Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

etwaige Veränderung in den Ansichten auf ein positives Factum anzuwenden,
aber wir wollten auch die Ueberlegung in dieser Beziehung uur einleiten; an eine
augenblickliche, definitive Entscheidung haben wir nicht geglaubt. Wir wollten die
Polemik zwischen der constitutionellen und demokratischen Partei, die sich früher
vorzugsweise auf die Personen und deren Würdigkeit oder Unwürdigkeit bezogen
hatte, auf die Sachen überleiten.

Statt nun aber offen auf diese Art der Polemik einzugehen, übt die National¬
zeitung gewissermaßen eine stilistische Kritik aus; sie sucht nachzuweisen, daß wir
incorrect in unsern Ausdrücken, ungeschickt in unsrer Satzverbindung sind. Nun
ist das zwar ein Umstand, ans den wir sonst sehr viel Gewicht legen; aber in
diesem Fall Müssen wir offen gestehen, daß uns die Wendung einigermaßen über¬
rascht hat, denn der Stil war das letzte, an das wir gedacht haben. Wenn wir
also auf eine Antikritik eingehen, so werden wir auch hier mehr auf die sachliche,
als auf die Stilfrage Rücksicht nehmen. -- Der Satz, in dem die Kritik der
Nationalzeitung ihren Kulminationspunkt erreicht, lautet folgendermaßen.

"Eine selbstständige Haltung der preußischen Negierung in der allgemeinen
Politik gilt dem logischen Raisonnement der Grenzboten nicht als eine Lebens¬
bedingung und zugleich als ein Beweis der Lebensfähigkeit eines selbstständigen
preußischen Staats, sondern als eine Falle, in der Preußen seine Selbstständig-
keit einbüßen könnte, höchstens als eine Concession, eine Gefälligkeit gegen die
zahme Demokratie, ihre erbitterte Feindin, die von Gewalt und Mord nichts
halte", und doch auch nichts denken soll, als wie sie die Regierung hinterrücks
Meuchelmörder könnte.."

Vou diesem Unsinn steht in dem Grenzboten keine Silbe; er fällt also ganz
ans die Nationalzeitnng zurück.

Erstens haben wir jenes Raisonnement nicht als das unsrige, sondern als
das der preußischen Regierung, der äußersten Rechten und des damit im Zu¬
sammenhang stehenden, specifisch conservativen Publicums ausgegeben; wir haben
vielmehr ausdrücklich erklärt, wir wünschten in der orientalischen Frage, von der
hier zunächst die Rede war, ein selbstständiges Auftreten Preußens, ungefähr in
demselben Sinn, wie die Nationalzeitnng. Daß aber jene Conservativen so oder
ähnlich raisonniren, darüber hat uns zwar Herr v. Manteuffel keine officielle
Mittheilung zukommen lassen, aber es ist von jener Seite auf der Tribüne und
in der Presse tausend- und abertauseudmal wiederholt worden. Die National¬
zeitnng scheint diese Verhandlungen in der That verträumt zu haben. Bei jeder
einzelnen politischen Maßregel, die in Berathung kam, wurde von der äußersten
Rechten die Frage ausgestellt: "Verlangt uicht dasselbe oder etwas Aehnliches auch
die Demokratie? In diesem Fall müssen wir dagegen sein, denn es sähe wie eine
Concession aus, und jede Concession gibt der Revolution neue Stärke." Dieses
Raisonnement wurde nicht blos auf die eigentlich politischen Fragen angewendet,


etwaige Veränderung in den Ansichten auf ein positives Factum anzuwenden,
aber wir wollten auch die Ueberlegung in dieser Beziehung uur einleiten; an eine
augenblickliche, definitive Entscheidung haben wir nicht geglaubt. Wir wollten die
Polemik zwischen der constitutionellen und demokratischen Partei, die sich früher
vorzugsweise auf die Personen und deren Würdigkeit oder Unwürdigkeit bezogen
hatte, auf die Sachen überleiten.

Statt nun aber offen auf diese Art der Polemik einzugehen, übt die National¬
zeitung gewissermaßen eine stilistische Kritik aus; sie sucht nachzuweisen, daß wir
incorrect in unsern Ausdrücken, ungeschickt in unsrer Satzverbindung sind. Nun
ist das zwar ein Umstand, ans den wir sonst sehr viel Gewicht legen; aber in
diesem Fall Müssen wir offen gestehen, daß uns die Wendung einigermaßen über¬
rascht hat, denn der Stil war das letzte, an das wir gedacht haben. Wenn wir
also auf eine Antikritik eingehen, so werden wir auch hier mehr auf die sachliche,
als auf die Stilfrage Rücksicht nehmen. — Der Satz, in dem die Kritik der
Nationalzeitung ihren Kulminationspunkt erreicht, lautet folgendermaßen.

