
hinten ein transparentes Bild sich eröffnet, eine Hirteuflur mit dem Stern und
dem Chor der Engel, der eine ziemlich unbedeutende Cantate abhinge. Das ist
ein Opernschluß, der sich für eine Tragödie nicht ziemt. —

Das Drama: Galiana von Viterbo gehört nnr uneigentlich in die Reihe
der historischen Tragödien. Es spielt in der Mitte des 12. Jahrhunderts, in
jener Zeit, wo die italienischen Städte ihre Souveränetät dazu anwendeten, sich
einander auf das wildeste zu befehden. Die Fehde zwischen Rom und Viterbo
wird hier hergeleitet durch ein schönes Mädchen, das die Römer für einen der
ihrigen gewaltsam werben wollen. Diese Schönheit ist so gewaltig und so fas-
cinirend, daß jeder, der sie fleht, im vollsten Sinne des Worts geblendet wird
und den Verstand verliert. So etwas ans dem Theater darzustellen, ist sehr
mißlich, wenn es als fortlaufendes Motiv des Stücks angewendet wird. I» einer
Reihe von Scenen sollen wir fortwährend daran glauben, daß Galianas Schön¬
heit Wunder thut, und da liegt es zu nahe, daß wir mit eigenen Augen prüfen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/422>, abgerufen am 23.07.2024.