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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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sondern z. B. auch auf die Frage, ob man die uothleidende Lage der Schul¬
meister erleichtern soll. Herr v. Gerlach sagte damals: die Schulmeister treiben
das Volt auf die Barrikaden; wenn wir ihnen also mehr Geld geben, so unter¬
stützen wir unsre Feinde. Ein solches Raisonnement hat sich aber von der
äußersten Rechten ans die sämmtlichen conservativen Kreise übertragen, und wenn die
Nationalzeitnng uns, die wir es lediglich referiren, schuld gibt, es wäre das unsrige,
so ist das eine Böswilligkeit.

Wir haben nicht, wie uns die Nationalzeitnng in den Mund legt, behauptet,
jenes Raisonnement wäre logisch, sondern nur, es wäre einige Logik darin.
Diese besteht nämlich darin, daß die Ansicht von der Schädlichkeit einer zahmen
Demokratie, die nie auf die Barrikaden geht, und die doch im eintretenden Fall
die Revolution begünstigt, eine vollkommen richtige ist, und das ist der zweite Punkt,
den wir gegen jene fade Ironie einzuwenden haben. Glaubt denn die National-
zeituug in der That, in der Nacht des -18. März hätten die Leute, die ans den
Barrikaden standen (worunter unsers Wissens sich keine von den demokratischen
Notabilitäten befanden), den altpreußischen Staat gestürzt? War denn der König
durch die Gewalt der Waffen dazu gezwungen, die Garten aus Berlin zu ent¬
fernen? Wir deute" nicht, daß das der Fall war. Aber.es war damals eine
zahme NevolutionSpartei vorhanden (der größte Theil des damaligen Liberalismus
gehörte dazu), die i" der Unfähigkeit, sich eine liberale Entwickelung Preußens
auf dem gesetzlichen Wege zu denken, sich an die Idee eines radicalen Abbrechens
mit der Vergangenheit gewöhnt hatte, und die uun, wenn sie auch den Barri¬
kadenkampf an sich nicht billigte, doch ans die Resultate desselben als auf etwas
Hoffnnngsreiches hinsah. Und diese stillschweigend genährte Vorstellung wurde
im Augenblick der Aufregung so mächtig, daß sie sich endlich der Regierung selbst
bemeisterte. -- Die Rolle, die damals Vergrößere Theil des Liberalismus spielte,
spielt jetzt die Demokratie. Damals halte es der Liberalismus nicht für möglich
geHallen, in allmäliger, in der hergebrachten Form sich bewegender Entwickelung
weiter zu kommeu; jetzt hält es die Demokratie uicht für möglich. Damals war
es der Opposition durch die Staatseinrichtungen versagt worden, ihre Ansichten
in berechtigter Weise geltend zu machen, sich selber an den bestehenden Staats-
formen zu betheiligen und dadurch zu bilden. Nur die kleine Episode des
vereinigten Landtags hatte dazu eine vorübergehende Gelegenheit geboten, und
diese wurde der Nettuugspunkt der Monarchie. Die Opposition des vereinigten
Landtags nahm die Staatsregierung in die Hände, als jede andre Regierung
unmöglich war, und wenn sie dieselbe auch keineswegs musterhaft, namentlich
lange uicht so zweckmäßig führte, als die Märzministerien in den Mittelstaaten,
die seit längerer Zeit in der constitutionellen Schule gebildet waren, so war sie
doch immerhin eine Regierung, und in jenem Augenblick drohte in der That ein
Zusammensturz in die sinnloseste Anarchie. -- Was damals aus der Natur der


sondern z. B. auch auf die Frage, ob man die uothleidende Lage der Schul¬
meister erleichtern soll. Herr v. Gerlach sagte damals: die Schulmeister treiben
das Volt auf die Barrikaden; wenn wir ihnen also mehr Geld geben, so unter¬
stützen wir unsre Feinde. Ein solches Raisonnement hat sich aber von der
äußersten Rechten ans die sämmtlichen conservativen Kreise übertragen, und wenn die
Nationalzeitnng uns, die wir es lediglich referiren, schuld gibt, es wäre das unsrige,
so ist das eine Böswilligkeit.

Wir haben nicht, wie uns die Nationalzeitnng in den Mund legt, behauptet,
jenes Raisonnement wäre logisch, sondern nur, es wäre einige Logik darin.
Diese besteht nämlich darin, daß die Ansicht von der Schädlichkeit einer zahmen
Demokratie, die nie auf die Barrikaden geht, und die doch im eintretenden Fall
die Revolution begünstigt, eine vollkommen richtige ist, und das ist der zweite Punkt,
den wir gegen jene fade Ironie einzuwenden haben. Glaubt denn die National-
zeituug in der That, in der Nacht des -18. März hätten die Leute, die ans den
Barrikaden standen (worunter unsers Wissens sich keine von den demokratischen
Notabilitäten befanden), den altpreußischen Staat gestürzt? War denn der König
durch die Gewalt der Waffen dazu gezwungen, die Garten aus Berlin zu ent¬
fernen? Wir deute» nicht, daß das der Fall war. Aber.es war damals eine
zahme NevolutionSpartei vorhanden (der größte Theil des damaligen Liberalismus
gehörte dazu), die i» der Unfähigkeit, sich eine liberale Entwickelung Preußens
auf dem gesetzlichen Wege zu denken, sich an die Idee eines radicalen Abbrechens
mit der Vergangenheit gewöhnt hatte, und die uun, wenn sie auch den Barri¬
kadenkampf an sich nicht billigte, doch ans die Resultate desselben als auf etwas
Hoffnnngsreiches hinsah. Und diese stillschweigend genährte Vorstellung wurde
im Augenblick der Aufregung so mächtig, daß sie sich endlich der Regierung selbst
bemeisterte. — Die Rolle, die damals Vergrößere Theil des Liberalismus spielte,
spielt jetzt die Demokratie. Damals halte es der Liberalismus nicht für möglich
geHallen, in allmäliger, in der hergebrachten Form sich bewegender Entwickelung
weiter zu kommeu; jetzt hält es die Demokratie uicht für möglich. Damals war
es der Opposition durch die Staatseinrichtungen versagt worden, ihre Ansichten
in berechtigter Weise geltend zu machen, sich selber an den bestehenden Staats-
formen zu betheiligen und dadurch zu bilden. Nur die kleine Episode des
vereinigten Landtags hatte dazu eine vorübergehende Gelegenheit geboten, und
diese wurde der Nettuugspunkt der Monarchie. Die Opposition des vereinigten
Landtags nahm die Staatsregierung in die Hände, als jede andre Regierung
unmöglich war, und wenn sie dieselbe auch keineswegs musterhaft, namentlich
lange uicht so zweckmäßig führte, als die Märzministerien in den Mittelstaaten,
die seit längerer Zeit in der constitutionellen Schule gebildet waren, so war sie
doch immerhin eine Regierung, und in jenem Augenblick drohte in der That ein
Zusammensturz in die sinnloseste Anarchie. — Was damals aus der Natur der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/390>, abgerufen am 23.07.2024.