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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Mühe gegeben , die allgemeinen Darstellungen des englischen Historikers in einzelne
Anschauungen umzusetzen. Dadurch löst sich das Drama fast ganz in Detailmalcrei
ans. Der Gegenstand, die Verschwörung des MonM'-meh- ist, abgesehen von ihrem
falschen dramatischen Ausgang schon deöhab für die dramatische Bearbeitung wenig
geeignet, weil ihre Motive sehr verwickelt und weil die auftretenden Charaktere sehr
gemischter Natur sind. Für einen historischen Roman wäre das eine Empfehlung,
aber auf dem Theater hat mau nicht Zeit, sich über die zahllosen Intriguen, die
sich einander durchkreuzen, über die massenhaft auftretenden Personen, von
denen jede einzelne ein ruhiges Nachdenken verlangt, um überhaupt richtig
gewürdigt zu werde", zu orientiren. Bei Shakespeare ist das anders.
Seine Hauptmotive Md seiue hervortretenden Charaktere sind in so großen
bedeutenden Züge" augelegt, daß sie alles einzelne mächtig beherrsche", daß sie
sich dem Verständniß gewaltsam aufdrängen und daß daher auch durch die sorg¬
fältigste Detailmalerei die Aufmerksamkeit nicht im mindesten- gestört wird. Wo
aber diese starken leitenden Grundstriche fehlen, verliert sich durch Uebertreibung
der Detailmalerei alles in kurze, krause Figuren und Schnörkel, in denen alles
einheitliche Interesse und daher alle Spannung fehlt. Herr Palleske hat nicht
daran genug gehabt, sämmtliche Figuren Macanlays ans die Bühne zu bringen,
e,v hat noch eine ganze Zahl erdichtete hinzugefügt,, theils Persyuen ans dem Volk,
theils aus der galanten Gesellschaft. U"d dazu hat er sich einen Stil angeeignet,
in dem die kühnste, raffinirtcste Bildersprache mit der burlesken, volksthümlichen
Redeweise wechselt, ohne doch die Kühnheit, Originalität und Naivetät zu
besitzen, die einen solchen Wechsel rechtfertigt. Die Empfindung hat er gehabt,
daß Monmouth eigentlich eine ganz würdelose Person ist und daß namentlich sein
kläglicher Ausgang allem Gesetzen des Dramas widerspricht. Er hat daher den
Fußfall beim Könige weggelassen,, aber ihn ganz zu unterdrücken, ist er doch zu
gewissenhaft, er verlegt ihn also aus dem Reich der, Thatsachen in das Reich der
Empfindungen. Er läßt in einem sehr langen Monolog Monmouth das, was er'
in der Geschichte wirklich durchgeführt hat, sich uur vorstellen. Er malt es sich
aus, wie er sich dem König zu Füßen wirft, um seine Vergebung fleht, um sein
Leben bettelt u. f. w., läßt aber dieses, schlechte Vorhabe" nicht zur Aus.fühnmg
kommen. Dadurch erspart er aber einerseits seinem Helden die geistige Erniedri¬
gung keineswegs, andrerseits macht er diejenigen Leser, die in der Geschichte
bewandert sind, noch stärker ans die Niedrigkeit seines wirklichen Helden aufmerk¬
sam und ruft in ihrer Seele Vergleichungen hervor, die für de" dramatischen
Eindruck nur nachtheilig, sein können. Zuletzt führt er. uns auf das Schaffst und
läßt uus den letzten Augenblicken seines Helden beiwohnen, der, uns, versichert, er
sterbe für die Freiheit Englands, allein wir können dieser Versicherung uicht recht
trauen, denn wir haben während des Verlaufs des wirklichen Stückes nichts
davon gemerkt, wir sahen ihn nur als das Opfer schlechter Intriguanten fallen


Mühe gegeben , die allgemeinen Darstellungen des englischen Historikers in einzelne
Anschauungen umzusetzen. Dadurch löst sich das Drama fast ganz in Detailmalcrei
ans. Der Gegenstand, die Verschwörung des MonM'-meh- ist, abgesehen von ihrem
falschen dramatischen Ausgang schon deöhab für die dramatische Bearbeitung wenig
geeignet, weil ihre Motive sehr verwickelt und weil die auftretenden Charaktere sehr
gemischter Natur sind. Für einen historischen Roman wäre das eine Empfehlung,
aber auf dem Theater hat mau nicht Zeit, sich über die zahllosen Intriguen, die
sich einander durchkreuzen, über die massenhaft auftretenden Personen, von
denen jede einzelne ein ruhiges Nachdenken verlangt, um überhaupt richtig
gewürdigt zu werde», zu orientiren. Bei Shakespeare ist das anders.
Seine Hauptmotive Md seiue hervortretenden Charaktere sind in so großen
bedeutenden Züge» augelegt, daß sie alles einzelne mächtig beherrsche», daß sie
sich dem Verständniß gewaltsam aufdrängen und daß daher auch durch die sorg¬
fältigste Detailmalerei die Aufmerksamkeit nicht im mindesten- gestört wird. Wo
aber diese starken leitenden Grundstriche fehlen, verliert sich durch Uebertreibung
der Detailmalerei alles in kurze, krause Figuren und Schnörkel, in denen alles
einheitliche Interesse und daher alle Spannung fehlt. Herr Palleske hat nicht
daran genug gehabt, sämmtliche Figuren Macanlays ans die Bühne zu bringen,
e,v hat noch eine ganze Zahl erdichtete hinzugefügt,, theils Persyuen ans dem Volk,
theils aus der galanten Gesellschaft. U»d dazu hat er sich einen Stil angeeignet,
in dem die kühnste, raffinirtcste Bildersprache mit der burlesken, volksthümlichen
Redeweise wechselt, ohne doch die Kühnheit, Originalität und Naivetät zu
besitzen, die einen solchen Wechsel rechtfertigt. Die Empfindung hat er gehabt,
daß Monmouth eigentlich eine ganz würdelose Person ist und daß namentlich sein
kläglicher Ausgang allem Gesetzen des Dramas widerspricht. Er hat daher den
Fußfall beim Könige weggelassen,, aber ihn ganz zu unterdrücken, ist er doch zu
gewissenhaft, er verlegt ihn also aus dem Reich der, Thatsachen in das Reich der
Empfindungen. Er läßt in einem sehr langen Monolog Monmouth das, was er'
in der Geschichte wirklich durchgeführt hat, sich uur vorstellen. Er malt es sich
aus, wie er sich dem König zu Füßen wirft, um seine Vergebung fleht, um sein
Leben bettelt u. f. w., läßt aber dieses, schlechte Vorhabe» nicht zur Aus.fühnmg
kommen. Dadurch erspart er aber einerseits seinem Helden die geistige Erniedri¬
gung keineswegs, andrerseits macht er diejenigen Leser, die in der Geschichte
bewandert sind, noch stärker ans die Niedrigkeit seines wirklichen Helden aufmerk¬
sam und ruft in ihrer Seele Vergleichungen hervor, die für de» dramatischen
Eindruck nur nachtheilig, sein können. Zuletzt führt er. uns auf das Schaffst und
läßt uus den letzten Augenblicken seines Helden beiwohnen, der, uns, versichert, er
sterbe für die Freiheit Englands, allein wir können dieser Versicherung uicht recht
trauen, denn wir haben während des Verlaufs des wirklichen Stückes nichts
davon gemerkt, wir sahen ihn nur als das Opfer schlechter Intriguanten fallen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/418>, abgerufen am 03.07.2024.