„Eine selbstständige Haltung der preußischen Negierung in der allgemeinen
Politik gilt dem logischen Raisonnement der Grenzboten nicht als eine Lebens¬
bedingung und zugleich als ein Beweis der Lebensfähigkeit eines selbstständigen
preußischen Staats, sondern als eine Falle, in der Preußen seine Selbstständig-
keit einbüßen könnte, höchstens als eine Concession, eine Gefälligkeit gegen die
zahme Demokratie, ihre erbitterte Feindin, die von Gewalt und Mord nichts
halte«, und doch auch nichts denken soll, als wie sie die Regierung hinterrücks
Meuchelmörder könnte.."

Vou diesem Unsinn steht in dem Grenzboten keine Silbe; er fällt also ganz
ans die Nationalzeitnng zurück.

Erstens haben wir jenes Raisonnement nicht als das unsrige, sondern als
das der preußischen Regierung, der äußersten Rechten und des damit im Zu¬
sammenhang stehenden, specifisch conservativen Publicums ausgegeben; wir haben
vielmehr ausdrücklich erklärt, wir wünschten in der orientalischen Frage, von der
hier zunächst die Rede war, ein selbstständiges Auftreten Preußens, ungefähr in
demselben Sinn, wie die Nationalzeitnng. Daß aber jene Conservativen so oder
ähnlich raisonniren, darüber hat uns zwar Herr v. Manteuffel keine officielle
Mittheilung zukommen lassen, aber es ist von jener Seite auf der Tribüne und
in der Presse tausend- und abertauseudmal wiederholt worden. Die National¬
zeitnng scheint diese Verhandlungen in der That verträumt zu haben. Bei jeder
einzelnen politischen Maßregel, die in Berathung kam, wurde von der äußersten
Rechten die Frage ausgestellt: „Verlangt uicht dasselbe oder etwas Aehnliches auch
die Demokratie? In diesem Fall müssen wir dagegen sein, denn es sähe wie eine
Concession aus, und jede Concession gibt der Revolution neue Stärke." Dieses
Raisonnement wurde nicht blos auf die eigentlich politischen Fragen angewendet,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96564"/>
          <p xml:id="ID_1344" prev="#ID_1343"> etwaige Veränderung in den Ansichten auf ein positives Factum anzuwenden,<lb/>
aber wir wollten auch die Ueberlegung in dieser Beziehung uur einleiten; an eine<lb/>
augenblickliche, definitive Entscheidung haben wir nicht geglaubt. Wir wollten die<lb/>
Polemik zwischen der constitutionellen und demokratischen Partei, die sich früher<lb/>
vorzugsweise auf die Personen und deren Würdigkeit oder Unwürdigkeit bezogen<lb/>
hatte, auf die Sachen überleiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1345"> Statt nun aber offen auf diese Art der Polemik einzugehen, übt die National¬<lb/>
zeitung gewissermaßen eine stilistische Kritik aus; sie sucht nachzuweisen, daß wir<lb/>
incorrect in unsern Ausdrücken, ungeschickt in unsrer Satzverbindung sind. Nun<lb/>
ist das zwar ein Umstand, ans den wir sonst sehr viel Gewicht legen; aber in<lb/>
diesem Fall Müssen wir offen gestehen, daß uns die Wendung einigermaßen über¬<lb/>
rascht hat, denn der Stil war das letzte, an das wir gedacht haben. Wenn wir<lb/>
also auf eine Antikritik eingehen, so werden wir auch hier mehr auf die sachliche,<lb/>
als auf die Stilfrage Rücksicht nehmen. &#x2014; Der Satz, in dem die Kritik der<lb/>
Nationalzeitung ihren Kulminationspunkt erreicht, lautet folgendermaßen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1346"> &#x201E;Eine selbstständige Haltung der preußischen Negierung in der allgemeinen<lb/>
Politik gilt dem logischen Raisonnement der Grenzboten nicht als eine Lebens¬<lb/>
bedingung und zugleich als ein Beweis der Lebensfähigkeit eines selbstständigen<lb/>
preußischen Staats, sondern als eine Falle, in der Preußen seine Selbstständig-<lb/>
keit einbüßen könnte, höchstens als eine Concession, eine Gefälligkeit gegen die<lb/>
zahme Demokratie, ihre erbitterte Feindin, die von Gewalt und Mord nichts<lb/>
halte«, und doch auch nichts denken soll, als wie sie die Regierung hinterrücks<lb/>
Meuchelmörder könnte.."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1347"> Vou diesem Unsinn steht in dem Grenzboten keine Silbe; er fällt also ganz<lb/>
ans die Nationalzeitnng zurück.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1348" next="#ID_1349"> Erstens haben wir jenes Raisonnement nicht als das unsrige, sondern als<lb/>
das der preußischen Regierung, der äußersten Rechten und des damit im Zu¬<lb/>
sammenhang stehenden, specifisch conservativen Publicums ausgegeben; wir haben<lb/>
vielmehr ausdrücklich erklärt, wir wünschten in der orientalischen Frage, von der<lb/>
hier zunächst die Rede war, ein selbstständiges Auftreten Preußens, ungefähr in<lb/>
demselben Sinn, wie die Nationalzeitnng. Daß aber jene Conservativen so oder<lb/>
ähnlich raisonniren, darüber hat uns zwar Herr v. Manteuffel keine officielle<lb/>
Mittheilung zukommen lassen, aber es ist von jener Seite auf der Tribüne und<lb/>
in der Presse tausend- und abertauseudmal wiederholt worden. Die National¬<lb/>
zeitnng scheint diese Verhandlungen in der That verträumt zu haben. Bei jeder<lb/>
einzelnen politischen Maßregel, die in Berathung kam, wurde von der äußersten<lb/>
Rechten die Frage ausgestellt: &#x201E;Verlangt uicht dasselbe oder etwas Aehnliches auch<lb/>
die Demokratie? In diesem Fall müssen wir dagegen sein, denn es sähe wie eine<lb/>
Concession aus, und jede Concession gibt der Revolution neue Stärke." Dieses<lb/>
Raisonnement wurde nicht blos auf die eigentlich politischen Fragen angewendet,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0389] etwaige Veränderung in den Ansichten auf ein positives Factum anzuwenden, aber wir wollten auch die Ueberlegung in dieser Beziehung uur einleiten; an eine augenblickliche, definitive Entscheidung haben wir nicht geglaubt. Wir wollten die Polemik zwischen der constitutionellen und demokratischen Partei, die sich früher vorzugsweise auf die Personen und deren Würdigkeit oder Unwürdigkeit bezogen hatte, auf die Sachen überleiten. Statt nun aber offen auf diese Art der Polemik einzugehen, übt die National¬ zeitung gewissermaßen eine stilistische Kritik aus; sie sucht nachzuweisen, daß wir incorrect in unsern Ausdrücken, ungeschickt in unsrer Satzverbindung sind. Nun ist das zwar ein Umstand, ans den wir sonst sehr viel Gewicht legen; aber in diesem Fall Müssen wir offen gestehen, daß uns die Wendung einigermaßen über¬ rascht hat, denn der Stil war das letzte, an das wir gedacht haben. Wenn wir also auf eine Antikritik eingehen, so werden wir auch hier mehr auf die sachliche, als auf die Stilfrage Rücksicht nehmen. — Der Satz, in dem die Kritik der Nationalzeitung ihren Kulminationspunkt erreicht, lautet folgendermaßen. „Eine selbstständige Haltung der preußischen Negierung in der allgemeinen Politik gilt dem logischen Raisonnement der Grenzboten nicht als eine Lebens¬ bedingung und zugleich als ein Beweis der Lebensfähigkeit eines selbstständigen preußischen Staats, sondern als eine Falle, in der Preußen seine Selbstständig- keit einbüßen könnte, höchstens als eine Concession, eine Gefälligkeit gegen die zahme Demokratie, ihre erbitterte Feindin, die von Gewalt und Mord nichts halte«, und doch auch nichts denken soll, als wie sie die Regierung hinterrücks Meuchelmörder könnte.." Vou diesem Unsinn steht in dem Grenzboten keine Silbe; er fällt also ganz ans die Nationalzeitnng zurück. Erstens haben wir jenes Raisonnement nicht als das unsrige, sondern als das der preußischen Regierung, der äußersten Rechten und des damit im Zu¬ sammenhang stehenden, specifisch conservativen Publicums ausgegeben; wir haben vielmehr ausdrücklich erklärt, wir wünschten in der orientalischen Frage, von der hier zunächst die Rede war, ein selbstständiges Auftreten Preußens, ungefähr in demselben Sinn, wie die Nationalzeitnng. Daß aber jene Conservativen so oder ähnlich raisonniren, darüber hat uns zwar Herr v. Manteuffel keine officielle Mittheilung zukommen lassen, aber es ist von jener Seite auf der Tribüne und in der Presse tausend- und abertauseudmal wiederholt worden. Die National¬ zeitnng scheint diese Verhandlungen in der That verträumt zu haben. Bei jeder einzelnen politischen Maßregel, die in Berathung kam, wurde von der äußersten Rechten die Frage ausgestellt: „Verlangt uicht dasselbe oder etwas Aehnliches auch die Demokratie? In diesem Fall müssen wir dagegen sein, denn es sähe wie eine Concession aus, und jede Concession gibt der Revolution neue Stärke." Dieses Raisonnement wurde nicht blos auf die eigentlich politischen Fragen angewendet,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/389
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/389>, abgerufen am 23.07.2024.